„Um Gottes Willen!“
Anna sprang mit einem Satz aus dem Bett. Ihr Nachtgewand und das Bettlaken waren blutverschmiert. In wenigen Wochen sollte sie vierzehn Jahre alt werden und Maria hatte sie bereits vor einiger Zeit darauf vorbereitet, dass Solches wohl bald geschehen würde und das Mädchen sich nicht zu ängstigen bräuchte, so dass Anna nun regungslos vor ihrem Bett stand und nicht recht wusste, ob sie entsetzt oder froh sein sollte.
Aber dann öffnete sich die Zimmertür und ihre Dienerin trat ein. Sie verstand augenblicklich, ging auf das Mädchen zu und ergriff Annas Hand. „Das ist vollkommen normal“, versicherte sie. „Es war überhaupt schon längst an der Zeit, dass es geschieht.“
Anschließend zog Maria das Laken vom Bett und half dem Mädchen in ein neues Gewand. Die Dienerin packte die befleckte Wäsche zusammen und schob sie auf den Gang hinaus, damit eine der Wäscherinnen sie zur Waschstube bringen konnte. Und dann ließ sich Maria auf Annas Sessel nieder und begann sehr fröhlich und ohne Scham, über den neuen Lebensabschnitt des Mädchens zu reden, der nun begonnen hatte, und all die Freuden zu erwähnen, die ihrer Meinung nach damit verbunden waren.
Anna hörte ihrer Dienerin aufmerksam zu, die Augen zusammengekniffen, die Stirn in Falten gezogen und die Hände auf den schmerzenden Unterleib gepresst und bemühte sich, alles zu begreifen.
„Nun ja“, meinte Maria anschließend und erhob sich. „Gewiss wird es nicht allzu lange dauern, bis Ihr das alles mit Eurem Gatten erleben könnt.“
Damit verschwand die Frau und ließ das Mädchen sehr ratlos zurück. Sollte das heißen, dass Anna nun heiraten und Bernadette verlassen musste?
Wenig später kam Elgita und wollte wissen, wie sich das Mädchen fühlte, und als Anna sagte, dass sie Schmerzen hätte, schickte ihre Erzieherin sie augenblicklich wieder ins Bett und ließ ein paar heiße Steine bringen, die sie in Tücher wickelte und dem Mädchen in den Rücken und vor den Unterleib legte.
Elgita redete nicht über die bevorstehenden Freuden des Frauenlebens, Anna hätte es von ihr auch nicht erwartet. Aber die Erzieherin erklärte dem Mädchen in aller Ruhe, was sie zu beachten hätte, wann immer sie blutete, und was sie tun sollte, um ihre Wäsche vor den Flecken zu schützen. Auch Elgita sprach davon, dass diese Tatsache nun mit Sicherheit ein deutliches Zeichen für Richard und Elisabeth wäre, sich nach einem passenden Ehemann für ihre Tochter umzusehen.
Anna wünschte, auf ihrem Zimmer zu bleiben und die Erzieherin veranlasste, dass dem Mädchen etwas zu essen und trinken gebracht wurde. Dann ließ sie Anna allein. Etwas später, als von draußen Markus’ Stimme zu ihr hereindrang, erhob sich das Mädchen allerdings, trat auf den Flur hinaus und rief leise nach ihrem Bruder.
„Bist du krank?“, fragte er besorgt, vermutlich weil er das Mädchen an diesem Tag bislang noch nicht irgendwo angetroffen hatte.
Anna schüttelte jedoch den Kopf. Sie trat auf Markus zu und teilte ihm mit leiser Stimme mit, was ihr am Morgen widerfahren war. Er schob sie in sein Zimmer hinein und schloss anschließend die Tür hinter ihnen. Dann legte er die Arme um seine Schwester und hielt sie eine Zeitlang an sich gedrückt, sein Gesicht war ernst. Für Anna kam die Welt wieder zur Ruhe, so wie immer, wenn Markus sie festhielt, doch nach einer Weile hörte sie, wie er sagte: „Jetzt werden sie dich schon sehr bald von mir wegreißen.“
Anna blieb auf ihrem Zimmer und verbrachte den Tag lesend im Bett. Die Schmerzen hatten nachgelassen, vermutlich Dank der heißen Steine oder wegen Markus’ Umarmung und das Mädchen empfand nun beinahe eine gewisse Gemütlichkeit, weil sie sich einmal ausruhen konnte, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
Am frühen Nachmittag kam endlich Elisabeth.
„Verzeih bitte, Liebes“, sagte sie und küsste ihre Tochter. „Ich hatte so viel zu tun, dass ich nicht früher kommen konnte.“
Die Fürstin war keine Mutter, die alles stehen und liegen ließ, wenn eines ihrer Kinder nach ihr verlangte. Dies hätten ihr ihre Pflichten als Burgherrin vermutlich auch nicht gestattet. Aber wenn sie sich ein wenig von der vielen Arbeit frei machen konnte, dann saß sie ohne Hast am Bett ihres kranken Mädchens und nahm sich so viel Zeit, als hätte sie an diesem Tag weiter nichts zu tun.
Anna richtete sich ein wenig auf, während sie mit den Händen ihren Unterleib rieb, und als Elisabeth zu reden begann, wagte das Mädchen kaum zu atmen. Die Fürstin jedoch sprach nicht über eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung, sie erwähnte nicht einmal das Wort. Stattdessen klärte sie ihre Tochter über die große Veränderung auf, die in ihrem Körper vorgegangen war. Das Mädchen lauschte stumm, jedoch mit einer wachsenden Unruhe im Inneren.
„Und wann werde ich heiraten?“, fragte sie schließlich leise, als die Fürstin zu Ende gesprochen hatte.
Elisabeth blickte ein wenig verwirrt. „Was meinst du damit?“, wollte sie wissen.
„Nun ja.“ Anna zuckte mit den Schultern. „Maria und Elgita haben gesagt. Und sogar Markus.“
„Ach, mein Herz“, erwiderte die Fürstin sanft und streichelte die Hand ihrer Tochter. „Ich wünschte, sie würden nicht immer alle so viel reden. Dies ist ein besonderer Tag und ich bin sehr froh und stolz auf dich. Aber es bedeutet nicht, dass du schon heiraten und Kinder bekommen musst, nur weil dein Körper von nun an in der Lage dazu ist.“
„Aber all die Mädchen aus unserer Familie heiraten doch …“, begann Anna. Nur wenige Wochen zuvor war ihre enge Freundin Bianca mit einem viel älteren Lehnsherrn vermählt worden und auch Elisabeth selbst war bei ihrer Hochzeit mit Richard erst fünfzehn Jahre alt gewesen.
„Dein Vater und ich, wir haben schon oft darüber gesprochen“, erwiderte die Fürstin jedoch. „Wenn du nicht darauf bestehst, dann würden wir gerne noch eine Zeitlang warten.“
Es war wie ein riesengroßer Stein, der bei den Worten ihrer Mutter von Annas Herzen fiel, obwohl sie wusste, dass die Angelegenheit damit ja doch nur aufgeschoben war. Gegen Abend ging sie sogar hinunter in die Große Halle, um etwas zu essen. Als das Küchenmädchen eine Platte mit einer gebratenen Schweineleber vor ihr abstellte, riss Anna vor Überraschung die Augen auf. Leber gehörte zu ihren Lieblingsspeisen, aber sie hatte diese Innerei bislang nur äußerst selten erhalten, weil sie immer irgendeinem der anderen heranwachsenden Mädchen zugestanden war, die sich auf der Burg befanden. Als wenig später allerdings Markus vorüberging und ihr zuzwinkerte, da wusste Anna, wem sie ihr außergewöhnliches Abendessen zu verdanken hatte.
In den folgenden beiden Tagen herrschte auf Bernadette ein geschäftiges Treiben. Die Lehnsmänner Richards reisten einer nach dem anderen mit ihren Familien ab und die Dienstmägde hatten alle Hände voll zu tun, um die Überbleibsel des Frühlingsfestes zu beseitigen. Walter und Elgita verbrachten viele Stunden gemeinsam mit Elisabeth in den Räumlichkeiten der Fürstin, um alles Notwendige für die Zeit der Abwesenheit der Herrin zu besprechen.
Anna dagegen ritt in den Wald, wann immer sie konnte, saß in der Sonne und las oder setzte sich mit ihrer Stickarbeit hinunter an einen der kleinen Tische im Burggarten.
„Es ist ein Traum!“ Elgita, die zufällig an dem vertieften Mädchen vorüber gegangen war, schob vorsichtig den Stoff auseinander und strich mit sachten Händen über die bereits fertigen Verzierungen. „Eure Schwägerin wird Euch auf ewig dankbar sein.“
Anna war nicht einmal vier Jahre alt gewesen, als Elisabeth begonnen hatte, ihre Tochter in die Kunst des Spinnens und Webens einweisen zu lassen. Das lange Sitzen am Spinnrad und die eintönige Arbeit mit Wolle und Spule, mochten dem Mädchen allerdings nicht recht von der Hand gehen, beim Weben zeigte Anna jedoch eine ungewöhnlich große Begabung. Die Stoffe, die sie schon als Kind fertigte, waren ebenso dicht und gleichmäßig wie die der anderen, weitaus erfahreneren Frauen und übertrafen diese im Lauf der Jahre sogar um ein Beträchtliches. Als Anna dann aber wenig später mit dem Besticken der von ihr selbst hergestellten Stoffe begann, konnten die Frauen in den Kammern der Fürstin nur mit offenen Mündern bewundernd zuschauen, wie sich unter den kleinen Händen des Mädchens ein jedes Stück in ein Kunstwerk verwandelte.
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