Jetzt dürfen sie auch zu ihm, er liegt schon in dem großen Bett. Auf der Seite, abgestützt mit einem dicken Polster, er soll noch nicht auf dem Rücken liegen. Er schläft tief und fest, aber er ist erschreckend bleich. Noch hat ihn das Fieber im Griff, er hat Schweißperlen auf der Stirn. Er sieht so krank aus, die Thaini weint bei seinem Anblick. Er hat schon einmal so vor ihr gelegen, damals ist er fünf gewesen, das Viertagefieber hat ihn erwischt, wie die Hälfte der Kinder in Beth’anu. Es sind so viele daran gestorben damals, er hat es überstanden. Er wird es auch diesmal überstehen, die Ärzte haben es ihr versichert, aber wird er noch der Gleiche sein, wenn er die Augen wieder aufschlägt? Und wer ist die Frau mit den grünen Augen? Er wird es ihnen erzählen, wenn es ihm wieder besser geht, und dann machen sie sich auf die Suche nach ihr.
Auch Mirini ist es nicht gut ergangen in den Tagen, nachdem sie Tenaro zur Flucht verholfen hat. Der Heermeister ist außer sich gewesen vor Zorn, er hat brutal zugeschlagen, die Reitgerte blutige Striemen hinterlassen auf ihren Oberarmen, ihrem Gesicht, ihren Händen, mit denen sie versucht hat, es zu schützen. Die Tritte und Schläge der Hausherrin haben dunkle Flecken hinterlassen auf ihren Rippen und ihrem Bauch, ihr ist zwei Tage lang sehr übel gewesen. Ihr Blut drei Tage später gekommen, aber sie hat keinen Tee gehabt, die Krämpfe vier Tage lang ertragen, es hat sehr wehgetan. Sie haben ihr nicht einmal Zeit gelassen, sich zu erholen, sie haben sie zur Arbeit gezerrt gleich am nächsten Morgen, nachdem die Hausherrin sie in die kleine Hütte an der Mauer gestoßen hat. Kaum mehr als ein Verschlag, die ehemalige Schmiede, schon lange unbewohnt, seit das Haus des Heermeisters keinen eigenen Schmied mehr hat. Nur drei Bretterwände, die vierte bildet die Mauer mit dem Herd für das Schmiedefeuer, mit einem schrägen Dach. Gerade groß genug für ein Bett und einen winzigen Tisch, einen dreibeinigen wackeligen Hocker, eine Truhe hat sie nicht, nur Zapfen an den Wänden. Sie braucht sie auch nicht, das Kleid, das sie am Leib trägt, ist alles was ihr bleibt. Waschen wird sie sich wie die anderen Dienstboten in der Kammer neben der Küche, dort wird sie ihre kargen Mahlzeiten einnehmen morgens und abends, sie bekommt noch nicht einmal zu essen wie die anderen Dienstboten. Die Köchin hat ein Auge darauf, dass ihr niemand etwas zusteckt, sie hat den Heermeister verärgert, er wird wieder schimpfen über das Essen, bis er sich beruhigt hat. Sie tut kaum ein Auge zu in der ersten Nacht, das Bett ist ein Sack voll altem Stroh auf ein paar Gurten und sie hat nur eine dünne Decke. Sie kniet davor, bevor sie sich darauf legt. „Bitte, Melak, du großherziger und weiser Gott, bitte rette ihn. Mach, dass er zurückfindet in seine Heimat, zu seiner Familie. Ich bitte dich.“ Und sie glaubt fest daran, dass ihr Gebet erhört wird, auch wenn sie es nie erfahren wird.
Sie erwacht zeitig am nächsten Morgen, es ist noch nicht einmal richtig hell. Es ist noch früh im Jahr, erst der dritte Mond, noch kalt in der Nacht und am Morgen, sie zittert unter ihrer dünnen Decke. Sie hört die Eisen der großen Pferde auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes, sie werden zur Tränke geführt, es ist die erste Arbeit des Tages im Haushalt. Erst die Pferde, dann die Hunde, dann erst sind die Menschen dran. Sie hat kaum Zeit, Hände und Gesicht zu waschen, das raue Tuch schmerzt an ihren Wunden. Ihre Morgenmahlzeit steht schon bereit, eine Scheibe des groben dunklen Brotes, das einmal in jedem Drittteil für die Dienstboten gebacken wird, ein Becher dünner Tee, kaum gesüßt. Sie bekommt noch einen schrumpeligen Apfel mit auf den Weg, dann wird sie losgeschickt zum Binsenschneiden. Und zurück kommt sie erst, wenn die Sonne am höchsten steht, keine Minute früher. Es ist ein trüber, regnerischer Tag, sie sieht die Sonne kaum. Sie kommt zu spät, die anderen sitzen schon beim Mittagsmahl, aber sie bekommt nichts. Erst wieder am Abend, so hat es die Hausherrin bestimmt. Sie kann kaum den Löffel halten, mit dem sie ihre dünne Suppe isst, sie hat den ganzen Nachmittag Binsen gespalten. Die langen dünnen Blätter haben scharfe Kanten, zu den Striemen auf ihren Handrücken haben sich noch unzählige Schnitte gesellt. Sie muss noch beim Säubern des Geschirrs helfen nach dem Nachtmahl der Familie, das heiße Wasser brennt an ihren Händen. Sie weint, als sie endlich wieder in ihrer Hütte ist, aber sie denkt an den jungen Mann. Der Heermeister ist heute den ganzen Tag unterwegs gewesen, aber der Block im Hof ist leer. Er hat ihn nicht gefunden. Gedankt sei Melak.
Tag hat sich an Tag gereiht, sie hat sich eingefunden in ihr neues Leben. Es ist hart und trist, und erfüllt von schwerer Arbeit. Ihre Wunden sind geheilt, sie sieht die Narben an ihren Händen und ihren Armen, sie wird sie auch im Gesicht haben. Sehen kann sie sie nicht, sie hat keine der silbernen Platten mehr, und das Wasser des Sees ist zu trüb, um etwas zu spiegeln, aber sie hat sie ertastet. Zwei auf der Stirn, sie überkreuzen sich, zwei auf der linken Wange, eine auf der rechten. Und eine im Mundwinkel, sie fühlt sich wulstig an unter ihren tastenden Fingern, Wunden an den Lippen heilen schlecht. Ihre Hände sind jetzt immer bedeckt mit kleinen schmerzhaften Schnitten, sie schneidet oft Binsen. Sie flechten keine Körbe daraus, sie werden gespalten und getrocknet, dann werden Dochte daraus gedreht und in flüssiges Wachs getaucht, sie dienen der Dienerschaft als Kerzen in der dunklen Jahreszeit. Mirini ist schlank gewesen, jetzt wird sie mager. Sie bekommt nur zwei Mahlzeiten am Tag, morgens eine Scheibe des groben dunklen Brotes, manchmal mit ein wenig gesäuertem Rahm darauf gekratzt, wenn der Liebhaber der Köchin in der Nacht bei ihr war, dann ist sie gut gelaunt und etwas weniger hartherzig. Dazu eine Schale dünnen Kräutertee, der dritte Aufguss aus der großen Kanne. Kaum gesüßt, manchmal schmeckt er bitter, wenn er zu lange gestanden hat. Einen verschrumpelten Apfel, eine geplatzte Pena, einen Granatapfel, der schon schimmelt am Stiel. Eine Stange Lauch oder eine Wurzel, an denen eine Maus genagt hat. Einmal einen der kleinen süßen Brotlaibe, übriggeblieben vom Vortag, weil der Heermeister überraschend mit seinen Männern an den Sitz des Fürsten gerufen worden ist. Abends eine Schale Gemüsesuppe, sie findet kaum einmal ein Stück Gemüse darin, und wieder eine Schnitte des groben Brotes. Sie bekommt nichts ab von dem Nachtisch, den die Köchin anschließend auf den Tisch der Dienstboten stellt, gesäuerter Rahm gesüßt mit Honig oder eingekochtem Granatapfelsaft, oder einer Mischung aus Äpfeln, Pirsi und Beeren. Es ist schmale Kost, sie wird kaum einmal satt davon, aber sie überlebt damit. Und jeden Abend kniet sie an ihrem Bett und betet zu Melak. Sie erbittet nichts für sich, sie erträgt, was sie zu tragen hat, sie betet nur um eins. Dass der junge Mann sicher heimgekehrt ist in den Schoß seiner Familie.
Und sie arbeitet hart. Binsen schneiden alle drei Tage, die Schnitte an ihren Händen heilen kaum noch. Sie sind wund und rissig vom Reinigen des Geschirrs und Wäschewaschen, manchmal laufen Tränen aus ihren Augen, weil sie das Brennen kaum noch ertragen kann. Besonders schlimm ist es, wenn sie die Abtritte gereinigt hat, es gibt zwei davon, einen für die Männer und einen für die Frauen. Sie halten sich zurück, sie betreten ihn nicht, wenn sie Wände und Sitz mit der scharfen Lauge abschrubbt, die Männer kennen diese Scham nicht. Sie muss oft auf die Seite treten, wenn sie hereinkommen, die Schnüre an ihren Hosen öffnen und das herausholen, nach dem die Frauen verzückt seufzen. Oder auch nicht, ein Teil der Wut der Hausherrin ist dem Umstand geschuldet, dass der Heermeister kein sanfter Mann ist. Er hat sie genommen in der Nacht nach der Flucht des jungen Mannes, er hat seine Wut an ihr abreagiert, er ist noch grober gewesen als sonst. Sie hat geblutet danach, die Hebamme, die sie hat kommen lassen, hat sie beruhigt. Nur ein kleiner Riss, wie nach einer Geburt, wenn der Kopf des Kindes zu groß ist oder zu schnell ausgetreten, er wird heilen. Aber es tut weh, sie kann kaum sitzen, Mirini hat es zu spüren bekommen. Und als sie drei Tage später gesehen hat, wie sie sich krümmt unter den Krämpfen ihres Blutes, hat sie ihr den lindernden Tee verweigert. Sie leidet Schmerzen wegen ihr, warum soll sie es ihr leichter machen?
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