Die Provokation der Mehrheitsgesellschaft ist eines der wichtigsten Elemente minderheitsspezifischer Insignien. Sie müssen provozieren und einen Konflikt auslösen, den es mit der Mehrheit gar nicht gibt. Dies führt unweigerlich zu einer Solidarisierung sogar der Mitglieder einer Gruppierung, die eben diese minderheitsspezifischen Insignien eigentlich ablehnen. Was natürlich ganz in Sinne der radikalen Mitglieder der betreffenden Gruppierung ist. Das Ziel von minderheitsspezifischen Insignien ist es, eine Gruppe geschlossen zu halten und Aufweichungserscheinungen entgegenzuwirken. Ein solcher Konflikt zielt daher auch eher auf die zu Abtrünnigkeit neigenden Mitglieder einer Gruppierung ab und nicht auf die radikalen Mitglieder. Deren Weltbild ist ohnehin geschlossen.
Minderheitsspezifische Insignien sind ein hervorragendes Instrument, um liberale Mitglieder einer Gruppierung auf die Seite der radikalen Mitglieder zu ziehen. Dieser Wirkmechanismus ist umso effektiver, je unbedeutender der Charakter der jeweiligen Insignie ist.
Was kann jemanden an einem Kopftuch schon aufregen? Genauso gut könnte man sich über ein Halstuch aufregen.
Aber genau hierin liegt die besondere Problematik von minderheitsspezifischen Insignien. Denn diejenigen, die bereits gegen ein Kopftuchverbot zu Felde gezogen sind, unterliegen nun dem Zwang, sich auch gegen ein Burka-Verbot auszusprechen. Sogar dann, wenn sie die Burka als solche ablehnen.
Reglementiert die Mehrheit solche minderheitsspezifischen Insignien, ist das immer mit Problemen und Widerstand verbunden, tut sie es nicht, ist das zunächst bequem. Allerdings werden die Probleme, die durch dieses Unterlassen zukünftig entstehen werden, noch weit größer sein. Denn aufbauend auf den tolerierten liberalen minderheitsspezifischen Insignien werden immer radikalere eingeführt. Die liberalen stehen dann gar nicht mehr zu Diskussion – sie sind etablierter Standard, welcher als selbstverständlich hingenommen werden muss. Stufenweise können so neue immer radikalere Standards etabliert werden. Die Mehrheit ist gut beraten, wenn sie nach dem Motto handelt: wehret den Anfängen. Es besteht für die Mehrheitsgesellschaft die Gefahr, dass ein Entgleiten der Kontrolle über einen Bevölkerungsteil einsetzt. Das Entgleiten ist meist schon viel weiter fortgeschritten als man denkt. Westliche Staaten neigen dazu, solchen Gruppierungen Minderheitsrechte einzuräumen. Eine zutiefst widersprüchliche Lösung, denn ein elementarer Grundpfeiler demokratischer Gesellschaftsmodelle ist der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Wenn man aber Minderheitsrechte einräumt, widerspricht man grundlegend diesem Gebot – mit weitreichenden Folgen.
Denn auch hier treten Aufweichungsprozesse ein. Einmal eingeräumte Rechte können nicht mehr zurückgenommen werden. Aber dadurch werden immer umfangreichere Rechte eingefordert.
Mit dem Einräumen von Minderheitsrechten ebnet man der Spaltung der Gesellschaft den Weg und macht sich selbst unglaubwürdig. Vor dem Gesetz sind dann eben doch nicht alle gleich!
Das Einräumen von Minderheitsrechten ist zunächst einmal der leichteste Weg. Eine Regierung wird von dem Druck, welchen eine Minderheit ausgeübt, zunächst entlastet und steht gleichzeitig noch als liberal und tolerant da. Allerdings öffnet sie damit die Büchse der Pandora: Denn wer Verbrechen wie Kindesmisshandlung und Körperverletzung in Form von Beschneidung von kleinen Jungen zulässt, muss sich nicht wundern, dass andere Minderheiten dann auch das Recht einfordern, auch die Beschneidung von Mädchen zuzulassen. Man liefert damit auch eine wunderbare Argumentationsvorlage für Dinge, welche mit dem eigentlich eingeräumten Recht gar nichts zu tun haben.
Wie soll man denn gegen körperliche Strafen zu Felde ziehen, wenn man auf der anderen Seite Straftatbestände für bestimmte Gruppierungen im Nachhinein legalisiert? Für Demokraten ist der Grundsatz „vor dem Gesetz sind alle gleich“ heilig. Wenn man aber diesen Grundsatz aufweicht, kann daraus nichts Gutes resultieren.
Man muss allerdings sagen, dass der Staat solchen Phänomenen praktisch machtlos gegenübersteht. Mit oder ohne Regelung kann er bestimme Praktiken nicht verhindern. Trotzdem ist die Legalisierung ein ausgesprochen schlechter Weg. Dadurch vermittelt der Staat den Eindruck, als hätte er die Macht, darüber zu entscheiden.
Eigentlich ist es aber ein Zeichen des kompletten Kontrollverlustes über bestimmte Gruppierungen. Er kann nicht verhindern, dass beispielsweise Körperverletzungen wie Beschneidungen auf dem eigenen Territorium durchgeführt werden oder er kann nicht verhindern, dass Tiermisshandlungen in Form von Schächten stattfinden.
Man neigt dazu, den Schein von Kontrolle über ein Hintertürchen zu wahren. So wird beim Schächten eine vorherige Betäubung des Tieres gesetzlich verlangt. Allerdings ist der Staat kaum in der Lage (vermutlich auch gar nicht gewillt), dies tatsächlich zu kontrollieren. Aber er demonstriert, dass man sozusagen noch Herr im eigenen Haus ist. Wenn ich etwas nicht verhindern kann, tue ich wenigstens so, als hätte ich die Macht, darüber zu entscheiden. Allerdings wird dieses Vortäuschen von Macht von weiten Teilen der Mehrheitsbevölkerung auch als solches bemerkt, was die Gräben zwischen Mehrheit und Minderheit noch vertieft.
Evolutionär gesehen ist dies aber erstaunlicherweise eher vorteilhaft für die Minderheit. Je größer die Differenzen zwischen Minderheit und Mehrheit, desto besser sind die Verdrängungsbedingungen für die Minderheit.
Je mehr sich die Minderheit der Mehrheit annähert, desto schwieriger wird es für sie, Verdrängungsprozesse in Gang zu setzen und umso mehr läuft sie Gefahr, selbst verdrängt zu werden. Das heißt, eine Minderheit kann durch die Einführung von minderheitsspezifischen Insignien nur gewinnen.
und die Mehrheitsbevölkerung nur verlieren.Toleriert die Mehrheitsbevölkerung die minderheitsspezifischen Insignien, werden diese immer radikaler, geht sie dagegen vor, entfacht sie einen Konflikt zwischen Minderheit und Mehrheit. Die Mehrheit zieht also sozusagen immer den Kürzeren, egal wie sie sich verhält. Diese spezifische Problematik gibt es in erster Linie nur in westlichen Ländern. Diese sind für Verdrängungsprozesse besonders anfällig.
Dies liegt zum einen daran, dass die meisten dieser Länder in den vergangenen Jahrhunderten zu den Verdrängern gehörten und selbst kaum Verdrängung unterlagen. Daher stehen sie entsprechend hilflos da. Zum anderen sind die Verdrängungsbedingungen in demokratischen, auf Gleichheitsgrundsätzen basierenden Gesellschaften für die Verdränger-Gruppierung besonders gut.
In demokratischen westlichen Länder gibt es einen gesellschaftlichen Konsens von Meinungsfreiheit, Gleichheit, Toleranz, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Redefreiheit und Ähnlichem. Diese Grundsätze werden zwar von vielen Verdränger-Gruppierungen benutzt, um ihre Ziele zu erreichen, aber in ihren eigenen Gruppierungen gelten sie nicht oder nicht in dem Maße. Das heißt, westliche Länder fördern ihre Verdränger noch, indem sie ihnen einen Zug zur Verfügung stellen, auf den sie bereitwillig aufspringen, aber nach Erreichen ihrer Ziele auch wieder abspringen.
Der große Irrtum des „Westens“ liegt darin, dass man glaubt, diese Gruppierungen würden auf dem demokratischen Zug weiterfahren – das wird aber nicht der Fall sein. Was wir als Toleranz und Individualismus bezeichnen, nehmen andere Gruppierungen als Dummheit und Feigheit wahr und als Beweis für die Überlegenheit ihrer eigenen Ideologie.
Eine Frau könnte sich völlig unbedenklich in einer Burka durch London, Paris oder Berlin bewegen. Das gleiche könnte sie kaum in einem Minirock in Mekka, Riad oder Teheran tun. Keine Frau käme auch nur auf die Idee, so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen. Evolutionär gesehen, ist der Tolerantere der Dümmere – und so etwas wie Gleichheit oder gar Gerechtigkeit existiert in der Evolution überhaupt nicht.
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