„Soll ich eine Eurer Kammerzofen zu Euch bringen?“, fragte Maria schließlich.
„Danke, das ist nicht notwendig“, wies Elisabeth die Frau zum dritten Mal ab. „Ich komme alleine zurecht. Aber wenn es dir keine Umstände macht, wäre ich dir äußerst zugetan, wenn du später den Herrn Walter zu mir schicken könntest.“
Maria unterdrückte ein Seufzen und zog sich dann ohne ein weiteres Wort zurück. Während sie die vielen Steinstufen wieder hinabstieg, wünschte sie, ihre Herrin würde sich ein einziges Mal gehen lassen. Sie wünschte, Elisabeth würde einmal schreien oder weinen oder einmal aus tiefstem Herzen lachen. Doch die Fürstin schien nichts von alledem zu können.
Maria hatte noch niemals erlebt, dass Elisabeth ihre Stimme gegen irgendjemanden erhoben hatte, stets sprach sie leise und mit Höflichkeit, sie bat, wenn sie etwas wollte, und befahl nicht und im Gegensatz zu anderen Lehnsherrngattinnen hatte die Fürstin keine Launen. Aber weil Elisabeth keine Herzlichkeit an den Tag legte und ihre Kälte und Unnahbarkeit ihren Dienstkräften und Abhängigen unheimlich blieb, gehorchten sie ihrer Herrin zwar widerspruchslos, besaßen ansonsten jedoch keine engere Verbindung zu ihr. Auch Maria ertappte sich immer wieder dabei, dass sie Elisabeth übersah oder ihr gar aus dem Weg ging, weil die Begegnungen mit ihr meist zäh waren und es eine große Anstrengung bedeutete, herauszufinden, was die Fürstin bewegte.
Oberflächlich betrachtet war Elisabeth eine untadelige Burgherrin, die ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllte, ohne sich jemals zu schonen. Aber dennoch drängte sich Maria oftmals das Gefühl auf, als wäre der Fürstin im Grunde das gesamte Hofleben gleichgültig. Sie hätte sich jedenfalls niemals darüber gewundert, wenn eines Morgens die Kammern der Herrin leer und sie selbst für immer verschwunden gewesen wäre.
Allerdings fragte sich Maria immer wieder, was einer Frau wie Elisabeth eigentlich fehlen mochte. Die Fürstin war mit einem Mann verheiratet, der über ein riesiges Vermögen verfügte. Sie musste sich weder um ihre eigene Zukunft, noch um die ihrer Nachkommen Gedanken machen. Die Ehe verlief glücklich, so schien es zumindest von außen. Richard hatte keine illegitimen Kinder und falls der Fürst je eine Mätresse gehabt haben sollte, so war dies im Stillen und heimlich geschehen, so dass niemals etwas Derartiges bekannt geworden war. Elisabeth hatte ihrem Mann einen Sohn als Erben und dann noch eine entzückende Tochter geboren. Was konnte man denn mehr wollen?
Isabel hatte Recht, das fand auch Maria. Es war kaum zu verstehen, weshalb sich der Fürst und die Fürstin so nah standen. Im Gegensatz zu seiner Frau kannte Richard nämlich ganz und gar keine Zurückhaltung. Wenn ihm etwas nicht passte, dann polterte er ohne Zurückhaltung drauf los, aber wenn ihn etwas freute, dann konnte er auch aus vollem Hals heraus lachen. Und damals, nach der Geburt seiner Tochter, da hatte er sogar vor Maria seine Tränen nicht verborgen, die ihm vor Stolz und Rührung über die Wangen gelaufen waren. Es war nur wenige Tage nach Annas Geburt gewesen, als Maria eines Morgens mit dem neugeborenen Mädchen auf dem Arm die Kammern der Fürstin betreten hatte, in denen Elisabeth wegen ihrer Unreinheit für die Zeit des Wochenbettes schlafen sollte. Doch die Dienerin traf ihre Herrin nicht alleine an, denn auch Richard befand sich im Zimmer. Er war nicht einmal ordentlich angezogen und es war offensichtlich, dass er die Nacht nicht in seinem eigenen Bett verbracht hatte.
„Ich wollte nur rasch nachsehen, wie es meiner lieben Gattin geht“, murmelte er entschuldigend vor sich hin.
Maria aber sah ihn an. „Ihr könnt wohl nicht schlafen ohne Eure Frau“, meinte sie und dann lachte die Dienerin dermaßen frech in Richards Gesicht, dass der Fürst leicht errötete und abwinkte.
„Dir kann man doch wirklich nichts vormachen.“ Mit diesen Worten hatte er den Raum verlassen.
Mit all diesen Gedanken im Kopf stieg Maria langsam und nachdenklich die Steinstufen hinab. Sie hatte beinahe das untere Stockwerk des Herrenhauses erreicht, als ihr der Ziehbruder des Fürsten entgegen kam.
„Ach, Walter“, hielt sie den Mann auf, „Elisabeth würde gerne mit Euch sprechen. Später, wenn Ihr die Zeit dazu findet.“
Er nickte. „Sobald die letzten Gäste versorgt sind.“, versicherte er.
Und Maria kehrte zu Anna zurück.
Jenseits des Raumes, in dem der große Holzzuber für das Bad stand, führten etliche Stufen noch weiter in die tiefen Keller der Burg hinab. Dort unten, wo es selbst im Hochsommer niemals warm wurde, befanden sich im vorderen Teil die Vorratskammern, in denen Obst, Gemüse, Öle und Wein gelagert wurden. Doch der Gang zog sich weiter nach hinten bis in die Dunkelheit hinein, an mehreren riesigen Räumen mit gewaltigen Eisentüren vorbei. Markus behauptete seit jeher, dass es Kerker für Gesetzesbrecher oder aufständische Bauern wären, Anna jedoch bezweifelte dies, weil sie sich nicht daran erinnern konnte, dass in diesen Kammern jemals irgendjemand gefangen gehalten worden war. Ganz am Ende des unteren Ganges befand sich jedoch noch ein weiterer, sehr viel kleinerer Raum, der tatsächlich ein altes Verlies zu sein schien. Bereits als kleines Mädchen war Anna immer wieder heimlich in den Keller bis an die Tür jener Kammer geschlichen, doch sie hatte sich niemals dazu überwinden können, das Verlies zu betreten. Ein unangenehmer Geruch nach Moder und Schimmel drang aus dem düsteren Inneren heraus, lediglich durch einen schmalen, vergitterten Schacht fiel ein wenig fahles Tageslicht hinein. In die hintere Wand der Kammer waren zwei Eisenringe eingeschlagen und in einer Ecke türmten sich etliche verrottete Gerätschaften und Werkzeuge. Auch von Ferne erkannte Anna die Ketten und Nägel, die Eisenplatten und Schrauben, doch weil sie sich einfach nicht vorstellen konnte, welchen Zweck diese Geräte hätten, hatte sie eines Tages ihren Bruder danach gefragt: „Markus, was sind das für rostige Werkzeuge dort unten im Verlies? Wozu können sie benutzt werden?“
Und weil der Sohn des Fürsten dem Mädchen stets eine Antwort gab, erwiderte er unumwunden: „Mit diesen Werkzeugen kann man einem Menschen so viel Schmerz zufügen, dass er jede Frage beantwortet.“
„Schmerz zufügen?“, wiederholte Anna. Ihr Unverständnis war nicht geringer geworden. „Aber warum macht man das? Und welche Fragen soll er beantworten?“
„Nun ja.“ Markus suchte nach den richtigen Worten. „Stell dir vor, dass es gelungen ist, einen Gesetzesbrecher gefangen zu nehmen. Vielleicht jemanden, der etwas gestohlen hat, jemanden, der ein Kind entführt hat oder jemanden, der einen Anschlag auf den Kaiser geplant hat. Doch dieser Gesetzesbrecher weigert sich, etwas preiszugeben und schweigt zu allen Fragen, die ihm gestellt werden. Dann kann man ihn mit Hilfe solcher Geräte dort unten zum Reden bringen.“
„Und wenn er dennoch nichts preisgibt?“, wollte die kleine Schwester wissen.
Der Sohn des Fürsten schüttelte den Kopf. „Er wird reden“, versicherte er. „Niemand kann solch furchtbare Qualen ertragen.“
„Und Richard?“ Das Entsetzen stand in Annas Augen. „Lässt er …, ich meine, geschieht so etwas auch auf Bernadette?“
„Nein, niemals“, beruhigte Markus seine Schwester. „Vater besitzt überhaupt kein Recht dazu, irgendjemanden peinlich zu befragen. Wenn auf Bernadette ein gröberes Vergehen geschieht, muss er den Verdächtigen an den Hof des Landesherrn ausliefern, damit ihm dort der Prozess gemacht wird.“
„Aha“, erwiderte Anna, weil sie noch zu jung war, um zu begreifen, was ihr Bruder ein wenig altklug daher redete. Dennoch war sie zutiefst darüber beruhigt, dass solch grauenhafte Dinge auf ihrer Burg nicht stattfanden.
Walter klopfte leise gegen die dunkle Holztür. „Elisabeth?“
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