Simone Philipp - Novembergrab

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Novembergrab ist ein Entwicklungsroman, der im historischen Kontext des Hochmittelalters angesiedelt ist. Der Leser/die Leserin begleitet die junge Anna, die sich auf eine folgenreiche Beziehung zum Mörder ihres Bruders einlässt.
"Der Junge mit dem weißen Haar stieg die Stufen hinab. Doch jeder Schritt, den er mit dem Kind auf dem Arm zurücklegte, ließ ihn altern. Machte ihn verschlossener, härter und kälter. Wortlos nahm er im Hof der Burg sein Pferd entgegen und ließ sich das Kind hinaufreichen. Und als er letztendlich das Tor der äußeren Ringmauer passierte, da war von Jugendlichkeit auf seinen Zügen keine Spur mehr zu finden."

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Simone Philipp

Novembergrab

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Inhaltsverzeichnis Titel Simone Philipp Novembergrab Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Impressum neobooks

Kapitel 1

Die Wachsoldaten an der äußeren Ringmauer nickten dem Reiter lediglich einen kurzen Gruß zu, ehe sie die Tore für ihn öffneten. Langsam trieb er sein Pferd den schmalen Weg zum inneren Burgfried hinauf, während sich der erste Schein der morgendlichen Sonne über den Hügeln im Osten zeigte und die kleine Anlage mit rotgoldenem Licht überstrahlte.

Der Reiter war jung, vermutlich nicht älter als achtzehn Jahre, noch zeichnete die Jugend die Züge auf seinem Gesicht. Und doch schien er die Ausbildung zum Krieger bereits abgeschlossen zu haben. An seinem Gürtel hingen Schwert und Messer und einige Strähnen in seinem Haar, das ihm bis über beide Schultern reichte, waren geflochten. Ungewöhnlich war die Farbe, beinahe so weiß wie der frisch gefallene Schnee im Winter.

Als der Junge den Hof der Burg erreicht hatte, stieg er von seinem Pferd und streichelte es sanft. Er war groß gewachsen, der Hengst überragte ihn nur wenig.

Plötzlich glitt beinahe lautlos eine alte Dienstmagd an seine Seite und als der Junge sich ihr zuwandte, begann sie, hastig flüsternd auf ihn einzureden. Er nickte mehrmals, hielt allerdings seine Augen gesenkt, so dass der Ausdruck auf seinem Gesicht verborgen blieb.

„Es ist gut, dass Ihr so rasch gekommen seid“, sagte die Alte dann.

„So rasch es ging“, versicherte er.

Sie verzog den Mund. „Nichts desto trotz wird es wohl noch eine Weile dauern. Die Herrin bittet Euch daher zu warten. Soll ich Euch ein Frühstück richten?“

„Nein.“ Er schüttelte augenblicklich den Kopf. „Ich werde in der Zwischenzeit nach hinten in den Garten gehen.“ Der Junge sah kaum auf, ehe er sich zurückzog.

In einem der Zimmer, hoch oben über dem Hof der Burg, kniete ein Mädchen über ein paar Matten und Decken am Boden. Sie hatte sich vornüber gebeugt und stützte sich mit beiden Händen auf eine ältere Frau auf, die vor ihr hockte. Das Mädchen war lediglich mit einem losen Hemd bekleidet und das Wasser, das aus ihrem Körper hervorquoll, rann an ihren nackten Beinen hinab und tränkte die Laken unter ihr.

„Oh Gott im Himmel, warum tut es so entsetzlich weh?“, brachte sie mit Mühe hervor. Ihre Stimme krächzte, heiser vom Schreien. „Mit Sicherheit ist es die Strafe für meine Sünden.“

„Wer hat Euch denn solch einen Unsinn erzählt?“, knurrte die Hebamme, die hinter der Gebärenden kniete. „Das hier hat mit Strafe nicht das Geringste zu tun und jetzt nehmt Euch zusammen!“

Das Mädchen schloss die Augen vor Erschöpfung, während sie sich darum bemühte, ihre Kräfte zu sammeln, doch als sich die nächste Wehe ankündigte, krallte sie sich wieder voller Verzweiflung an die Frau vor ihr. Und als der Schmerz nachließ, wandte sich das Mädchen zur Seite und verlangte nach einer tönernen Schüssel.

„So ist es gut“, lobte die Hebamme, während sie das Erbrochene besah. „Wenn Ihr Euch anderweitig erleichtern müsst, haltet bloß nichts zurück. Dann wird es ganz schnell gehen.“

Die zweite Frau, die vor dem Mädchen hockte, wischte das Gesicht der Gebärenden mit einem feuchten Tuch ab und strich ihr anschließend liebevoll die langen dunkelblonden Strähnen zurück, die die Hebamme zuvor gelöst hatte, damit die Geburt rascher vonstatten ginge. Obwohl es ein warmer Frühlingstag war, war ein Kohlebecken im hinteren Teil des Raumes aufgestellt worden, weil es ansonsten zu kalt für ein Neugeborenes gewesen wäre und so dampfte das Zimmer vor Feuchtigkeit und Hitze.

Die Schwere der Luft drückte den Frauen den Atem ab, doch das Mädchen bemerkte dies kaum, denn die Wehen überrollten sie nun ohne Unterbrechung. „Ich flehe Euch an, helft mir!“, bettelte sie kreischend. „Bitte, bitte.“

„Ihr habt es bald geschafft“, beruhigte die Hebamme. „Es wird nicht mehr allzu lange dauern.“

Da schrie das Mädchen lauter und gequälter als in all den langen Stunden zuvor, weil sich ihr Körper endlich weitete und sich das Kind seinen Weg nach draußen in die Welt wie ein glühendes Messer bahnte. Doch dann war es vorbei und die Hebamme fing das Neugeborene mit ihren Händen auf.

„Es ist ein Knabe!“, jubelte sie beinahe augenblicklich. „Ihr habt einem Sohn das Leben geschenkt!“ Ihre Finger strichen tastend über den winzigen Körper. „Ein wenig klein ist er, aber gesund und kräftig.“ Anschließend biss die Hebamme die Nabelschnur durch und hüllte das Kind in ein vorgewärmtes Tuch.

Die ältere Frau hatte ihre Arme immer noch um das Mädchen geschlungen und drückte die junge Mutter nun seitlich auf das weiche Lager unter ihr nieder. „Leg dich hin“, sagte sie sanft, „und ruh dich aus.“ Sie holte einen Becher mit kühlem Wasser und hielt ihn dem Mädchen an die Lippen.

„Möglicherweise dauert es eine kurze Zeitlang, ehe die Nachgeburt kommt.“ Die Hebamme bettete das neugeborene Kind in den Arm der Mutter, erhob sich und trat einen Schritt zurück.

Der Atem des Mädchens hatte sich beruhigt. Ganz und gar war sie in den Anblick des kleinen Jungen in ihren Armen versunken. Sie streifte sogar das Tuch vom Körper des Kindes, um ihren Sohn vom Kopf bis zu den Füßen betrachten zu können. Er war vollkommen und sie wagte kaum ihn zu berühren. Während sich das Mädchen über ihn beugte, fiel ihr langes dunkelblondes Haar über eine Hälfte ihres Gesichtes und bedeckte sie nahezu. Und das Kind sah mit wachen Augen zu seiner Mutter auf, während es an seinen winzigen Händchen saugte. So verharrten sie eine ganze Weile, bis mit einem Mal ein Ausdruck der Trauer auf die Züge des Mädchens trat und sie das Kind wieder in das Tuch einhüllte.

Die beiden Frauen wechselten einen raschen Blick.

„Danke Gott dafür, dass es ein Knabe geworden ist“, meinte die ältere Frau anschließend. „Ich bin gewiss, dass es für ihn einfacher sein wird mit einem Sohn als ...“

Die junge Mutter nickte langsam und verzog schließlich den Mund zu einem müden und nicht ehrlichen Lächeln. Dann aber schrak sie zusammen, als plötzlich laut von draußen gegen die Tür geklopft wurde und sie raffte eines der Laken über ihre nackten Beine.

Eine alte Dienstmagd lugte vom Gang in das Zimmer hinein. „Herrin“, sprach sie zu der älteren Frau. „Der junge Herr ist bereits vor einiger Zeit angekommen. Er wartet draußen im Garten.“ Ihre Stimme war leise, aber ihre Worte drangen dennoch bis in den hintersten Winkel des Zimmers.

Die ältere Frau drehte sich herum und ihr Blick streifte die Augen der Hebamme, ehe sich beide dem Mädchen am Boden zuwandten. „Brauchst du noch ein wenig Zeit?“, erkundigte sie sich.

Das Mädchen presste die Lippen zusammen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein“, erwiderte sie ruhig. Nur ihre Augen schweiften rastlos durch den Raum. „Ich bin bereit.“ Sie wandte sich an die alte Dienerin auf dem Gang. „Du kannst den jungen Herrn heraufführen.“

Die Magd zog sich zurück.

„Ich möchte für ein paar Augenblicke mit ihm alleine sein“, bat das Mädchen, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. „Bitte!“ Sie blickte flehend.

Die beiden Frauen nickten und als wenig später leise Geräusche von draußen zu vernehmen waren, öffnete die Hebamme die Tür. Der Junge mit dem nahezu weißen Haar blieb auf der Schwelle des Zimmers stehen, während seine Augen unmittelbar den fahrigen Blick des Mädchens fanden und ihn festhielten. Die ältere Frau, die grußlos und mit einer deutlichen Geste der Verachtung an ihm vorüber ging, schien er kaum zu bemerken.

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