Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, drehte sich Markus zu Walter und blickte ihn lange an. Und auch der Mann stand still und reglos. Schließlich ließ sich der Sohn des Fürsten auf einen Stuhl sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
„So eine verdammte Scheiße“, murmelte er kopfschüttelnd vor sich hin.
Walter trat einen Schritt auf ihn zu. „Was wollten diese Männer von Euch?“, fragte er. „Es war doch wohl kein Zufall, dass sie dort im Wald auf Euch und Richard gewartet hatten.“
Markus hob die Schultern. „Seit Tagen zerbreche ich mir den Kopf darüber“, erwiderte er. „Bislang habe ich allerdings noch keine befriedigende Antwort gefunden.“
„War Euch irgendeiner dieser Männer bekannt?“, wollte Richards Ziehbruder wissen.
Der Sohn des Fürsten verneinte. „Ich habe keinen von ihnen jemals zuvor gesehen.“
„Und ihr Herr und Anführer?“, fragte Walter.
„Auch ihn nicht“, bestätigte Markus noch einmal.
„Wie sah er aus?“
„Wie er aussah?“ Markus hob noch einmal die Schultern. „Er war groß. Ein dichter Bart verdeckte einen guten Teil seines Gesichtes. An die Farbe seines Haares kann ich mich nicht entsinnen, möglicherweise trug er irgendeine Kopfbedeckung. Zudem war es nahezu stockdunkel im Verlies und als die Männer erst einmal begonnen hatten, mich zu schlagen, da hatte ich wahrhaft anderes zu tun als ihre Gesichter zu studieren.“
„Ich meinte auch weniger sein Gesicht“, sagte Walter, „als vielmehr die Art und Weise, wie er sich gab oder kleidete. Ist Euch da irgendetwas aufgefallen? Irgendetwas, woraus wir nützliche Rückschlüsse über diese Gruppe von Männern ziehen könnten?“
Markus schwieg und schien nachzudenken.
„Könnt Ihr wenigstens eine Aussage zu seinem Alter machen?“, versuchte Richards Ziehbruder ihm zu helfen. „Oder zu seinem Stand? War er ein Bauer, ein Leibeigener, ein Adelssohn?“
„Nun.“ Der Sohn des Fürsten sah ihn wieder an. „Am ehestens wohl ein Adelssohn“, sprach er schließlich, „auch wenn seine Kleider schmucklos waren. Aber seine Männer begegneten ihm mit offensichtlicher Ehrerbietung. Und was sein Alter betrifft, mag es wohl sein, dass der Bart, den er trug, ihn älter erscheinen ließ, als er in Wahrheit war, dennoch bin ich sicher, dass er einige Jahre mehr als ich selbst zählte.“
„Gut.“ Walter schien zufrieden. „Auch wenn Euch dieser Mann unbekannt war, haltet Ihr es dennoch für möglich, dass er eine offene Rechnung mit Euch oder Richard zu begleichen hatte? Oder dass jene Truppe vielleicht im Auftrag eines unzufriedenen Vasalls Eures Vaters handelte?“
„Nun, Ihr wisst selbst, dass weder mein Vater noch ich mit irgendjemandem im Streit lagen“, antwortete Markus. „Im Gegenteil, Richard hat sich immer darum bemüht, zu all seinen Lehnsleuten, den Nachbarn, den anderen Adelshäusern ein gutes Verhältnis zu haben. Ich wüsste keinen, der an ihm oder mir aus irgendeinem Grunde Vergeltung üben wollte.“
„Und eine Entführung mit anschließender Lösegelderpressung?“, schlug Richards Ziehbruder daraufhin vor.
„Bei der die Entführten zuvor halb tot geschlagen werden? Nein.“ Markus schüttelte abwehrend den Kopf. „Das halte ich für noch weitaus unwahrscheinlicher. All die Fragen, die mir gestellt wurden, blieben für mich zwar ohne erkennbaren Zusammenhang, sie zeigten aber deutlich, dass jene Männer bereits einiges über mich und Richard, über Bernadette und all seine Bewohner wussten.“ Er schwieg einen kurzen Augenblick. „Daher gelange ich mehr und mehr zu der Ansicht, dass es diese Männer auf Bernadette abgesehen haben. Richard und ich sollten ihnen lediglich die notwendigen Auskünfte für eine möglichst reibungslose Einnahme der Burg liefern. Lasst also sämtliche Tore schließen und verstärkt die Soldaten und die Bogenschützen auf den Wehrgängen.“
Walter lachte. „Haltet Ihr mich für dumm? Das habe ich bereits gestern, unmittelbar nach Eurer Rückkehr, angeordnet.“
„Man kann sich wirklich auf Euch verlassen“, anerkannte Markus. Er stützte den Kopf wieder in seine Hände.
„Diese Männer sind nicht besonders zimperlich mit Euch umgegangen, nicht wahr?“, Richards Ziehbruder trat auf den Sohn des Fürsten zu und schob dessen Ärmel nach oben, so dass die aufgeriebene Haut der Handgelenke sichtbar wurde.
„Lasst das!“, fuhr ihn Markus wütend an und riss den Stoff wieder nach unten. „Glaubt Ihr nicht, dass es schon schlimm genug ist, dass sie dies überhaupt getan haben? Gott sei Dank wird alles verheilen und ich werde keine bleibenden Narben davontragen.“
„Aus welchem Grund wurde das Verhör abgebrochen?“, wollte Walter wissen.
Der Sohn seines Ziehbruders zuckte mit den Schultern. „Muss ich mir diese Frage stellen?“, giftete er. „Ich bin froh, dass sie es taten.“
Doch der Mann sah ihn lediglich ruhig an. „Ja“, erwiderte er. „Wenn wir etwas über die Beweggründe dieser Gesellen herausfinden möchten, müssen wir uns auch solche Fragen stellen. Warum also brachen sie ab?“
„Ich habe keine Ahnung“, sagte Markus. „Irgendwann hörten sie einfach mittendrin auf. Ohne jede Erklärung. Und sie kamen auch nicht wieder, um die Befragungen fortzusetzen.“
Richards Ziehbruder schwieg.
Markus Augen verfinsterten sich mit einem Mal. Er erhob sich. „Ich verstehe“, sprach er hart. „Ihr glaubt, dass diese Männer ihre Befragungen nicht fortsetzen mussten, weil ich geredet habe.“
Walter schien irgendetwas erwidern zu wollen, doch der Sohn seines Ziehbruders ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Wie könnt Ihr mir so etwas unterstellten?“, fragte er mit Bitterkeit. „Vermutlich seid Ihr auch noch der Ansicht, dass jene Männer mich kaum angerührt hätten. Habt Ihr überhaupt eine Vorstellung davon, was ich in den vergangenen Tagen über mich ergehen lassen musste? Ich hing dort an der Wand und war der Gnade oder der Grausamkeit dieser Männer ausgeliefert. Sie stellten mir über Stunden immer wieder die gleichen Fragen und ich wusste nicht, was sie als nächstes zu tun gedachten, weil ich sie nicht beantwortete. Ich …“
„Ich hätte es wissen müssen, dass Ihr das in den falschen Hals bekommen würdet“, unterbrach ihn Walter endlich. „Ich habe Euch bislang überhaupt nichts unterstellt. Und ich habe durchaus eine Vorstellung davon, was Euch diese Männer angetan haben. Weshalb seid Ihr so empfindlich? Was wäre denn so schlimm daran, wenn Ihr geredet hättet?“
Markus wirkte verwirrt. „Es wäre Hochverrat gewesen“, erwiderte er, „zumindest all jenes preiszugeben, was meine gemeinsame Unternehmung mit Richard im vergangenen Jahr anbelangte.“
Walter lachte. „Was hätte das für eine Rolle gespielt? Glaubt Ihr tatsächlich, dass jene Männer Euch gehen gelassen hätten, wenn Ihr ihre Fragen beantwortet hättet? Niemals! Sie hatten Euren Tod längst beschlossen. Mit Sicherheit hättet Ihr also nicht Euer Leben retten können, wenn Ihr den Mund aufgemacht hättet, aber Ihr hättet Euch zumindest die Tortur erspart.“
„Das war es mir nicht wert“, antwortete Markus lediglich. Er begann in seinem Zimmer auf und ab zu gehen.
„Seit eh und je ist es dasselbe mit Euch!“, schimpfte Walter. „Euer Trotz und Stolz haben Euch wieder einmal einen Haufen Prügel eingebracht. Habt Ihr Euch schon in einem Spiegel betrachtet? Ihr seht zum Davonlaufen aus.“
„Und Ihr könnt mich mal!“, sagte der Sohn des Fürsten roh.
Es war schon immer so gewesen, dass die beiden aufeinander losgingen, kaum dass sie sich nur gemeinsam in einem Raum befanden. Vermutlich allerdings waren sie sich ähnlicher, als es ein jeder von ihnen wahrhaben wollte und dies war wohl auch der Grund, weshalb sie immer wieder aneinander gerieten.
Richards Ziehbruder blickte Markus dunkel an. Dann lachte er plötzlich. „Ich bin froh, dass Ihr wieder hier seid“, sagte er leise.
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