‚ Nachfolger…, Nachfolger…, Nachfolger…‘ quietschte das Rad. Das Gequietsche kreischte dieses Wort in sein Unterbewusstsein, schien es ständig zu wiederholen, grub es in sein Herz ein.
Endlich rumpelte der Wagen gemächlich über den Sandweg nach Aurichhove. Keno und Ocka vergnügten sich mit Fingerspielen und Foelke hatte Muße zum Nachdenken. Sacht legte sie die Hände auf ihren Leib. Noch war es kaum zu sehen, dass darin ein Kind wuchs. Es tröstete sie, dass ihr die Gnade zuteil werden würde, noch einmal sein Kind austragen und nähren zu dürfen, Ockos Kind... Ein neuer Anfang...
Knirschend pflügte der Wagen den ausgefahrenen Sandweg. In der Dunkelheit waren die tiefen Schlaglöcher kaum auszumachen und Foelke klammerte sich mit beiden Händen an den Sitz, um die Erschütterungen auszugleichen. - Um Gottes Willen das Kind nicht verlieren!
Kurz vor Aurichhove hatte es geregnet und Widzelt ließ die Pferde schneller traben, damit die Räder nicht womöglich im Schlamm stecken blieben. Das Regenwasser spritzte in hohen Bögen aus den Pfützen und manchmal schlitterte der Wagen unmäßig zur Seite weg, so dass Foelke entsetzt rief: „Widzelt! Langsamer! Fahr langsamer!" Er tat's aber nicht.
Als sie nahe der Burg waren, ergoss sich plötzlich ein heftiger Hagelschauer über sie. Herrlich sah das aus, wie die erbsengroßen weißen Körner auf Wagen und Pferderücken tanzten, ehe sie zur Erde hüpften, um dort erneut aufzuspringen!
Während Ocka und Keno begeistert versuchten, die Eiskörner mit dem Mund aufzufangen, wuchs die Hagelschicht rasch an und binnen kurzem war alles mit einem dicken weißen Überzug bedeckt.
Zum Glück stand das hell erleuchtete Burgtor sperrangelweit offen. Die Wächter hatten sie wohl kommen sehen. Schlitternd polterte der Wagen auf die Zugbrücke und Widzelt nahm nun Gott sei Dank die Pferde zurück.
Gleich hinter der Brücke stand Focko Ukena, ließ den Wagen passieren und rannte sogleich hinterher, den Burghügel hoch zum Schlossportal.
„Wo bleibt ihr denn?" rief er ihnen nach. „Der Herzog hat Abgesandte geschickt. Es gefällt ihnen nicht, so lange warten zu müssen. Die Herren Ritter sind furchtbar ungeduldig!"
Abgesandte des Grafen von Holland..., nun dann musste die unangenehme „Angelegenheit“ mit der Oda erst einmal verschoben werden.
Kapitel 4 - Lehnrecht - Lehnpflicht
Claes Heynenz, des Herzogs Herold, hatte eine Botschaft dabei, die Foelke und Widzelt nötigten, sich zum Lehenvertrag zu äußern.
Widzelt las in Gegenwart der Abgesandten die holländische Depesche mehrmals sehr aufmerksam durch. Die Nachricht ließ freundlich aber unmissverständlich anklingen, dass der Herzog umgehend eine positive Antwort erwartete.
Plötzlich blickte Widzelt auf und fragte: „Das verschafft mir die Ehre? Glaubt Seine Gnaden, weil Ritter Ocko tot ist, kann er sich unseres Landes bemächtigen?"
„Hätte der Graf damit Unrecht? Was glaubt Ihr? Seid Ihr nicht im Besitz eines Erblehens?" Heynenz lächelte herausfordernd und als Widzelt schwieg, schlugen die Ritter leicht an ihr Schwert. „Es gibt da Möglichkeiten..." sagte einer der Beiden angriffslustig.
„Mit Verlaub, Ritter Adrian, wer seid Ihr, dass ihr es wagt, mir in meinem eigenen Hause zu drohen?“ Absurd und überflüssig diese Bemerkung. Widzelt hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, war er doch schon mehrfach mit Adrian zusammengerasselt.
„Ich bin der, der Euch im Haag vom Pferd katapultiert hat. Leidet Ihr seither unter Gedächtnisschwund, Herr? Das wäre bedauerlich.“ Ritter Adrian lachte beleidigend. „Aber nein, so was vergisst man gern, nicht wahr? Unterstreicht das doch eindrucksvoll und beißend unsere Möglichkeiten.“
„Möglichkeiten! Die kenne ich, auch ohne Eure freche Drohung, Herr! Ich bin nicht der Erbe und auch nicht der Lehnsträger. Das weiß auch der Herzog."
„Der Herzog will seine Flanke decken“, antwortete Claes Heynenz verbindlich.
„…und gesichert wissen“, fügte Ritter Adrian hinzu.
„Ah ja! Natürlich! In stehe nicht in des Herzogs Diensten. Ist Euch das vielleicht entfallen?“
„Ihr seid der Verweser, Herr.“ Ungeduld schwang in der Stimme von Claes Heynenz.
„Ach so, und deshalb braucht Seine Gnaden mich. Wenn ich dazu aber keine Lust verspüre? Ist ihm dann jedes Mittel recht, Herr?"
„Ich würde das nicht so ausdrücken wollen. Aber wisset, wenn der Fall eintreten sollte, dass Seine Gnaden sich genötigt sieht, Euch auf 'den rechten Pfad' zurückzuführen, würden sich der Graf von Oldenburg und der Bischof von Münster ebenfalls einmischen und sie würden Ansprüche geltend machen, die Euch gewiß nicht genehm wären. Von Eurem gebeutelten Land würde kaum mehr bleiben als verbrannte Erde, Staub und Asche und Ruinen. Na ja, wohl auch noch der Sumpf.“ Der Ritter lachte provokant. „Glaubt Ihr, dass Euch eine andere Wahl bleibt, als sich unter den Schutz der herzoglichen Hand zu stellen, Junker Widzelt?"
„Wir erbitten uns Bedenkzeit“, fiel Foelke gewandt und sehr freundlich ein. „Gestattet, Herr, dass wir uns zuvörderst mit unseren Räten und den edlen Häuptern des Landes beraten. Dies wird einige Zeit in Anspruch nehmen, fürchte ich. Ich biete Euch mit Freuden Gastfreundschaft an, so Ihr bleiben wollt. Speis und Trank, gemütliche Unterkunft... Wie hört sich das an?“
„Eure Gastfreundschaft nehme ich gern an. Und sie?“ er blickte auf seine Begleiter. Die zuckten mit den Schultern und redeten durcheinander. Da kam etwas heraus, was sich nach ’Dyken’ anhörte, jenen Dirnen, die auf dem Deich flanierten und den Männern ihre Dienste anboten. Bei Ankunft der herzoglichen Delegation waren die Frauen wohl nicht zimperlich gewesen. Die ’Dyken’ verstanden es, Männern Appetit zu machen.
„Ihr möchtet lieber in der Schnappe nächtigen? Im Wirtshaus oder bei den Weibern auf dem Deich, die ihr Schmuckdöschen für Geld öffnen?“, fragte Widzelt provozierend.
„Verdammt, Junker! Mein Tross wird ebenfalls hier wohnen“, entschied Ritter Adrian in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Ja, wir werden auch hier wohnen“, antwortete einer der Begleiter devot und alle verneigten sich.
Ritter Adrian grinste zustimmend: „Im Gesindehaus, Häuptling... Herr Häuptling, Seine Gnaden erwartet Eure Antwort binnen Ablauf dieses Monats.“
„Zu Diensten, Herr Ritter, stets zu Diensten“, dienerte Widzelt übertrieben und Foelke veranlasste einen Hausknecht, den Gästen - der Herold hatte ein halbes Dutzend Bewaffnete dabei - Unterkunft im Gesindehaus zuzuweisen, wie Ritter Adrian es gewünscht hatte. Das kam dem Troß von Adrian anscheinend sogar entgegen, lüsterten die Männer doch schon nach den Dyken vom Deichstrich. Adrian erhielt indes Quartier in der für die Ritterschaft vorbehaltenen Kemenate.
Als die Herren sich zurückgezogen hatten, meinte Foelke aufgeregt: „Viel besser wäre es gewesen, Ritter Adrian mit erlesener Freundlichkeit zu begegnen, Widzelt. Mit Freundlichkeit erreicht man viel mehr.“
„Ich weiß, in seinem Mantelsack trägt er die Macht mit sich herum, aber er ist... tückisch. – Übrigens Bedenkzeit, Bedenkzeit - ich weiß gar nicht, warum du das gesagt hast. Da gibt es gar keine Wahlmöglichkeit.“
„Das ist schon richtig, Widzelt. Wir müssen nach vorn sehen und wir müssen erst einmal Zeit gewinnen, sonst nichts“, lachte Foelke.
„Gut, gut. Ich weiß, was du meinst. Ich soll mich nicht beirren lassen. Auf Ockos Fundamenten soll ich aufbauen. Das will ich tun und ich sage dir, Foelke, das Land ist ausbaufähig! Ich fühle das Blut meiner Väter in mir, ihre Kraft, Umsicht und Klugheit und ich fühle… Ich bin mehr als nur der Sohn meines Vaters. Ich bin die Summe meiner Ahnen. Ich bin ein Kenisna!“
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