Mirini steht mit abgewandtem Kopf, wenn sich die Männer des Haushalts neben ihr erleichtern. Sie weiß, was dort zu sehen ist, und sie weiß auch, was es bewirkt, wenn sich die Hand einer Frau sanft darauflegt. Sie hat es gesehen bei Drobar in der Nacht, bevor sie ausgeritten sind auf ihren letzten Feldzug. Er ist sanft und liebevoll zu ihr gewesen, hat sie auf sein Bett gezogen, seinen Arm um sie gelegt und sie zurückgehalten, als sie die Schnüre ihres Kleides hat öffnen wollen. Das muss sie nicht tun, er möchte nur eins von ihr. Dass sie ihre Hand dort hinlegt, wo er bisher nur seine eigene gespürt hat. Sie hat es getan, und was es bewirkt hat, hat sie überrascht. Sie hat sein leises Stöhnen gehört, sanft ihre Finger bewegt, er hat ihren Mund gesucht und sie zärtlich geküsst. Seine Hand unter ihr Kleid geschoben und sacht über ihre Beine gestrichen. Sie hat ihre Hand um ihn geschlossen, ihn sanft massiert und er ist in ihrer Hand gekommen. Hat geseufzt danach, sie ein wenig fester an sich gezogen und ist mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht eingeschlafen. Sie haben es noch einmal getan, am Morgen bevor er sich angezogen hat, und er hat sie am Tor zum Abschied geküsst. Zurückgebracht zu ihr haben sie ihn tot, und mit ihm den jungen Mann mit den tiefbraunen Augen mit den kleinen goldenen Funken darin. Und sie betet jeden Abend, dass er noch lebt, dass er zurückgekehrt ist in seine Heimat, dass er erleben wird, was die sanfte Hand einer Frau bewirkt, wenn sie sie dort hinlegt.
Und heute steht der vierte Korb in ihrer Fensteröffnung. Es ist nur ein Loch in der Mauer, man blickt daraus auf die kleine Gasse, die sich daran entlangzieht, es ist verschlossen mit einer hölzernen Klappe. Aber sie hört sie nie gehen, wer immer die Körbchen bringt, er kommt heimlich wie ein Dieb in der Nacht. In den frühen Morgenstunden, die kleinen süßen Brote sind immer frisch, manchmal noch warm vom Ofen. Auch dieser Korb ist wie die anderen in dem hübschen Muster geflochten, das sie nicht kennt. Die Speichen sind nicht gekürzt und zurückgebogen zu einem Rand, sie sind mit einem geflochtenen gelbroten Band zusammengebunden, um den Inhalt zu schützen. Sie kennt die Farben, das gleiche Gelb und Rot wie der Überwurf des jungen Mannes, wo man es noch hat erkennen können unter Schmutz und Blut. Sie findet auch heute wieder drei kleine Laibe Brot darin, eine Pena, prall und saftig, ein kleines geschnitztes Holzpferd und eine Phiole, gefüllt mit grünen Kügelchen. Mit einem Zettel umwickelt, „Medizin für blutende Frauen. Einfach schlucken, morgens zwei, abends drei, es lindert die Beschwerden.“ Geschrieben in einer steilen, fast kindlichen Handschrift, es ist nicht die des Mannes, dem der Medizinladen gehört, sie kennt sie von den Fläschchen, die manchmal neben dem Bett der Hausherrin stehen. Sie kennt nur den lindernden Tee, aber in den letzten Tagen haben ihr die Körbchen nur Gutes gebracht, sie versucht es. Es ist noch früh am Morgen, also zwei, sie schluckt sie mit einem Becher des abgestandenen Wassers, das in einem Krug auf dem winzigen Tisch steht, sie darf ihn erst wieder füllen, wenn er geleert ist. Es dauert nicht lange, bis sich ein warmes Gefühl in ihrem Bauch ausbreitet, und als sie sich an den großen Esstisch in der Küche setzt, sind die Krämpfe vergangen, die sie so sehr gequält haben die letzten beiden Male. Es wird ihr helfen, es leichter zu überstehen.
In der Küche herrscht große Aufregung, in zwei Tagen ist Sonnenwende, der Hausherr veranstaltet ein Fest zur Feier des längsten Tages. Seine jüngste Schwester hat sich angesagt, ihr erster Besuch, seit er ihr vor siebzehn Jahren ihr Kind aus den Armen gerissen und sie aus dem Haus gejagt hat. Er wird sie willkommen heißen als Gast, sie gehört nicht mehr zur Familie. Sie ist jetzt die Frau eines Ministers von Beth’nindra, und wenn sie hofft, das Kind zu sehen, wird sie enttäuscht werden. Es gibt kein Kind von ihr im Haushalt, nur noch eine Küchenmagd mit Narben an den Händen und im Gesicht, sie wird sie nur einmal zu sehen bekommen. Sie wird heute den Boden ihres Schlafzimmers reinigen, und das wird sie auch in den nächsten sechs Tagen jeden Morgen tun. In einem verschlissenen blauen Kleid, aber mit einem hübschen Tuch um den Kopf und einem gelbroten geflochtenen Band um den Hals, ein kleines geschnitztes Holzpferd baumelt daran. Sie werden sich begegnen auf dem Flur, Mirini wird das Tuch über ihr Gesicht ziehen und sich scheu mit gesenktem Kopf an die Wand drücken. Die jüngste Schwester des Heermeisters wird scharf die Luft einziehen, und noch zur gleichen Stunde wird sich ein Bote auf den Weg über den See zum Haus des Barar von Beth’kalar machen. Dort wird ein Pferd für ihn bereitstehen, und er wird es fast zuschanden reiten auf dem Weg zur Feste des Thain. Ein kleines geschnitztes Holzpferd, mit einer Öse auf dem Rücken, damit man ein geflochtenes gelbrotes Band hindurchziehen kann, sie hat es gesehen am Hals einer Dienstmagd im Haus des Heermeisters. Die Frau mit den grünen Augen ist gefunden. Der Plan des Yen-Meisters ist aufgegangen.
Tenaro hat lange gebraucht, um sich von der Folter zu erholen, er ist immer noch nicht ganz gesund. Leider ist nicht das eingetreten, was die Ärzte sich erhofft haben, das Fieber ist gesunken nach drei Tagen, aber zwei Tage später ist es zurückgekommen. Schlimmer als zuvor, es hat gewütet in ihm, sie haben die Naht an seinem Stumpf öffnen müssen, damit der Eiter abfließt, und der Arzt, der verantwortlich ist für die Gesundheit der Prinzen, hat mit dem Thain gesprochen. Das Schwert, das die Hand vom Arm getrennt hat, ist mitten durch das Gelenk gegangen, viele der kleinen Knochen, die das Handgelenk eines Menschen bilden, sind zersplittert, die stümperhafte Versorgung durch den Heiler des Heermeisters hat die Splitter nur noch tiefer ins Fleisch getrieben. Sie haben bei der letzten Operation viele entfernt, aber sie sind vorsichtig gewesen, sie haben so viel wie möglich vom unteren Arm des Prinzen erhalten wollen. Es hat nicht geholfen, der Stumpf ist wieder entflammt. Aber es bringt nichts, jetzt wieder ein Stückchen abzuschneiden, und in einem Drittteil vielleicht wieder, es wird ihn mehr schwächen von Mal zu Mal, irgendwann wird er es nicht mehr aushalten. Lieber jetzt einmal einen glatten Schnitt, der sich gut versorgen lässt und sauber abheilt. Tenaros Vater hat nur gefragt wo, und er hat schaudernd die Augen geschlossen, als der Arzt es ihm gezeigt hat. Er hat nur genickt, mit zusammengebissenen Zähnen, er hat es nicht aussprechen können. Der Arzt hat sich verbeugt und ist gegangen, und ein Drittteil später hat Tenaros Vater am Bett seines Sohnes gesessen und lächelnd in seine wachen Augen geschaut. Noch ein wenig verhangen, er hat Schmerzen, aber die Ärzte haben beschlossen, die Medizin, mit der sie ihn ruhig gehalten haben, nach und nach abzusetzen. Der Körper verlangt nach ihr, wenn man sie zu lange nimmt, und es bringt nichts, das Leben des Prinzen zu retten, nur damit er danach nach einer Medizin giert, die ihn früher oder später umbringen wird. Die Schmerzen sind jetzt erträglich, und sie werden weniger werden mit jedem Tag, den Melak werden lässt.
Und er erträgt sie tapfer, er kann sogar schon wieder ein wenig schief grinsen, als er seinem Vater erzählt, wie er in seine missliche Lage geraten ist. Vom Pferd gefallen, das ist ihm nicht mehr passiert, seit er vier ist, auch damals hat er sich einen Knochen im unteren Arm gebrochen. Der Stallmeister hat das Tier abtun wollen, ein Pferd, das einen Prinzen fallen lässt, verdient das Leben nicht, aber Tenaro hat darauf beharrt, es war sein Fehler. Was kann denn das arme Pferd dafür, wenn er zu dumm ist, im Sattel zu bleiben? Und zwei Drittteile später, an seinem fünften Geburtsfest, ist er auf ihm mitgeritten in dem Rennen zu seinen Ehren. Sie haben nicht gewonnen, dafür hat sein Arm zu sehr geschmerzt, aber sie sind noch lange Freunde geblieben. Und runtergefallen ist er danach nicht wieder. Das Pferd, von dem er diesmal gefallen ist, war eine junge Stute aus dem Stall der Kuriere des Thain. Tenaro leistet seinen Pflichtdienst bei ihnen ab, so halten es die Prinzen von Beth‘anu schon seit Generationen. Der Thain unterhält ein stehendes Heer, die Männer, die ihm angehören, verpflichten sich auf Lebenszeit. Nicht so die Prinzen, sie treten ein mit sechzehn, dienen die drei Jahre, die der Pflichtdienst dauert, an ihrem neunzehnten Geburtsfest werden sie ehrenhaft entlassen. In dieser Zeit haben sie kennen-gelernt, was es heißt, ein Soldat in der Armee des Thain zu sein, es lehrt sie, ihnen ein besserer Kommandierender zu sein. Und sie entsprechen damit dem Leitspruch, der rund um das Siegel mit den drei Sternen im Ring auf das rechte Schulterblatt des Sa’Rimar eingeritzt wird und gefärbt mit blauer Tinte, wenn er noch kaum der Windel entwachsen ist. Praesis ut Prosis Non ut Imperes. Sei Erster um zu dienen, nicht um zu herrschen. Ein Thain von Beth’anu dient seinem Volk, das macht ihn zu einem guten und gerechten Herrscher.
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