Schollenbruch starrte ungläubig auf den modifizierten Emperor 200, dem Porsche unter den Computer Workstations im Skorpiondesign. Zum wiederholten Male drängte sich ihm der Gedanke auf, dass es seinem Peiniger nicht um Geld gehen konnte. Kostete dieser High-Tech-Designer Sessel mit seinen drei auf Augenhöhe schwebenden Monitoren und integrierter Sitzbelüftung doch schlappe 45.000 Dollar. Für gutbetuchte Gamerfreaks und Kommunikationsjunkies offenbar kein Hinderungsgrund. Peanuts eben, wie Hillmar Kopper sagen würde.
Sein Sohn hatte gar nichts gesagt, als er ihm eines der ersten Exemplare in den Hobbyraum gestellt hatte.
Undankbarer Bastard.
„In wenigen Minuten werden Sie zum ultimativen Finanzexperten dieses Planeten avancieren“, dozierte die Maske enthusiastisch.
„Und die ganze Welt wird Sie dabei unterstützen.“
Eher sterbe ich, schoss der Gedanke siedend heiß durch Schollenbruchs Eingeweide. Tränen füllten seine Augen. Er versuchte sich zu bewegen, sich mit den Fingernägeln die Adern aufzureißen, oder den Schädel an der gegenüberliegenden Wand einzurennen, musste aber feststellen, dass ihm seine Muskulatur nicht mehr gehorchte.
„Sollten Sie sich im Livechat auf Allgemeinplätze zurückziehen oder versuchen die Webgemeinde zu täuschen, werden Sie mit einem kleinen Stromschlag angespornt, sich Ihrer historischen Aufgabe mit der erforderlichen Begeisterung zu widmen.“
Schollenbruchs Unterkiefer zuckte.
„Die Höhe des Stromschlags wird dabei von einem Administrator veranschlagt, der den User auf die möglichen körperlichen Schäden hinweist, die Sie, mein Wertester, davontragen werden.“
Die Maske glitt auf Schollenbruch zu.
„Ich lege Ihr Leben in die Hände der Welt.“ Schollenbruch spürte einen kleinen Stich im Unterarm und riss erstaunt die Augen auf.
Guy Fawkes „Das Paradies ist einen Klick entfernt“, nahm er schon mit in die aufziehende Dunkelheit, die sein furchtsam zitterndes Bewusstseins einhüllte. Seine letzten Gedanken kreisten um ein gesichtsloses Monstrum namens Webgemeinde und gespenstisch leuchtende „Gefällt mir“ Buttons, die sich wild durcheinander wirbelnd in Zahlenreihen aus Einsen und Nullen aufzulösen begannen.
Die Zelle hatte eine Größe von 5x2 Metern. Ausgestattet mit einer Edelstahlkloschüssel von einer Ästhetik, wie man sie schlimmer nur bei der Bahn fand, einer Pritsche und zwei Überwachungskameras. Außen an der massiven Stahltür hingen laminierte DinA4 Bögen mit der Aufschrift:
„Zutritt nur ohne Waffe.“ Und: „Handys und Feuerzeuge abgeben.“
Mit dem Rücken zur Zellentür saß Nummer 7 im Schneidersitz auf ihrer spartanischen Schlafstätte. Vor ihr lag ein abgegriffenes, altes Kinderbuch. Der Struwwelpeter. Jemand hatte sich auf der Vorderseite eine Notiz gemacht.
Paulinchen, 11:30 Uhr. OSX.
Nr. 7 starrte auf das vergitterte kleine Rechteck, das ihr einen kleinen Ausschnitt vom strahlend blauen Himmel gewährte. Ein zufälliger Beobachter hätte dieses friedliche Bild für eine Momentaufnahme aus einem Kloster und sie für eine geschundene Managerin auf der Suche nach Kontemplation halten können.
„Nr. 7, treten Sie von der Tür zurück. Stellen Sie sich mit dem Gesicht zum Fenster. Die Hände auf den Rücken.“
Die Stimmen wechselten, die Kommandos waren stets die gleichen.
Was für grausam sprachverstümmelte Geschöpfe.
Wieder einmal würde man sie in eines dieser aseptischen Verhörzimmer bringen. Wieder einmal würde man sie mit allem Nachdruck befragen. Und wie bisher würde sie sich auf ihr Zeugnis-verweigerungsrecht berufen. Sie hatte sich auf eine Insel in den Tiefen ihrer Seele zurückgezogen. Hatte den empfindenden Teil ihres Bewusstseins dort zurückgelassen und war mit der logischen Hülle zurückgekehrte um die Zeit bis zu ihrer inneren Wiedergeburt zu überbrücken. Dieses Ritual gab ihr die Möglichkeit handlungsfähig zu bleiben, begann sie aber auch zu ermüden. Ihr war klar, dass sie mit diesen Spiegelfechtereien kostbare Zeit verschwendete. Zeit, die Karl das Leben kosten konnte. Ihre Gedanken kreisten geradezu manisch um ihren Verlobten.
Wo war er? Lebte er überhaupt noch?
Immer wieder führten sie ihre Gedankenspiralen an diesen einen, alles entscheidenden Punkt.
Lebte Karl noch?!
Sie hätte vor Wut laut aufheulen können. – Ja, sie war wütend, trotz allem. Wütend auf ihn. Dieser Überfall auf Franz war nicht nur eine in hohem Maße infantile, sondern auch kriminelle Idee gewesen. Diese Denkzettelnummer würde sie ihm nie verzeihen können, das wusste sie. Gleichzeitig quälten sie Schuldgefühle, weil sie es nicht geschafft hatte, Karl diesen Irrsinn auszureden und mit ihrem plötzlichen Auftauchen das tödliche Chaos erst ausgelöst hatte.
Gut gemeint ist der Tod von gut gemacht.
So wörtlich hatte sich dieser Spruch wohl noch nie genommen. Tränen liefen ihr über die von der Heilsalbe seidenmatt glänzenden Wangen.
Wie immer spürte sie den Luftzug im Nacken, als die schwere Stahltür geöffnet wurde. Sie war gut vorbereitet und hatte ihre Reflexe unter Kontrolle. Jahrelange Meditationspraxis hatte sie bewahrt, an erniedrigenden Situationen wie dieser zu zerbrechen. Sie spürte den kalten Stahl der Handschellen ihre Handgelenke umschließen und zog sich zurück auf ihre Insel.
„Umdrehen“, befahl die Stimme knapp. Sie gehorchte. Sie war jetzt ganz ruhig. Karibisch klares Wasser umspülte ihre nackten Zehen. Mitleid mit dem sehr einfach gestrickten Geschöpf hinter ihr überflutete ihr Bewusstsein. Wie wenig diese Menschen wohl von dem sie umgebenden Leben wahrnahmen?
Es sieht doch jeder nur was er versteht. – Karl...?!
Die Beamtin führte sie hinaus auf den Flur. Ein Putzmann zog pfeifend seine Bahn. Nr. 7 stutzte. Irgendwie kam er ihr vertraut vor.
Langsam wirst Du paranoid, meine Liebe.
Sie schüttelte sich, als könnte sie damit dieses absurde Gefühl loswerden, gerade so wie eine Katze ihre Flöhe.
Die Beamtin drängte sie weiter und sie wäre beinahe gestolpert, als der Putzmann sich kurz aufrichtet und ihre Blicke sich trafen.
"Ach", sagte die Maus," die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe." "Du musst nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie. Franz Kafka
Nach den turbulenten Ereignissen der letzten Stunden genoss Jack die Ruhe. Dankbar füllte er seine Lungen mit der würzigen, frischen Luft. Einer Mischung aus Kiefernnadeln und einem Potpourri aller möglichen Blumendüfte, die dem Blumenladen Benthaus am Nordeingang des Hauptfriedhofs entströmten.
Es war kaum eine Minute vergangen, seit er den Konferenzraum der Feuer- und Rettungswache 1 verlassen hatte. Es hatte Jack ein diebisches Vergnügen bereitet, an Rodgaus Fahrer in seinem Rüsselsheimer Streifenwagen vorbei zu marschieren. Mit dem Wagen wären sie in 4 Minuten im Polizeipräsidium an der Adickesallee gewesen, wo das BKA ihre Kommandozentrale für die Sonderkommission Nemesis eingerichtet hatte. Für Jacks Geschmack viel zu früh.
Er brauchte Zeit. Er brauchte einen Schlachtplan. Er hatte keine Lust, eine möglicherweise unschuldige Frau mit seinen völlig unkoordinierten „Verhörmethoden“ in Schwierigkeiten zu bringen.
Und was, wenn Sie eine Terroristin ist?
Jack fröstelte, trotz der vor sommerlich warmen Temperatur.
Hatte am Ende Sie dem Rastalöckchen das Gesicht weggeblasen?
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