Sie sah ihn mit leicht seitlichem Blick misstrauisch an und meinte schließlich stur gerade heraus. „Flirten Sie etwa gerade mit mir? Beziehungsweise versuchen es?“
Tatsächlich wurde er rot, zwar nur leicht, aber sie hatte wohl ins Schwarze getroffen. Bekanntlich schlug in solchen Lebenslagen immerzu das Schicksal zu und warf alles gänzlich durcheinander, auch hier und jetzt. Das Telefon des Kommissars klingelte, eine Ausweichmöglichkeit, die er nur zu gern nutzte.
„Drewes.“ Meldete er sich und wandte sich etwas von ihr ab. Wohl war es unangebracht zu lauschen, aber es nicht zu machen ging ihr zu sehr gegen die eigene Natur. Außerdem war es beinahe unmöglich, weil er gar nicht versuchte leiser zu sprechen.
„Hey Partner…ja ich bin noch an der Schule.“ Er ging sich durch die Haare. „Nein…“ Fuhr er fort. „…wirklich? Das ist eine gute Nachricht. Ich werde so schnell wie möglich zu dir kommen. Bis dann.“
Dann legte er auf und wandte sich grinsend zu ihr um. „Ruby Cavillo, Sie haben mich voll ertappt. Ich hoffe Sie empfinden es nicht als zu aufdringlich, aber ich wollte Sie fragen ob Sie mit mir vielleicht mal einen Kaffee trinken wollen?“
„Wie, Sie wollen mit mir einen Kaffee trinken gehen?“ Ihre Überraschung war echt und viele Fragen wanderten ihr ruckartig durch den Kopf.
„Ich bedauere es, aber die Arbeit ruft, ich habe keine Zeit mich zu erklären. Ganz schnell, ja oder nein?“
Eine Weile stand sie da, mit offenem Mund und bekam keinen Laut zustande, doch dann nickte sie und erwiderte ganz automatisch. „Ja, gern.“
Sein typisches Grinsen erleuchtete wieder, worauf alle Zweifel wie futsch waren. „Wunderbar, bis dann.“ So schnell wie er gekommen war so schnell war er wieder verschwunden und erst als er schon längst davongefahren war, fiel ihr auf, dass sie gar keinen Termin abgemacht hatten oder gar die Telefonnummern ausgetauscht hatten.
Inständig fragte sie sich im Inneren, ob es nicht an der Zeit war, einfach alles fallen zu lassen und irgendwo anders neu anzufangen. Ihr persönlich war das im Moment alles etwas zu verrückt. Nein utopisch!
Nichts ging über ein Glas Wein am Abend, einem Blick auf die untergehende Sonne und der Genugtuung, die ein solches Spektakel mit sich brachte.
Wenn sie wüssten, wenn sie alle nur wüssten.
Denn das was sie zu wissen meinten war höchstens der Anfang, die angekratzte Schale, der Gipfel des Eisberges, sonst nichts. Oder besser sie wussten nichts.
Alles würde sich verändern. Veränderungen waren gut. Veränderungen bedeuten Sicherheit. Es würde sich alles verändern.
Nichts wussten sie, niemand, keiner verstand es, würde es jemals verstehen! Einsehen, dass das was hier getan wurde eine Mission war, wichtig für die gänzliche Gesellschaft!
Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das änderte. Es gab kein Zurück mehr, woran auch niemals ein Gedanken verschwendet wurde; jetzt war der Anfang getan. Der Anfang, die erste Gefolterte, die zur Leiche wurde, die zum Anschauungsprodukt geworden war; einfach grandios, genau wie dieser Wein.
So schmackhaft, beinahe wie der eiserne, rote Lebenssaft von der adretten Mia-Sophie. Die Süße war ideal gewesen, allerdings war sie nicht so fehlerlos zäh wie anfangs gedacht. Leider hatte sie nur drei Tage durchgehalten, dann musste sie erlöst werden. Nun ja, um bei der Wahrheit zu bleiben, sie wollte erlöst werden.
Ein Schmunzeln umspielte die von Wein befleckten Lippen.
Oh ja, die flehenden Laute nach Erlösung. Der Wunsch nach dem Erlöser dem Tod. Ein Geist der nach den Strapazen der Qualen nach Hilfe geschrien hatte und die ihr keineswegs verweigert werden sollte.
Nein.
Wenn sie es wünschte dann sollte es auch so sein.
War das nicht nett? Sie zu erlösen, ohne auch nur Wehmut zu bekommen, weil sie so schnell aufgeben hatte?
Ein krankes Lachen quoll aus der Kehle, durch die gerade noch der Wein geschlossen war.
Was sollte man schon sagen? Der Anfang dieser wunderbaren Idee in dieser Stadt war gemacht worden, nichts schien diese aufhalten zu können. Ohne Frage würde sie fortgeführt werden, wie jedes Mal. schließlich waren die nächsten Schritte für den nächsten weiblichen Gast bereits eingeleitet.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, ein Warten von Stunden, bis das nächste Anschauungsobjekt auf dem Tisch angekettet wäre und seinen Soll erfüllen würde.
Ein freudiges Glucksen entfleuchte nochmals der Kehle, die den letzten Schluck des blutroten Weines in sich aufnahm.
„Ein vorzüglicher, feiner, exquisiter, verführerischer Vorgeschmack auf das Kommende.“
Laut ertönte die quietschende Hupe von Rubys Kleinwagen, da die alte Lady vor ihr nicht in die Gänge kam. Wieso fuhr eine alte Oma um diese Uhrzeit überhaupt noch mit ihrem Auto in der Gegend herum, fragte sie sich aufbrausend, als sie als Antwort nur den Mittelfinger der Dame zu sehen bekam.
Es war dunkel geworden, genauer es war schon nach zehn Uhr am Abend, als sie sich endlich dazu entschlossen hatte sich bei Lauren zu entschuldigen. Dieses ewige Hin und Her ging ihr zwar dermaßen auf die Nerven, genauso wie die Tatsache, dass es schon wieder ein großes Rätsel war wo Lauren steckte, aber sie fühlte sich schlecht wegen ihrem Streit. Sie hatte ein solch schlechtes Gewissen, dass sie den Tag über nichts mehr auf die Reihe bekommen hatte. Und bevor sie weder ihre täglichen Fotoshootings noch andere Tätigkeiten nicht mehr erledigen konnte, wollte sie alles lieber bereinigen.
Komisch, dachte sie sich, wie rasch einige aufeinander folgende Ereignisse ein recht kontrolliertes Leben durcheinander wirbeln konnten. Vielleicht hätte sie ihr eigenes Leben erst noch richtig sichern sollen, bevor sie sich daran versuchte ein anderes Leben zu beaufsichtigen. Genau diese Zweifel haben sie den ganzen Tag über nicht ruhen lassen und ehe sie nur tatenlos herumlungern würde, würde sie jetzt endlich dieses Gespräch mit Lauren führen.
Sofern sie sie bald erreichen würde.
Abermals musste sie an einer Ampel halten, als sie auf einmal aus ihren Gedanken gerissen wurde. Ihr Handy läutete laut, aber wo? Es war dasselbe Schauspiel wie so oft, sie suchte und suchte, bis sie das nervende Ding am Ende in irgendeinem Winkel des Autos fand. Und nachdem sie sich darüber erbost hatte die Grünphase verpasst zu haben, nahm sie den Anruf entgegen. Natürlich hatte sie vorher nicht auf das Display gesehen, wer sie um diese Uhrzeit noch erreichen wollte.
„Ja?“
„Ruby, kannst du bitte einen netten Ton anschlagen, wenn du deine Mutter begrüßt?“
„Mutter? Seit wann rufst du mich auf meinem Handy an?“
Als Antwort kam – keine Frage – ein Vorwurf. „Zuhause kann ich dich ja nicht erreichen. Was machst du nur wieder?“
„Ich muss noch was erledigen und das ist sehr dringend. Deswegen habe ich keine Zeit mit dir zu telefonieren.“ Freilich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann dieser Anruf eingehen musste. Zwar hatte sie es wegen den Umständen vergessen oder auch verdrängt, aber dies war der Montagskontrollanruf ihrer Mutter. Meistens ging es darum, ob Ruby auch ihrer Pflicht nachgegangen war und am Sonntag in der Kirche war. In den meisten Fällen log sie einfach; andererseits spielte sie dabei mit dem Feuer, denn ihre Mutter müsste nur den Pastor in der Kirche in der Nähe von Rubys Haus fragen, ob sie tatsächlich da war. Ein Glück, dass sie weggezogen war und nicht in das gleiche Gotteshaus wie ihre Mutter gehen musste.
Das hatte einiges leichter gemacht. Sie hätte aber besser gleich ans andere Ende des Landes ziehen sollen.
„Die Zeit wirst du dir nehmen.“ Ruby murmelte einzig und allein etwas Unverständliches, da sie ihr Handy zwischen Ohr und Schulter klemmte, damit sie weiter fahren konnte. Ihr Ziel war, genau wie heute Morgen, die Wohnung von Lauren. Bloß dieses Mal würde sie nicht den Fehler begehen mit der Mutter zu kommunizieren.
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