Anaya hob die Hand: „Bitte, ich denke, wenn die Kleidung ein Grund für den Anstoß ist, so werden wir dem Abhilfe schaffen können, indem wir uns Euren übrigen Gästen anpassen. Es ist nicht so, dass wir noch nie in höfischer Gesellschaft verkehrt hätten. Im Gegenteil, einige von uns sind dort sogar beinahe zu Hause.“
„Vielleicht seid Ihr so freundlich und weist uns den Weg zu einem angemessenen Schneider.“, fügte Jiang hinzu.
Oh Mist, dachte ich, weil das bedeutete, dass ich ihre Kleider bezahlen durfte. Irgendwie hatte ich gehofft, davon verschont zu bleiben.
Enid nahm die Antwort sichtlich erfreut zur Kenntnis, da wir anderen zustimmend genickt hatten. „Das erleichtert mir die Entscheidung, doch es gibt noch weitere Faktoren, für die ich zusammen mit euch eine Lösung finden muss.“
Sie deutete auf unsere zahlreichen Waffen, die wir trugen: „Ihr seid für einen Krieg gerüstet. Obwohl ich natürlich weiß, dass wir uns im Krieg befinden, könnt ihr derart bewaffnet nicht in unserem Haus wohnen.“
Jetzt musste ich mich doch einmischen: „Aber was ist mit den Bogenschützen? Ihr erwartet doch nicht, etwa, dass wir uns ohne Waffen nach draußen wagen?“
„Was Drakkan damit sagen will ist, dass wir tatsächlich in der Lage sein wollen, uns selbst zu verteidigen. Wenn ihr jedoch darauf besteht, dass wir unsere Waffen abgeben, fürchte ich, wird es schwierig werden, zu einer Einigung zu finden.“
Enid überlegte eine Weile, ehe sie antwortete: „Ich kann verstehen, dass ihr in diesen Zeiten nicht darauf verzichten wollt, aber unsere übrigen Gäste könnten sich dadurch bedroht fühlen und das kann ich nicht erlauben. Ich will euch gestatten, die Waffen mit auf die Zimmer zu nehmen, wenn ihr mir bei eurer Ehre schwört, sie nur dort oder außerhalb unserer Mauern zu führen.“
„Das wollen wir gerne tun.“, erwiderte Anaya: „Wenn ihr im Gegenzug für unsere Sicherheit garantiert und die Nutzung der Waffen zur Selbstverteidigung davon ausgenommen ist.“
„Seht ihr das alle ebenso?“, fragte Enid mit Blick auf mich.
Das gefiel mir überhaupt nicht, und so zögerte ich einen langen Augenblick, ehe ich nickte. Auf meine Ehre schwören? Von mir aus. Ich hatte keine.
„Die beiden Männer in den Roben, die ihr im Hof bemerkt haben, sind Arkanisten, die mir berichtet haben, dass wenigstens zwei von euch über arkane Kräfte verfügen. Ich muss darauf bestehen, dass ihr diese nicht innerhalb der Mauern der Herberge anwendet.“
Jiang und ich stimmten ihr zu, sofern wiederum erlaubt war, dass wir uns selbst verteidigten. Ich war erstaunt darüber, dass sie Anayas Fähigkeiten nicht entdeckt hatten. Aber gleichzeitig war ich äußerst froh darüber. Das konnte ein Trumpf sein, den wir noch gut gebrauchen konnten.
„Dann will ich nur noch zwei Dinge mit euch besprechen. Das eine betrifft euer Kargat.“, sagte sie zu mir gewandt: „Das Tier ist extrem gefährlich und wir müssen es einsperren, so lange ihr hier seid. Ich kann euch unmöglich erlauben, es frei herumlaufen zu lassen.“
Shadarr knurrte dabei böse, so dass sich Enid erschrocken herumdrehte.
„Das wird nicht notwendig sein.“, widersprach Anaya, die mir damit zuvorkam: „Shadarr ist kein Tier. Er ist ebenso intelligent wie wir und wird selbstverständlich niemandem etwas antun.“
Enid sah nicht überzeugt aus.
„Ich bürge für Shadarr. Er wird niemandem etwas tun, wenn er nicht selbst zuerst bedroht wird. Seht ihn als zusätzlichen Schutz für Eure Herberge an.“
„Ich weiß nicht.“, gab Enid zurück: „Er muss auf jeden Fall für unsere Gäste unsichtbar bleiben. Ich möchte niemanden verängstigen. Aber gut, wenn er im Stall bleibt, soll das in Ordnung gehen. Sollte sich jedoch jemand beschweren, muss entweder er gehen oder ihr alle.“
Ich nickte und Shadarr schnurrte sanft wie eine Katze. Enid blickte ihn überrascht an: „Ich glaube wirklich beinahe, er versteht uns.“
‚Shadarr schlau.’
‚Ich weiß’, gab ich zurück.
Laut sagte ich: „Ja, in der Tat, das tut er. Und er spricht auch mit mir.“
Enid sah überrascht aus: „Sollte das wirklich die Wahrheit sein, dann entschuldigt bitte meine Ablehnung bei ihm.“
‚Shadarr nicht böse’, knurrte er leise.
„Er ist nicht böse. Ich denke das bedeutet, er nimmt Eure Entschuldigung an“; übersetzte ich für ihn.
„Dennoch können wir ihn nur im Stall unterbringen, denn ich fürchte, unsere Räume sind für seine Bedürfnisse einfach nicht geeignet.“
„Das sollte kein Problem sein, sofern er nicht wie ein normales Reittier eingesperrt wird.“
‚Außerdem würde das eh nicht nutzen’, dachte ich. Überrascht empfing ich von Shadarr ein amüsiertes Gefühl, das ich von ihm so nicht kannte. Leider hatte ich gerade keine Zeit, ihn danach zu fragen.
„Es wäre sinnvoll, wenn seine Unterbringung nicht direkt neben den Pferden läge. Wenn sie ihn wittern, drehen sie durch.“, fügte ich laut hinzu: „oder er frisst sie.“
„Wir werden ihn in einem separaten Stall einquartieren, ebenso wie die Nachtmahre. Das sollte keine weiteren Schwierigkeiten bereiten. Bitte sorgt jedoch dafür, dass er nicht über den Hof läuft und Gäste erschreckt.“
Ich nickte zustimmend und auch Shadarr grollte leise, was Enid einen beunruhigten Blick entlockte. Ich konnte es ihr nicht verdenken, auch wenn sie sich gut unter Kontrolle hatte.
„Dann wäre da noch ein letzter Punkt.“, fuhr Enid fort: „Unser Haus ist nicht billig. Ich nehme an, das wisst ihr, doch ich muss wissen, ob ihr unsere Preise bezahlen könnt.“
Das war leicht. Ich seufzte, als mich die anderen ansahen. Da ging er hin, mein Reichtum. Vorsichtig holte ich einen kleinen Beutel aus meinem Gepäck hervor. Ich legte ihn auf den Tisch und öffnete die Knoten, die ihn geschlossen hielten. Dann zog ich die Enden auseinander, so dass Enid einen Blick auf den roten Sand darin werfen konnte, der wie immer strahlend funkelte.
Sie machte große Augen: „Oh, das ist natürlich etwas anderes. Dann ist das geklärt. Ich freue mich, euch in der Herberge Zum roten Baum willkommen zu heißen. Genießt euren Aufenthalt so lange ihr in unserem Hause weilt. Wir gewähren euch das Gastrecht und hoffen, ihr fühlt euch hier wohl.“
„Wir brauchen sechs Zimmer und ich denke, auch einen privaten Speisesaal. Zumindest bis unsere Kleidung fertig ist. Drei Plätze für die Nachtmahre im Stall und ein Quartier für Shadarr.“
„Ihr erwartet noch weitere Gäste?“, wollte Enid verwundert wissen: „Aber warum für ein leeres Zimmer bezahlen. Wir werden auf jeden Fall genügend Platz für einen weiteren Gast mit seinem Reittier haben. Macht euch keine Sorgen.“
„Also gut, dann fünf Zimmer und zwei Stallplätze.“, sagte Anaya freundlich: „Oh und falls ihr wisst, wie wir Meister Rahpenos am besten erreichen können, wären wir dankbar, wenn ihr einen Boten entsenden würdet.“
Enid verzog nachdenklich das Gesicht: „Da kann ich euch tatsächlich weiterhelfen. Auch wenn sein Besuch nicht billig werden wird. Aber ihr habt Glück, denn die Gäste unseres Hauses haben Zugang zu allen wichtigen Einrichtungen und Persönlichkeiten der Stadt. Ihr genießt bevorzugte Behandlung und Privilegien in allen Teilen der Stadt.“
Das klang gut, denn so würden wir sogar noch Zeit sparen. Ich nickte Anaya zu, um ihr zu signalisieren, dass ihre Entscheidung diese Herberge zu wählen die Richtige gewesen war.
Sie lächelte sanft.
„Noch ein paar Dinge, die ihr über die Lage in der Stadt wissen müsst.“, begann Enid: „Seit wir im Krieg sind, hat es hier einige Schwierigkeiten gegeben. Die Knochenschützen sind nicht das einzige Problem, dass wir haben.“
Wir sahen sie alle misstrauisch an. In Gedanken betete ich schon für einfache Dinge wie Lebensmittelknappheit oder Preisanstiege. Leider waren es bedeutend ernstere Dinge, die sie uns erzählte.
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