„Danke. … Mister Verne, normalerweise würde ich Sie beschuldigen und einsperren, aber bei der ersten Explosion waren wir die ganze Zeit zusammen. Außerdem sind Sie erst kurze Zeit an Bord und nach dem Bild, was ich mir von Ihnen gemacht habe, halte ich Sie nicht für einen Lügner.“
Es fühlte sich gut an, dass Grant mir glaubte den Bombenleger überrascht zu haben, bevor eine Zweite weiteren Schaden anrichtete.
„Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen im Namen der gesamten Mannschaft und des Kapitäns danken. Wir stehen in Ihrer Schuld.“
„Nicht doch. Ich habe nur durch Zufall jemanden überrascht.“ Erwiderte ich mit gerötetem Gesicht.
„Haben Sie denn diesen Jemand gesehen? Können Sie mir einen Hinweis geben, wer er sein könnte?“
Ich ging noch einmal die Szene im Kopf durch. Als ich die hockende Gestalt sah, diese aufscheuchte und davonlief. „Tut mir sehr Leid.“ Äußerte ich enttäuscht. „Es war stockdunkel. Ich sah nur eine schwarze Silhouette, die sobald ich nach ihr rief weglief. Weder das Gesicht, noch Kleidung habe ich richtig gesehen.“
„Schade. … Ganz sicher?“
„Ja, sie war zu flink und verschwand sofort im Schatten.“
„Tja. … Wie auch immer. Auf jeden Fall hat der Attentäter noch etwas vor und dies war bestimmt nicht sein letzter Versuch. … Santiago, ab sofort werden die Wachen verdoppelt. Ich will eine Patrouille, die ums Schiff läuft. Und überprüf unseren Sprengstoff. Vielleicht hat er sich aus dem Depot bedient.“
„Ai!“ antwortete Santiago und verschwand.
Mein Blick wanderte zu Grant, der besorgt nachdachte.
„Wenn der Täter Erfolg gehabt hätte … wie verheerend wäre…“
„Sehr. Sehr verheerend. Dieser Maschinenraumteil war kaum besetzt. Da wir zurzeit keine Fahrt machten, habe ich den meisten Matrosen erlaubt zu schlafen. Die Explosion hätte eine weitere Treibstoffzuleitung zerstört und die dann das Schiff.“
„Kaum zu glauben, was diese kleinen drei Stangen für eine Wirkung erzielt hätten.“
„Das stimmt. Es war genau die richtige Menge.“
„Wie meinen Sie das, Monsieur Grant? Die richtige Menge?“
„Daran hatte ich auf den ersten Blick nicht gedacht. Unsere Schiffshülle ist recht Dick. Zwei Stangen hätten sie stark ausgebeult und vielleicht nur ein kleines Loch hineingerissen. Dann wäre der Maschinenraum allerhöchst durchgeschüttelt worden und ein paar Überdruckventile hätten reagiert. Andersherum hätten mehr als vier Stangen solch eine Wirkung erzielt, dass uns kaum Zeit geblieben wäre die Rettungsboote zu wassern. … Wer immer die Bomben gelegt hat, kennt sich mit Sprengstoff aus!“
Grant hatte recht. Ich wusste nur aus der Theorie, wie drei Stangen Sprengstoff richtig mit einem Seil zusammengebunden wurden, wie die Lunte richtig gesetzt wurde und welche Länge wichtig war, um weit genug weg zu sein. Meine Augen blickten auf das kleine Bündel Sprengstoff auf dem Kartentisch liegend. Dabei erhaschte ich etwas Seltsames.
„Monsieur Grant. Sagen Sie, was ist das Braune hier mitten im Seil?“
Er trat neben mich und zog vorsichtig etwas, was wie ein kleines Stück Stoff aussah, aus dem Seilverbund der Sprengstoffstangen heraus.
„Scheint ein Stück braunes Leder zu sein, da ist sogar noch Fell dran. Könnte von der Kleidung des Täters stammen. Möglich, das er die Stangen fest am Körper hielt und irgendwie den Stoff einklemmte. Als er die Ladung fallen ließ zerriss dann den Stoff. … Gratulation, Mister Verne. Sie haben unsere erste Spur zum Täter gefunden. Ich werde den Beweis zum Doktor bringen, vielleicht kann er in seinem Labor mehr in Erfahrung bringen.“
„Das heißt also abwarten.“
„Leider. So und nun denke ich, sollten Sie schlafen gehen, es ist schon spät.“
„Sie haben recht. Au Revoir.“
Nachdenklich verließ ich die Brücke und überlegte, mit welchen Sätzen ich die letzten Ereignisse ins Notizbuch schreiben sollte, als ich Grants Stimme leise durch den Korridor hallend vernahm.
„Steuermann, bis Santiago zurückkommt haben Sie das Kommando! Ich werde dem Kapitän Bericht erstatten!“
„Ai!“ erwiderte der Matrose.
Jetzt war ich wieder hell bei Sinnen. Grant wollte zum Kapitän. Eine neue Chance herauszufinden, wohin er in der Bibliothek verschwunden war. Also rannte ich so schnell ich konnte mit der dicken Felljacke durch die Gänge und Korridore, um früher als Grant anzukommen. Keuchend und Hustend betrat ich letztendlich das Reich des Wissens. Schweiß lief mir die Stirn runter und wenn ich jetzt in einen Spiegel schauen würde, würde ich bestimmt ein knallrotes Gesicht haben.
Nun fehlte nur noch ein passendes Versteck und da hatte ich ein Problem, es gab hier kleines. Hinter den Sesseln zu hocken ging nicht. Mir blieb nur eines, mich in die hinterste Ecke zwischen zwei quer stehenden Bücherregalen zu stellen und zu hoffen, er sehe mich nicht. Ich tat es. Mein Herz klopfte bis zum Hals während ich wartete.
Nach endlosen Sekunden öffnete sich die Bibliothekstür, jemand trat ein und schloss sie wieder. Dann folgten ruhige aber harte Schritte. Mein Herz klopfte schneller. Ich sah Grant an meinem Büchergang vorbei schreiten. Die Schritte stoppten und ich schlich näher an den Hauptweg heran. Das Geräusch von knirschendem Holz oder so ähnlich war zu hören. Langsam lugte ich mit dem Rücken zum Bücherregal in die Richtung in die Grant gegangen war.
„Verdammt!“ Fluchte ich. „Er ist wieder weg! Das kann doch nicht sein.“
Fragend blickte ich mich um und schaute in jede Ecke. Grant war verschwunden. Dabei gab es nur eine Tür und durch die war er gekommen. Weil ich im Moment nicht weiter wusste ließ ich mich in einen der Lesesessel fallen. Für einen Moment schloss ich die Augen, verinnerlichte die Situation und dabei nickte ich wohl ein. Kein Wunder, ich war lange auf den Beinen und hatte mir bisher wenig Rast gegönnt.
Irgendwann schlug ich wieder die Augen auf und ärgerte mich über mich selbst.
„Gut geschlafen?“ erschreckte mich eine Stimme. Grant. Er saß im Sessel neben mir und hielt ein Glas mit Whiskey in der Hand.
„Äh, mehr oder weniger. Eigentlich wollte ich nicht, aber…“
„… Es passiert. Ich war erstaunt, Sie hier vorzufinden. Hatten Sie eine Nachtlektüre gesucht?“
Na ja, die Wahrheit, das ich ihn gesucht hatte, konnte ich ja kaum sagen.
„Richtig. Aber bei so viel Auswahl, fiel es mir schwer mich zu entscheiden.“
„Wenn ich Ihnen eine Empfehlung aussprechen dürfte?“
„Nur zu.“
Grant erhob sich aus dem Sessel mit einem knautschenden Geräusch und schritt zu einem Regal. Einige Sekunden suchte er, bevor er ein dickes gebundenes Buch herauszog.
„Bitte. Hat mich richtig ans Bett gefesselt.“
„Danke.“
„Ist glaube ich von einem Ihrer Landsleute geschrieben worden.“
Ich las den Titel und schmunzelte.
„ Der Vicomte von Bragelonne . Ein wirklich gutes Buch. Sie werden lachen, ich habe es bei mir Zuhause auf dem Nachttisch liegen, aber zum lesen bin ich noch nicht gekommen. Dabei hat es mir Alexandre persönlich geschenkt.“
„Sie kennen Dumas?“
„Ja, er ist ein langjähriger Freund von mir und hat mich immer ermuntert ebenfalls zu schreiben. Er war es, der meine Neugierde für Abenteuer weckte.“
Grant nahm einen Schluck Whiskey.
„Vergessen Sie nie Mister Verne, das Abenteuer hat zwei Seiten. Die Eine können Sie Daheim erleben, sitzend im Sessel, eingetaucht in einem Buch und die Andere in der Realität, wenn Sie die Augen öffnen und über Ihren Schatten springen. Das Leben ist das echte Abenteuer.“ Dann leerte er mit einem Zug das Glas und stand auf. „Gute Nacht, Mister Verne.“
„Gute Nacht, Monsieur Grant.“
Er öffnete die Bibliothekstür. Sie quietschte. Kurz bevor er hindurch verschwunden war drehte er sich noch einmal um.
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