1 ...8 9 10 12 13 14 ...47 Die Leute entrichteten brav ihren Obolus und wandten sich dem Zahnbrecher zu, der lauthals seine Dienste anbot.
„Mutter, was bedeutet das?" fragte Ocka furchtsam.
„Ach, das ist eine Mär. Es gibt keinen Fenrir, Ocka."
„Aber..., wenn doch?" Das klang sehr ängstlich.
„Nun, aber wenn doch... Fenrir ist gefesselt, du brauchst keine Furcht zu haben, Süße."
„Bestimmt ist Fenrir längst befreit aus den seidenen Schlingen und das Böse ist auf die Erde zurückgekehrt“, warf Widzelt bissig ein, „sonst gäbe es wohl keine bösen Taten..."
„Widzelt! Du erschreckst mir die Kinder! Lass das."
„Mich schreckt er nicht. Höchstens die dumme Zimperliese", entgegnete Keno keck und kassierte dafür augenblicklich einen Backenstreich von Widzelts Hand. Der Bub zog den Kopf ein und blickte um sich. Teufel, er konnte nicht - wie er es sonst immer tat - ausbüxen und sich verstecken, weil Widzelt ihn am Arm festhielt. Schon flogen Keno Anstandsfragen um die Ohren. Der Junker liebte es, den Buben im Beisein seiner Mutter zu maßregeln: „Die ritterlichen Künste sind?"
„Ah, ich, ich...“
„Was denn, bitteschön? Warum stotterst du? Das muss wie ein Pfeil herausschießen. Verstehst du?“
Keno hatte sich wieder gefaßt und antwortete artig: „Reiten, Schwimmen, Faustkampf, Bogenschießen, Verse machen, Vogelstellen, Schach."
„Und? Was bedeutet das Schachspiel für die Weltenordnung?“
Der Bub stutzte: „Was? Äh? Ich..., man soll die Welt nicht so betrachten?“
„Richtig, Keno, gut aufgepaßt. Jeder, der die Welt als ein Schachspiel betrachtet, verdient es, zu verlieren. Merk dir das!“
Der Bub nickte eifrig und Widzelt fuhr mit seiner strafenden Fragerei fort: „Und? Was noch gereicht einem Ritter zur Ehre?"
„Gott zu lieben aus ganzer Kraft und die Hölle fürchten."
„Und?"
„Stetigkeit in allen Dingen und ..." Keno fiel nichts mehr ein. Er schüttelte widerwillig seine blonde Mähne.
Widzelt bemerkte das mit Missfallen und forderte gnadenlos: „Weiter, mein Prinz aus königlichem Gestüt!“
„Geblüt!“, korrigierte Keno ärgerlich.
„Das war ein Scherz, Keno. Also, was noch?"
„Wahrheit und, und, und... Tugend."
„Ja, mein Junge, das heißt Maß halten und brav und anständig sein, Gerechtigkeit üben, Respekt vor den Alten und die Armen schützen, nicht ausschweifend oder gewalttätig sein, nicht lügen, sich nicht geizig und von schlechtem Lebenswandel zeigen. Noch etwas?"
„Wie man sich höflich benimmt", antwortete Keno kleinlaut.
„Siehst du? Das heißt: Rede nicht bösartig. Warum tust du's, wenn du's weißt? Entschuldige dich!"
„Entschuldige, Ocka."
Die war's zufrieden und hüpfte fröhlich an der Hand ihrer Mutter zum Tokkenmacher, der ihrer Ansicht nach die schönsten Holzpuppen der Welt hervorbrachte.
„Mutter, bekomme ich eine neue Puppe?"
„Kind, du hast schon genug Tocken."
„Ach, bitte, sie sind doch so schön", bettelte Ocka und Foelke schüttelte verneinend den Kopf. „Aber dann möchte ich die Glasperlen."
Seufzend kaufte Foelke daraufhin eine Handvoll der teuren bunten Perlen und Keno meinte, dass er nun doch das Hermelin bekommen könnte, welches Vater ihm dereinst versprochen hatte.
„Stimmt das, Keno?" fragte Widzelt streng und als dieser nickte und ihm ehrlich in die Augen blickte, kaufte er ihm ein niedliches kleines Wiesel, weil Hermeline auf dem Markt gerade nicht angeboten wurden.
Widzelt schenkte Foelke dann noch einen tönernen, bemalten Reiter, in den man ein Licht hineinsetzen konnte. Sie kaufte sich noch eines dieser gelben Tücher, die jetzt so in Mode waren.
„Schau, Widzelt! Seide! Sieht doch schön aus, nicht?“ Stolz legte sie sich das gelbe Tuch um den Kopf. Aber Widzelt bemerkte respektlos, damit sähe sie aus wie eine Dyke. Frauen und Strichmädchen aus dem Freudenhaus trügen diese Tücher. Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst für diese Frechheit, aber in aller Öffentlichkeit konnte sie das dem Verweser von Brookmerland nicht antun. Das wäre arg übel gewesen.
„Woher willst du das wissen?" fragte Foelke ärgerlich. „Bist du schon dort gewesen?"
„Wo? Auf dem Deich?“
„Eben dort – auf dem Deichstrich.“ (Strich = Straße am Deich)
„Ach, und selbst wenn... Sollte ich das nicht wissen?"
„Ja, nein. Ach, ich weiß ja, du hast ein Liebchen im Frauenhaus."
„Wie meinst du das?"
„Wie ich's gesagt habe."
Widzelt verhaspelte sich: „Äh, ja, eigentlich..."
„Was? Ist es so? Oder nicht?"
„Das brennt dir auf der Seele, was?"
„Ja, das tut es, Widzelt. - Ist sie in Gefahr?"
„Das Mädchen? Warum?"
„Ich erinnere an die Klage... Der Prior von Marienthal hat euch damals des gemeinschaftlichen Mordes an unserem alten Kaplan verdächtigt. Weißt du's nicht mehr?"
„Ach, Benedict... Wie könnt ich das vergessen?"
„Ja und? Was ist?"
„Ach, das war doch eine Erfindung, eine List! Was soll sein? Ich bin doch frei!"
„War's das? Oder hat der Benediktiner, der die Sache untersucht hat, irgendwelche... besonderen Erkenntnisse, die ich wissen sollte?"
„Erkenntnisse? Wovon? Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Das ist doch gleich, wo’s doch gelogen war!"
Foelke gab sich damit zufrieden. Für sie war es undenkbar, dass Widzelt den Kaplan Benedict aus dem Weg geschafft haben könnte, wenngleich... Benedict war ein boshafter, alter Brummpott gewesen, der ihnen unendlich viele Schwierigkeiten hätte bereiten können.
„Und? Ist dein Liebchen auch frei gekommen? Ist sie in Gefahr?"
„Oooch, hab sie lange nicht gesehen."
„Man sagt, sie hat ein Kind von dir, Widzelt."
„Ein Kind? Wer? Die Oda? Davon weiß ich nichts."
„Weißt du nichts?"
„Nein! Ein Kind? Von mir? Von der Oda?"
„Ja, wie viele Frauen hast du denn noch?"
„Was meinst du denn? - Ist's ein Junge? Ein Mädchen? Blond oder braun? - Und wo soll dieses geheimnisvolle Kind sein?" fragte Widzelt voller Spott.
„Ubbo meint, im Kinderhaus, bei den Waisen, bei der tollen Janna." Empörung stand in Foelkes Augen.
„So, Ubbo sagt das. Der Quasselkopf muss es ja wissen. So was aber auch! ‘s wäre doch kein Waisenkind... Ich glaub's nicht. Das hätte ich doch wohl merken müssen! Warum sagt sie das nicht? Vielleicht hat sie's weggegeben? Ein Kind... das muss ernährt werden, das braucht einen Vater... Ein Junge? Ein Mädchen? Weißt du es?" Widzelts Stimme bebte.
„Nein, aber es braucht einen Vater und eine angemessene Erziehung, wenn es... von dir ist, dann ist es Blut von Ockos Blut!"
„Blut von meinem Blut… Ja, wenn's denn so ist. Aber warte erst einmal ab, ob's wahr ist. Ich glaub's nicht. Das müsst ich doch wissen. Bestimmt ist es nur ein böswilliges Gerücht."
Es sah so aus, als wäre damit die Sache für Widzelt erledigt, aber er war eine Spur bleicher geworden und dann fuhr er nach einer Weile beunruhigt fort: „Wir sollten nach Aurichhove fahren. Ich muss es herausfinden!"
Stehenden Fußes ging es nun zum Wagen und nachdem Widzelt den Kindern und Foelke hastig hinaufgeholfen hatte, schwang er sich flugs auf eines der beiden Zugpferde und drückte ihm so heftig die Fersen in die Weichen, dass es jäh anzog. Eines der Räder quietschte ganz laut und Keno stichelte, dass Widzelt wohl mit Wagenschmiere gespart habe. Dieser einfältige Knabe , dachte Widzelt und schwieg. Dann schoss es ihm plötzlich durch den Kopf: Ein Kind hat Oda? Ein Knäblein gar? Einen Erbe! Dann sähe alles anders aus! Mit einem Erben könnte ich Herzog Albrecht gewinnen, mich als Nachfolger anzuerkennen. Mehr zu sein als nur der Notnagel, der den Verweser spielen darf… Wäre das nicht geradezu eine himmlische Vorsehung?
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