Er hat gefroren in der Nacht, er hat sich wieder auf die Suche nach seinem Yen‘gi gemacht, es hat geholfen. Am anderen Morgen hat ihn ein Schwall kaltes Wasser geweckt, er hat es selbst gerochen, er hat sich beschmutzt. Sein Ahnvater ist ihm in den Sinn gekommen, ihm ist es manchmal so ergangen in seinem letzten Lebensjahr. Er meint fast seine Stimme zu hören „So ist das mit einem Leben. Wenn du ein Säugling bist, weißt du es nicht besser. Wenn du ein alter Mann bist, kannst du es nicht besser. Und nun geh und befreie dich von meiner Gegenwart und meinem Gestank.“ Aber er hat sein Yen’gi nicht mehr gefunden danach, er hat sich krank gefühlt. Ihm ist unerträglich heiß geworden in der Sonne, dann hat er gefroren, dass seine Zähne geklappert und die Ketten, die ihn halten, geklirrt haben. Er hat die junge Frau wieder gesehen, er ist ihr mit seinem Blick gefolgt. Manchmal ist sie zu ihm gekommen, ein Schluck Wasser, ein Bissen Brot, einmal hat sie ihm etwas in den Mund geschoben, es hat wundervoll geschmeckt. Ein Stück einer Frucht, süß und saftig, er hat versucht, sich an ihren Namen zu erinnern, er ist ihm nicht eingefallen. Er hat gesehen, wie der große Mann sie beschimpft und geschlagen hat, er hat die Worte gehört, sie haben keinen Sinn für ihn ergeben.
Am Abend hat der Wachposten ihn wieder mit einem Kübel Wasser übergossen, ihm ist so unerträglich kalt geworden. Er hat vergebens nach seinem Yen’gi gesucht, er hat aufgeben wollen. Dann ist ihm seine Mutter in den Sinn gekommen, er hat sie gesehen, wie sie an seinem Bett sitzt und seine Hand hält. Ihre andere Hand hat kühl auf seiner Stirn gelegen, sie hat leise gesprochen mit ihm. „Bald hast du es überstanden, mein Sohn, bald geht es dir wieder gut.“ Es hat ihn getröstet. Und am anderen Tag, als er den silbernen Bogen der Klinge gesehen hat und gespürt, was sie ihm antut, hat er sein Yen’gi gefunden. Und danach hat ihm nichts mehr etwas anhaben können.
Sie ist gekommen mitten in der Nacht, er hat ihre leisen Schritte gehört. Er hat gefürchtet um sie, die riesige Bestie liegt nicht weit von ihm entfernt, aber sie hat keine Furcht gezeigt vor ihr. Sie hat den Ring um seinen Hals gelöst und ihm wieder eine Schale Wasser an die Lippen gehalten, es hat so wundervoll geschmeckt. Sie hat auch seine Hand befreit, ihm aufgeholfen, ihn zu einer kleinen Pforte geführt, der Hund hat sich nicht gerührt. Nicht geknurrt, nicht gebellt, er ist einfach liegengeblieben. Er hat das Pferd gesehen, das auf ihn wartet, ein hübsches Tier. Eine Stute aus der Linie, die der Mar’thain des Landes züchtet in Beth‘nindra, nur aufgezäumt, ohne Sattel. Sie hat ihn gefragt, ob er so reiten kann, er hat genickt, aber er hat es nicht gekonnt. Er hat sie nur mit den Schenkeln gelenkt, nicht weit, nur bis an das Ufer des Sees, da wo die drei roten Pfähle stehen. Der Diener des Mannes, zu dem er unterwegs war, hat dort auf ihn gewartet, und als er ihn gesehen hat, hat er gewusst, jetzt ist er in Sicherheit.
Es hat drei Tage gedauert, bis sie ihn haben zurückbringen können über den See in das Haus des Barar von Beth’kalar. Wo seine Eltern auf ihn gewartet haben, und die Ärzte, die sich jetzt um ihn kümmern werden. Ärzte, die gelernt haben an den Schulen des Reiches fern im Osten, die ihr Handwerk verstehen, nicht die stümperhaften Heiler von Beth’narn, die ihren Patienten mehr schaden als nutzen. Der Heermeister hat getobt, er hat zwei Pferde zuschanden geritten auf der Suche nach ihm, es ist noch ein Hund von seiner Hand gestorben, weil er sie auf eine falsche Fährte geführt hat. Sie haben das Pferd gefunden, Mirinis kleine Stute, tot in der Nähe einer Oase in der Wüste im Norden von Beth’narn. Aber ihn haben sie nicht gefunden.
Er hat in einem Bett in einem Haus gelegen, sorgsam abgeschirmt, und er ist todkrank gewesen. Seine Wunden sind entflammt, er hat geglüht im Fieber, sich gewälzt in seinem Bett, sie nicht erkannt. Hat immerzu nach Deneri gefragt, und nach einer Frau mit grünen Augen, so grün wie der Stein, aus dem die Statue geschnitten ist, die in seinem Schlafzimmer auf der Truhe steht. Sie haben ihm Honigwasser eingeflößt, er hat es wieder erbrochen. Sich und das Bett beschmutzt, er hat es nicht besser gewusst. Sie haben ihn sorgsam gepflegt und gehofft, dass der Heermeister seine Suche nach ihm endlich aufgibt, dass sie ihn in die Obhut der Ärzte schaffen können, bevor er ihnen unter den Händen wegstirbt. Damit sie ihn noch lebend über den See bringen, Tenaro ab‘Daikim, achtzehn Jahre alt, Sa’Rimar von Beth’anu. Der älteste Sohn des Thain, Kronprinz, Thronfolger und ihr zukünftiger Herrscher.
Am vierten Tag haben sie es gewagt, es wagen müssen, sie haben befürchtet, dass er den Tag nicht überlebt. Sie haben ihn in einen Teppich eingerollt aus dem Haus gebracht, sind kontrolliert worden von einer der Kriegergruppen, die immer noch durch die Stadt patrouillieren. Und haben erleichtert die Luft ausgestoßen, als sie weitergefahren sind, dass er still geblieben ist, nicht wieder gefragt hat nach Deneri und der Frau mit den grünen Augen. Schmerzen hat er keine gehabt, sie haben schon Nachricht geschickt nach Beth’kalar, der Bote ist zurückgekommen mit einer kleinen Phiole und einer genauen Anweisung, drei Tropfen der Tinktur in seinen Mund alle sechs Stunden, das wird ihn ruhig halten. Auf dem Deck des Bootes, das sie über den See gebracht hat, hat ihn der Diener des Mannes in seinen Armen gehalten, ein riesiger Mek’ta mit einer Haut von der Farbe dunklen Holzes, sein Name ist Metú. Er kennt Tenaro sein ganzes Leben lang, hat ihn schon als Säugling auf seinen Knien gewiegt. Wenn er es übersteht, sein kleiner Prinz, dann wird er ihn fragen, wer ihm das angetan hat. Und so lange es auch dauert, derjenige wird bezahlen dafür.
Sie werden schon erwartet am Kai des Hauses, als das Boot endlich anlegt, Metú trägt Tenaro bis in das Zimmer, das die Ärzte für seine Behandlung vorbereitet haben. Im Raum daneben wartet ein großes weiches Bett auf ihn, dort wird er sich erholen. Seine Mutter hat weinend beide Hände vor den Mund geschlagen beim Anblick ihres geliebten Kindes, und sie weint auch in den Armen ihres Mannes, als sie ihn einmal wimmern hören hinter der Tür, durch die sie nicht haben gehen dürfen. Sie sitzen auf Stühlen davor, und es dauert so lange. Die Sonne ist schon untergegangen über der Wüste am anderen Ufer des Sees, als sich die Tür endlich öffnet und einer der Ärzte heraustritt. Und er lächelt. Er wird es überleben. Der Sa’Rimar, der Liebling aller Bewohner von Beth’anu, er wird ihnen erhalten bleiben.
Sie haben ihn noch einmal operieren müssen, die Platzwunde in seiner Augenbraue und den Schnitt auf seiner Wange wieder geöffnet, gesäubert und genäht. Die Narben werden ihm erhalten bleiben, aber sie werden später kaum zu sehen sein. Die Striemen auf seinem Rücken sind nicht tief, nicht alle haben sich geöffnet, sie sind versorgt und werden hoffentlich sauber abheilen, es wird Narben geben, aber nicht viele. Nur auf dem Rücken schlafen mit ausgebreiteten Armen, wie er es so gern tut, wird er eine Zeitlang nicht können. Die Wunden auf seinen Knien und Unterschenkeln sind nur Schürfungen und kleine Schnitte, sie sind gesäubert und mit Salbenverbänden bedeckt, sie werden am schnellsten heilen. Sein rechtes Handgelenk ist gerichtet und mit einem festen Verband versehen, wenn die Knochen wieder zusammengewachsen sind, wird sich zeigen, ob er es wieder wird beugen können wie früher, aber Prinz Tenaro ist noch jung, seine Knochen heilen noch gut. Nur sein linker Arm. Die Hand können sie ihm nicht wiedergeben, sie haben den Stumpf noch einmal kürzen müssen, um ihn sauber vernähen zu können. Nicht viel, und er wird später eine Kappe darüber tragen können oder eine nachgemachte Hand. Sie haben getan, was zu tun war, jetzt braucht er erst einmal Ruhe, ausreichend Schlaf und gutes Essen. Das Fieber wird vergehen in den nächsten drei Tagen, seine Jugend wird helfen, er wird es bald überstanden haben. Er wird wieder mit seinem frechen Grinsen bei ihnen am Tisch sitzen, mit seinen Brüdern scherzen, seine Schwestern auslachen, mit Griud, seinem schwarzen Hengst, die Landstraßen in der Umgebung der Feste des Thain unsicher machen. Nur wer ist die Frau mit den grünen Augen, er fragt immerzu nach ihr.
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