1 ...6 7 8 10 11 12 ...32 Die Rampe war nur wenige Schritte lang, dann standen wir auf einer Brücke, die über uns an mächtigen Stahltauen in der Wand der Nadel befestigt war. Das Geländer bestand aus schlichten stählernen Seilen, die von den Haltetauen senkrecht nach unten verliefen. Mir war die Konstruktion nicht geheuer, aber sie schien stabil.
„Ich werde euch trotzdem sagen, welche Schwierigkeiten uns plagen. Der Rest der Stadt weiß ohnehin Bescheid. Der Befehl mag für uns Soldaten gelten, aber nicht für die Einwohner der Stadt.“
„Dann berichte uns. Wir werden Dich nicht verraten.“, warf Jiang in genervtem Tonfall ein.
„Wie ihr wünscht. Seit Morak unsere Grenzen überschritten hat, gibt es hier in der Stadt ei...“
Plötzlich zuckte er einmal und dann brach er würgend zusammen. Ein Pfeil war so tief in seinen Rücken eingedrungen, dass die Spitze vorne aus seiner Brust ragte. Mehr konnte ich nicht erkennen, für den Rest ging alles viel zu schnell.
„Knochenjäger! Verflucht!“, schrie Varin entsetzt: „In Deckung!“
„Wir müssen von der Brücke!“, rief ich den anderen zu, während ich meinen Schild vom Rücken riss.
Gerade noch rechtzeitig, schon bohrte sich ein Pfeil hinein.
Shadarr sprang in einem riesigen Satz vorwärts und fegte dabei gleich auch noch Varin von den Füßen. Anaya und Jiang waren mir auf ihren Nachtmahren dicht auf den Fersen.
Kmarr bettete die Magana in einen Arm, dann bückte er sich nach Varin und warf ihn sich auf die Schulter. Scheinbar mühelos trug er das Gewicht von beiden.
Shadarr galoppierte in weiten Sprüngen vorwärts, wenn es darauf ankam, konnte kaum jemand mit der Geschwindigkeit eines Kargat mithalten.
Vor mir fiel ein Mann von einem Pfeil getroffen mitten auf der Brücke um. Shadarr setzte über seine Leiche hinweg und erreichte sicher die andere Seite. Eine Frau kauerte sich hinter ein Fass und blickte angstvoll nach oben in den Himmel, sie sah uns überhaupt nicht kommen. Kurz bevor ich sie erreichte zuckte sie plötzlich und sackte dann in sich zusammen. Ein Pfeil hatte ihren Schädel an das Fass genagelt.
Ich sprang von Shadarrs Rücken und blieb auf der Straße stehen. Der Schild machte es unnötig, in Deckung zu gehen.
„Was geht hier vor? Ist es das, wovor die Soldaten uns warnen wollten?“, wollte Anaya wissen, die neben mir von ihrem Nachtmahr glitt.
„Keine Ahnung.“, gab ich ratlos zurück.
Leute rannten auf der Suche nach Deckung verwirrt umher. Doch sie hatten wenig Glück. Pfeile sausten aus der Dunkelheit heran und forderten weitere Opfer.
„Knochenjäger!“
„Da oben!“
Wir folgten den Rufen und blickten nach oben. Und tatsächlich, auf den Dächern der Häuser hoch über uns und auch auf den Häusern auf einigen der Brücken, standen bleiche, hagere Gestalten mit langen Bögen die auf jeden schossen, der sich bewegte.
„Bringt euch in Sicherheit!“
„Rennt um euer Leben!“
Kopflose Panik breitete sich überall um uns herum aus.
Im flackernden Licht der Stangenlampen, konnte ich die seltsamen Schützen nicht genau erkennen, aber sie waren in staubfarbene Mäntel gekleidet und auch ihre Bögen und das Wenige ihrer Kleidung darunter waren von dieser Farbe. Hätten sie sich nicht bewegt, sie hätten ebenso gut marmorne Statuen sein können.
Rings um uns herum ertönten ängstliche Schreie. Menschen rannten kopflos umher. Flüchteten ohne auf uns zu achten an uns vorbei in die Tunnel der Nadel. Auf den Brücken war die Situation noch verzweifelter.
In unserem Sichtfeld rannten die Leute so schnell sie konnten davon, doch die Pfeile der unheimlichen Schützen waren schneller. Es gab kaum Deckung und sie verfehlten fast nie ihr Ziel, auch wenn es hundert Schritte oder mehr entfernt war.
Anaya rannte geduckt zu der toten Frau hinüber, während ich Jiang Deckung gab, die begonnen hatte, hastig Symbole mit einem Pinsel in grüner Tinte auf den gepflasterten Boden zu zeichnen.
„Sie benutzen Pfeile aus Knochen.“, bemerkte Anaya überrascht, als sie die Leiche untersuchte.
Jiang fluchte und wischte einige Symbole weg: „Besorg mir Einen.“, kommandierte sie.
Kurzerhand riss Anaya den Pfeil aus dem Schädel der Frau heraus und reichte ihn Jiang. Diese brach ihn mit einiger Anstrengung entzwei und warf die Spitze auf die andere Seite der Symbole, die sie gezeichnet hatte. Keinen Moment zu früh, schon prallte ein Geschoss auf die unsichtbare Mauer, die von den Zeichen aus in die Höhe ragte.
Sofort begab ich mich mit Anaya in den Schutz der Barriere. Shadarr war in der Dunkelheit verschwunden, sobald ich von seinem Rücken geglitten war. Die Nachtmahre drängten sich zu uns und schnaubten ärgerlich. Ich musste sie mit Gewalt davon abhalten, die Leiche der toten Frau anzuknabbern.
Nur Kmarr war noch wenige Schritte von uns entfernt, als er plötzlich stolperte. Gerade noch so konnte er sich mit einer Hand abfangen, aber Varin rutschte dabei von seiner Schulter.
Der Soldat rollte ein paar Schritte herum, dann sprang er auf und rannte neben Kmarr zu uns hinüber.
„Bist Du in Ordnung?“, fragte ich Kmarr besorgt.
„Mir geht es gut, aber die Magana ist getroffen worden.“, erwiderte er mit düsterer Miene.
Anayas Kopf flog herum und sie kam sofort hinüber. Sie bückte sich zu der Magana hinunter und untersuchte die Wunde. Der Pfeil steckte in der linken Seite, drei fingerbreit unterhalb des Schlüsselbeins.
„Die Verletzung ist ernst, aber sie wird es überleben.“ Wir müssen sie sofort in Sicherheit bringen. Ich brauche heißes Wasser und saubere Tücher. Beides werden wir hier nicht finden.“
Sie machte sich daran, die Verletzung notdürftig zu versorgen, damit kein größerer Schaden entstand.
„Was sind das für Wesen?“, wollte Jiang unterdes von Varin wissen ohne aufzusehen.
Ehe Dieser antworten konnte, ertönte ein grauenhafter Schrei von einer Treppe über uns, dann landete ein menschlicher Körper unmittelbar neben mir auf dem Boden.
„Rede Mann!“, herrschte ich ihn an.
„Wi...wir nennen sie Knochenjäger, weil sie bleich gekleidet sind und ihre Pfeile aus menschlichen Knochen machen.“, antwortete er ängstlich: „Sie tauchen plötzlich auf, schießen auf jeden, der sich bewegt und verschwinden dann wieder, ehe die Wache reagieren kann.“
„Ihr habt noch nie einen gefangen?“, wollte Anaya ungläubig wissen, während sie sich weiter um die Verletzte kümmerte.
„Nein, jedes Mal sind sie weg, als ob sie sich in Luft auflösen würden.“, entgegnete Varin mit noch immer zittriger Stimme.
„Ihr habt nichts gefunden? Es bleibt nichts zurück?“, fragte Jiang ärgerlich: „Schlampig.“
„Ich weiß es nicht. Ich bin nur ein einfacher Soldat. Die Meister vom Ersten Orden untersuchen die Sache. Wenn jemand etwas weiß, dann sie.“, gab er verschüchtert zurück.
„Lass ihn in Ruhe Jiang.“, brummte Kmarr beruhigend: „Er kann nichts dafür.“
Sie wandte sich schnaubend ab und beobachtete die Schützen. Der Beschuss hatte praktisch aufgehört, da die Menschen entweder tot oder in Deckung gegangen waren. Von überall her ertönten jetzt die schweren Stiefel der Soldaten. Die Hälfte trug schwere Schilde, die anderen Bögen. Doch sie versuchten nicht, die Bogenschützen zu erreichen, sondern warteten nur ab.
Sie tauchten an den Kreuzungen der Gassen auf und versperrten sämtliche Wege und Durchgänge.
„Sie versperren ihnen die Fluchtwege.“, kommentierte ich das Geschehen.
„Das wird nichts nutzen.“, bemerkte Varin: „Die Schützen laufen nicht weg. Sie lösen sich einfach auf.“ Zornig blickte er in Richtung Brücke, auf der der Leichnam von Nanin lag: „Immer wenn wir sie fast erreicht haben, verschwinden sie einfach.“, bemerkte er bitter.
Und tatsächlich, wie auf das Stichwort verschwand einer nach dem anderen. Einen Augenblick war er noch da, dann war die Stelle an der der Bogenschütze, den ich gerade beobachtet hatte verschwunden.
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