„Denken Sie das wirklich?“
„Zweifeln tue ich nicht. Sonst wäre ich nicht so weit mit meiner Expedition gekommen. Auf meine Nase konnte ich mich bisher immer verlassen.“ Der Blick von Lidenbrock zeigte, das er fest davon überzeugt war. „Vielleicht ist es auch dieser Inder. Wie hieß er noch? … Richtig Agarwal. Schließlich wollte er etwas von Ihnen.“
„Glaube ich kaum, das hätten alle an Bord bemerkt. Seine schwarze Fregatte kann kaum übersehen werden.“
„Gutes Argument. Ich glaube auch mehr an meine Eingeborenen Theorie. … Oder Paganel?“
„Ich denke wie Sie, Professor.“ Sagte Papanel und ich merkte, das er nur Lidenbrock nach dem Mund redete. Vermutlich hatte er keine Lust mehr, darüber zu reden.
„Entschuldigen Sie mich, Professor. Ich würde mir gerne etwas zum trinken holen.“ Sagte ich und hoffte, dass er mich gehen lassen würde.
„Tun Sie sich keinen Zwang an. Aber unser Gespräch ist noch nicht zu Ende.“
„Ich freue mich schon es fortzuführen.“
Mit diesen Worten trat ich zum Barbereich und ließ mir ein Glas Orangensaft reichen. Ich spielte mit dem Gedanken zurück in meine Kabine zu gehen und den Saft dort zu trinken. Doch als ich mich erneut umsah und sich mein Blick wieder mit den von Mademoiselle Van Holmes berührte, beschloss ich, mich zu ihr zu setzen. Meine Knie zitterten, da sie eine gewisse Wirkung auf mich hatte, nicht so eine das ich meine Frau vergessen würde, aber irgendetwas anderes.
„Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze, Mademoiselle?“ fragte ich mit trockener Stimme. Sie schaute zu mir hoch, sagte nichts und verzog auch keine Miene. Da ich kein schlechtes Gefühl hatte, setzte ich mich einfach neben sie. Ich nippte am Saft bevor ich sie erneut ansprach.
„Ich wollte mich einfach noch mal richtig vorstellen. Mein Name ist Jules Gabriel Verne.“
Keine Antwort, aber ein freundlicher Blick. Hatte sie wirklich freundlich geschaut oder kam mir es nur so vor. Da sie nicht antwortete, sprach ich einfach weiter.
„Schon eine merkwürdige Sache, diese Explosion im Maschinenraum. Monsieur Grant sprach von Sabotage und Professor Lidenbrock glaubt jemand will ihm bei seiner Schatzsuche zuvorkommen. Seiner Ansicht nach hat sich ein Eingeborener an Bord geschlichen, der Ihr Expeditionscamp in Südamerika mit überfallen hat.“ Ihr Blick wanderte ins Nichts. Scheinbar erinnerte sie sich wieder an das erlebte. „Sie müssen dort schreckliches erlebt haben. Tut mir leid für Sie.“
„Dort nicht wirklich. … Aber es sind Menschen grundlos gestorben.“ Gab sie zur Antwort und ich war zuerst für einen Moment verwirrt, da ich überhaupt nicht mit einer Antwort gerechnet hatte. Sie hatte eine schöne, sanfte Stimme in der ich Trauer heraushören konnte.
„Ich kenne das Gefühl. Als ich von Agarwal gefangen gehalten wurde, musste ich feststellen, dass er Freunde von mir getötet hatte.“
„Aber Sie sind am Leben geblieben. Bereuen Sie es?“
Mir war ihre Frage nicht wirklich klar, doch ich antwortete, wie ich gerade dachte.
„Natürlich bin ich glücklich noch am Leben zu sein.“
„Das unterscheidet uns von einander, Gabriel.“ Sagte sie und erhob sich. Gerade als sie im Begriff war zu gehen, fasste ich sie instinktiv am Arm, ohne eigentlich zu wissen warum. Sie blickte mich wortlos an und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Äh, … äh.“ Verdammt , dachte ich, frag doch irgendetwas . „Äh, Sie waren doch ebenfalls auf dem Unterdeck spazieren, haben Sie etwas bemerkt? Ich meine Monsieur Grant vermutet eine Sprengladung, die von außen angebracht wurde. Vielleicht?“
„Nein. Nur Sie und Grant.“
Mit diesen Worten schritt sie davon und ich starrte ihr hinterher. Gleichzeitig beschäftigte mich meine letzte Frage, die mir spontan in den Sinn gekommen war. Wer hatte die Sprengladung angebracht? Neugierig wie ich war, beschloss ich der Sache auf den Grund zu gehen.
Zuerst organisierte ich mir eine warme Jacke und dann suchte ich den nächsten Weg hinaus auf den Außensteg des Unterdecks. An der frischen Luft umfing mich sofort eisige Kälte, die Sonne war auf ihrem Weg in den Horizont einzutauchen. Es war ein wunderschönes Bild der Farben am Himmel, doch die Zeit diesen Untergang zu beobachten hatte ich nicht, wenn ich nicht die letzten Sonnenstrahlen für meine Untersuchung nutzen wollte.
Langsam wanderte ich in Richtung des Explosionsloches. Ich musste vorsichtig sein, das Deck war mit einer leichten Eisschicht bedeckt und ich wollte nicht ausrutschen. Zum Glück war der Wellengang gering und das Schiff trieb nur vor sich hin.
Ich sah das schwarz gefärbte Explosionsloch, welches mittlerweile notdürftig mit Holzbrettern von Innen verschlossen worden war. Die Metallbrüstung des Steges vor dem Loch war angerissen, verbogen und schwarz vom Russ. Dennoch glänzte das Schwarz durch die Eiskristalle, die sich darüber verteilt hatten.
Das Loch war groß, gut vier mal fünf Meter.
„Hmmm. Wenn ich es nicht wüsste, könnte ich nicht sagen, dass hinter dieser Wand der Maschinenraum ist und wichtige Leitungen entlangführen.“ Murmelte ich zu mir selbst. „Wer immer das Schiff versenken wollte, der wusste, welches die richtige Stelle ist.“
Geräusche drangen an mein Ohr, die wie Schritte klangen. Ich blickte mich um.
„Hallo, ist da jemand?“ rief ich aus.
Doch weder eine Antwort noch weitere Schritte waren zu hören. Scheinbar hatte ich mir alles nur eingebildet. Kein Wunder, ich war von dem heutigen Erlebten noch angespannt und das legte sich bestimmt erst, wenn ich endlich zum schlafen gekommen war.
Mittlerweile war die Sonne fast untergegangen und alles um mich herum zog die Dunkelheit an. Doch dank der Beleuchtung einiger Kabinen erhellten sie durch die Bullaugen den Außensteg. Am Himmel drangen prallgefüllte Sternenansammlungen hervor und verzauberten mit einer Erhabenheit, als ich hinauf blickte. Um den Anblick und die frische kühle Luft ein wenig in mich aufzunehmen, beschloss ich einmal ums Schiff herumzugehen. Mit den Händen tief in den Taschen, um sie warm zu halten, schlenderte ich zum Bug. Wie Grant ihn mir beschrieben hatte, lief er nicht spitz zusammen, wie bei den meisten anderen Schiffen, sondern war breiter, eher oval. Nach einigen Minuten hatte ich fast das Heck über den linken Außensteg erreicht, als ich jemanden am Boden kauern sah.
„Heh, alles in Ordnung!“ rief ich und sah, wie die schwarze Gestalt zusammenzuckte und in Richtung Heck weglief. Dabei fiel etwas zu Boden und rollte über den Steg. „Warten Sie, Sie haben etwas verloren!“
Seltsam, niemand schien zurückzukommen. Ich trat näher an das verlorene Objekt heran. Es sah wie ein Stück Holz in der Dunkelheit aus. Ich hob es auf und im nächsten Moment blendete mich Licht von einer Laterne.
„Ich habe Sie rufen gehört. Sind Sie gestürzt?“ fragte der Matrose mit spanischem Akzent. Es war der, den ich auf der Brücke gesehen und den Grant Santiago genannt hatte.
„Mir geht es gut. Danke.“ Erwiderte ich. „Ich habe hier jemanden getroffen und als ich ihm nachrief, verlor er dieses hier.“
Ich hielt das Stück Holz oder was immer es war hoch. Das Licht der Laterne erfasste es und im selben Moment erkannte ich es.
„La Gracia de Dios! Keine Bewegung!“ rief Santiago.
Und er hatte Recht geschockt zu sein, das scheinbare Stück Holz waren drei zusammengebundene Stangen Sprengstoff.
Santiago brachte mich auf die Brücke, wo Grant uns erwartete. Stolz präsentierte er mich – glaubte den Bombenleger gefasst zu haben. Grants Hemd steckte schief in der Hose, was zeigte, das er sich schnell angezogen hatte. Vermutlich war er in seiner Kabine gewesen und hatte geschlafen. Santiago übergab den Sprengstoff seinem Vorgesetzten nach einem kurzen Bericht. Dieser begutachtete und legte ihn dann auf den Kartentisch.
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