1 ...8 9 10 12 13 14 ...36 Die Fürstin legte ihre Hände auf seine nackten Schultern. „Was sind schon ein paar Monate?“, fragte sie leise. „Wir waren doch schon so oft getrennt.“
„Das ist es ja eben“, fiel Richard ihr ins Wort und wandte sich ruckartig um. „Wir waren schon so oft getrennt in all den Jahren. So oft. Und nun will ich einfach nicht mehr. Ich will nicht noch einmal aufbrechen müssen, irgendwohin in die Fremde, wo ich nicht weiß, was mich erwartet. Ich bin nicht mehr jung und du auch nicht. So viele Male musste ich auf Wunsch oder Befehl meines Herrn aufbrechen und nun will ich endlich einmal in Ruhe hier auf meinem eigenen Anwesen bleiben und mich meinen Pflichten als Burgherr widmen. Schließlich gibt es auch auf Bernadette genug für mich zu tun. Ist das zu viel verlangt?“
„Es wäre sehr dumm, wenn wir auch nur einen Teil unseres Lehens verlören, nur weil du dich stur stellst“, erwiderte die Fürstin. „Auch ich möchte nicht von dir getrennt sein, aber ich sehe einfach keine andere Möglichkeit, als dass du annimmst. Und wenn du erst einmal einen Auftrag von einer solchen Wichtigkeit zufrieden stellend ausgeführt hast, dann kannst du guten Gewissens darum bitten, aus dem Dienst des Kaisers entlassen zu werden. Auf diese Art und Weise müsstest du nie wieder aufbrechen und niemand wird deswegen argwöhnen, du wolltest dich deiner Verantwortung gegenüber deinem Herrn entziehen. Wäre dies nicht das, was du willst? Was wir beide wollen?“ Sie blickte ihren Mann geradewegs an. „Haben wir nicht immer davon geträumt, wirklich zusammen sein zu können, ohne Unterbrechung? Wer weiß, wie viele Jahre uns noch bleiben, ehe einer von uns …“
Elisabeth griff nach Richards Händen und zog ihn zu sich. „Bitte, Richard, nimm an. Riskiere nicht, in Ungnade zu fallen. Und wenn du zurückkehrst, dann wird Markus so weit sein, dass er Bernadette gemeinsam mit Judith übernehmen kann, Anna wird alt genug sein, um zu heiraten, und wir beide können uns ruhigen Gewissens auf irgendeines unserer kleineren Besitztümer zurückziehen, so wie wir es seit Jahren geplant haben.“
„Und das neue Land?“, fragte er leise. „Du weißt genau, dass neue Ländereien immer sehr viel Arbeit erfordern, bis alles seinen gewohnten Gang geht. Noch dazu, wo es so weit entfernt von hier ist.“
„Dann finde einen Regenten, der das Lehen für dich verwaltet“, schlug die Fürstin vor.
Richard allerdings schüttelte entschieden den Kopf. „Du weißt, wie viel Ärger ich mit meinen Vasallen habe. Ich habe gewiss kein Interesse an noch einem weiteren!“
„Dann setze jemanden ein, dem du bedingungslos vertrauen kannst.“
Richard seufzte. Sein Widerstand war nahezu gebrochen „Und wer ist deiner Meinung nach vertrauenswürdig?“, fragte er.
„Einer von Judiths Brüdern“, erwiderte Elisabeth nach einem kurzen Zögern. „Ihr Vater ist bereits dein Vasall, im Übrigen ein sehr treuer und zuverlässiger.“
„Das stimmt.“, gab der Fürst nuschelnd zu.
„Der Älteste wird irgendwann Florentina von Heinrich übernehmen, aber all die anderen sind noch ohne Besitz. Isabel gestand mir einmal, dass Heinrich und sie sogar fürchten, ihre Söhne würden eines Tages anfangen, einander nach dem Leben zu trachten, nur um an das winzige Erbe zu gelangen, das kaum für den Ältesten ausreicht. Wenn du nun einen oder gar mehrere von ihnen mit einem eigenen Land versorgst, gewinnst du mit Sicherheit sehr treue Vasallen, die es niemals wagen werden, sich gegen ihren Herrn, der darüber hinaus auch noch der Ehegatte ihrer eigenen Schwester ist, zu erheben. Und du hättest auf diese Art keine vermehrte Arbeit mit dem neuen Land.“
Richard erwiderte den Blick seiner Frau. „Weißt du eigentlich, wie sehr ich es hasse, dass du immer mit mir streiten musst?“, fragte er. „Selbst, wenn du Recht hast…“
„Markus könnte dich begleiten, wenn du nicht alleine reisen willst“, sagte die Fürstin nach einer kurzen Pause. „Sicher ist es nicht unmöglich, den Aufbruch um zwei oder drei Monate hinauszuzögern, damit er noch weiter zu Kräften kommen kann. Er scheint mir still und verändert durch die vielen Wochen, die er im Bett zubringen musste. Eine solche Unternehmung wird ihm mit Sicherheit sehr gut tun.“
„Und die geplante Eheschließung mit Judith?“, erwiderte Richard. „Sollen wir sie wirklich noch einmal aufschieben? Es wird allmählich Zeit. Das Mädchen ist bereits achtzehn Jahre alt.“
Elisabeth zuckte mit den Schultern. „Ein paar Monate mehr oder weniger sind doch vollkommen belanglos“, meinte sie ungerührt. „Wir verschieben die Heirat. Und ich werde mich in der Zeit eurer Abwesenheit gemeinsam mit Isabel darum kümmern, dass alles bereit ist und die Eheschließung so bald wie möglich vollzogen werden kann.“ Die Fürstin blickte zu Boden. „Das heißt also, du wirst den Auftrag annehmen?“, fragte sie schließlich leise.
Richard nickte. „In Gottes Namen werde ich annehmen und gemeinsam mit Markus aufbrechen.“
Nach ihrer Begegnung und der unbefriedigenden Unterredung mit ihrer ehemaligen Freundin Bianca war Annas Laune auf dem Tiefpunkt angelangt. Um sich aufzuheitern, trat sie noch einmal an die lange Tafel heran und kratzte die letzten Reste aus den Schüsseln und Schalen zusammen. Viel war nicht übrig geblieben.
„Wollt Ihr das?“ Maria trat an die Seite des Mädchens und streckte ihr zwei oder drei mit Honig glasierte Hühnerbeine auf einem kleinen Holzbrett entgegen. „Ich hab es nicht angerührt. Meine Augen waren wieder einmal größer als mein Magen. Und nun kann ich einfach nicht mehr.“ Sie hielt sich den Bauch.
„Ja, warum nicht?“, erwiderte Anna achselzuckend und fasste nach der Platte. „Von denen habe ich bislang sowieso noch keines gekostet… Die Gäste waren nämlich schneller als ich.“
„Nun, da hatten die Gäste dieses Jahr wohl großes Glück“, grinste Maria. „Ansonsten war nämlich Euer Bruder immer schneller als alle anderen.“
Anna musste ebenfalls lachen. „Ja, da hast du Recht“, gab sie zu.
„Also, lasst es Euch schmecken“, sagte ihre Dienerin, ehe sie sich beeilte, um den Küchenmägden beim Abtragen des Geschirrs behilflich zu sein.
Seit jeher hatte Markus essen können wie ein Stier, besonders aber in den Jahren seiner ausgehenden Jugend. Damals stürzte er sich ohne Rücksicht über die Schalen und Schüsseln, kaum dass diese aus der Küche heraus getragen worden waren. Und weil der Sohn des Fürsten, wie es so seine Art war, auch auf Festlichkeiten keine Zurückhaltung kannte, war für die anderen Gäste von den besten Köstlichkeiten oftmals nicht mehr allzu viel übrig geblieben.
Als ihn sein Vater Richard einmal wegen dieser Frechheit zur Rede stellte, erwiderte Markus lediglich: „Ich muss so viel essen, ansonsten habe ich keine Kraft zum Kämpfen.“
„Das Leben besteht nicht nur aus Kämpfen“, wies der Fürst seinen Sohn zurecht.
„Was denn noch?“, fragte Markus unschuldig und war bereits aus dem Raum hinaus, noch ehe sein Vater ihn zur Rechenschaft ziehen konnte.
Während Anna ein glasiertes Hühnerbein nach dem anderen verspeiste und die köstliche Soße mit ein paar übrig gelassenen und mittlerweile angetrockneten Brotkanten auftunkte, wünschte sie so sehr wie schon lange nicht mehr, dass ihr Bruder endlich nach Bernadette heimkehren mochte. Markus hätte es mit Sicherheit verstanden, sie aufzuheitern und wäre es nur dadurch, dass er ein paar derbe Späße auf Kosten der Gäste gemacht hätte.
Der Sohn des Fürsten war nicht auf den Kopf gefallen und leider noch weniger auf den Mund und so redete er, was immer ihm in den Sinn kam und war ohne Schwierigkeiten dazu in der Lage, eine ganze Festgesellschaft zu unterhalten. Die Gäste, von denen die meisten Markus nur hin und wieder erlebten, lachten über den Unsinn, den er zum Besten gab und dass der Sohn des Fürsten dabei auch ab und an über die Stränge schlug und ein wenig unverschämt wurde, nun, das verziehen sie ihm gerne. Dies mochte nicht zuletzt daran liegen, dass Markus das Gesicht eines Engels und den Körper eines Gottes besaß und es ihm, im vollen Bewusstsein dieser Tatsachen, ohne Mühe gelang, Frauen wie Männer gleichermaßen zu bezaubern. Diejenigen allerdings, die ihn besser kannten oder die sogar gezwungen waren, enger mit Markus zusammenzuarbeiten, wussten, dass der gutaussehende Sohn des Fürsten in Wahrheit ein launischer, jähzorniger und unbeherrschter Mensch war, dem man besser aus dem Weg ging, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, mit einem blau geschlagenen Auge oder ein paar Zähnen weniger heimzukehren.
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