Dieter Landgraf
Die Tote unter dem Schlehendorn
Kriminalroman
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Dieter Landgraf Die Tote unter dem Schlehendorn Kriminalroman Dieses ebook wurde erstellt bei
Herbst 2000
Erinnerungen
Der Tatort
Herbst 1997
Besuch des Freundes
Der Umzug
Herbst 1998
Das Wiedersehen
Neue Liebe
Frühjahr 1999
Einsam
Herbst 1998 bis Herbst 1999
Das neue Auto
Neu im Beruf
Das Promenadenfest
Die Trennung
Der Streit
Frühjahr 2000
Wiedersehen mit Folgen
Ertappt
Unglücklicher Defekt
Die Auseinandersetzung
Der Störer
Herbst 2000
Besuch im Krankenhaus
Blausäure
Motivsuche
Unschuldig?
Die Vermieterin
Der Termin
Zweifel
Das Verhör
Im Klinikum
Schon wieder „Sie“
Im Cafe
Der Einfall
Die Nachricht
Zufall
Der Ausflug
Im Hafenrestaurant
Gedankenspiele
Gegenstände
Sechs Wochen davor
Der Plan
Der Schlehendorn
Sechs Wochen danach
Der Beweis
15 Jahre später
Impressum neobooks
Eine reizvolle Stille liegt über der zauberhaften Endmoränenlandschaft der Sandahlener Heide. Leichte Nebelfelder schweben wie schwerelos über dem Erdboden vor dem Waldesrand. Der frische Tau funkelt in der Vormittagssonne und verbreitet einen Glanz, als hätte eine unsichtbare Hand tausende von farblosen Edelsteinen auf die Wiesen und Weiden verstreut. Es kündigt sich ganz behutsam der nahende Herbst an. Heute ist Sonntag. Darauf hat sich Armin Wenzel die ganze Woche gefreut. Ihm gehören das Hotel „Haus am Akaziensee“ und die gleichnamige Gaststätte in Akazienaue. Nur zu gerne streift er allein durch die Natur und genießt die einzigartige Ruhe weit weg von der Hektik des Alltages. Wie an so vielen Wochenenden davor lässt er die vergangenen Tage Revue passieren. Das helle Läuten der Kirchenglocke aus Akazienaue unterbricht seine Gedanken. Seine Schritte verlangsamen sich und schließlich bleibt er stehen. Armin Wenzel atmet tief ein - so - als wolle er das ihm umgebene Flair mit einem Male in sich aufsaugen. Der Waldesrand ist zum Greifen nahe. Sein Blick geht in Richtung des großen Schlehendorn und den darunter befindlichen Wildrosen. Armin Wenzel hat noch die Zeit erlebt, als dieser Baum eine rotbraun gefärbte und filzige bis fein behaarte Rinde besessen hat. Doch mit den Jahren hat sie sich dunkel gefärbt und ist in schmale Streifen zerrissen. Unter dem Baum bemerkt er eine Gestalt. Er überlegt kurz: Das ist äußerst ungewöhnlich - um diese Zeit und an diesem Ort - das hat er bisher noch nicht erlebt - wer Entspannung sucht geht doch eher an den See, dort gibt es ausreichend schattige Plätze. Neugierig nähert er sich dem Schlehendorn. An der Kleidung erkennt er deutlich, dass es sich um eine weibliche Person handelt. Sie liegt in einer ungewöhnlichen Stellung regungslos am Boden. Sein Puls schlägt schneller, der Atem wird kürzer. Völlig fassungslos steht er unter dem Baum. Vor ihm im Gras liegt eine Frau. Der Rock ist ein wenig nach oben verschoben und gibt den Blick auf die wohlgeformten Oberschenkel frei. Seine Augen wandern über die mädchenhaften sanften Hügel ihres Oberkörpers bis hin zu ihrem Gesicht. Er erkennt sie sofort. Es handelt sich um die äußerst attraktiv aussehende Paula Pattberg, die Tierärztin aus Akazienaue mit einer Praxis in Ballenhainischen. Sie ist vor zwei Jahren hier ansässig geworden. So hervorragend sie ihre Arbeit als Tierärztin bewältigte, so zurückhaltend war sie stets im privaten Bereich. Für viele galt sie deshalb als unnahbar. Noch immer schaut Armin Wenzel auf das von roten Locken eingerahmte Gesicht. Auch der Tod kann ihren außergewöhnlichen Liebreiz nicht vertuschen. Die niedlichen Sommersprossen auf ihren Wangen wirken auf der blassen Haut noch intensiver, als er sie in Erinnerung hat. Die sonst so funkelnden und vor Lebenslust sprühenden grünen Augen starren ausdruckslos ins Leere.
Vorsichtig kniet er nieder und versucht ihren Puls zu fühlen. Doch schon nach wenigen Augenblicken spürt er die Sinnlosigkeit seines Handelns. Paula Pattbergs Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie liegt tot unter dem Schlehendorn.
Aufgeregt und fahrig nestelt er am Klettverschluss seiner Handytasche. Endlich hat er es geschafft. Aufgeregt und noch völlig durcheinander erklärt er dem diensthabenden Polizeibeamten seine fürchterliche Entdeckung.
„Ich habe eine Tote gefunden“, bringt er sichtlich nach Atem ringend hervor.
„Sind sie sicher, dass die Person nicht mehr lebt?“
„Einhundert Prozent sicher … sie atmet nicht mehr und ihre Augen blicken starr Geradeaus.“
„Vielleicht ist sie nur bewusstlos. So etwas haben wir schon öfters erlebt.“
„Nein, nein“, schreit er ins Telefon, „sie ist mausetot … ich schätze, dass sie umgebracht wurde … das war bestimmt ein Mord.“
„Na, na … warum denn gleich an so etwas Schlimmes denken“, versucht der Polizeibeamte ihn zu beruhigen, „ist ihnen die Tote bekannt?“
„Ja, natürlich … sie wohnt doch hier.“
„Was soll ich unter hier verstehen … hat der Fundort auch einen Namen?“, will der Polizeibeamte wissen.
Immer noch aufgewühlt und nach Fassung ringend antwortet Armin Wenzel: „In Akazienaue … hier unter dem Schlehendorn.“
„Wo in Akazienaue … in der Dorfmitte, am Anfang oder am Ende?“
„Nicht mitten im Ort … hier in der ganzen Gegend gibt es nur einen Schlehendorn … diesen Baum kennt doch jeder.“
Nach mehreren Rückfragen hat Armin Wenzel die erforderlichen Angaben zum Fundort durchgegeben. Der Polizeibeamte fordert ihn auf, die Ankunft der Polizei abzuwarten und sich nicht von der Unglücksstelle zu entfernen. Die erste Aufregung legt sich nach dem Telefongespräch nur langsam. In gehöriger Entfernung von der Toten setzt er sich ins Gras. Es ist das erste Mal, dass er in eine solche Situation geraten ist. Da hat es Jahrzehnte in der ganzen Umgebung keine Straftaten gegeben und gerade ich muss da mit hineingezogen werden - denkt Armin Wenzel über seine Situation nach - und das es sich hier um einen heimtückischen und kaltblütigen Mord handelt, davon ist er überzeugt. Das beweist schon allein der Fundort. Das werde ich den Polizeikommissaren deutlich sagen - sind seine Überlegungen. Recht schnell kommt er ins Grübeln, wer wohl zu solch einer Tat fähig wäre.
Aus der Ferne dringen hin und wieder leise Geräusche an das Ohr von Achim Wenzel. Sie stammen aus der kleinen Gemeinde Akazienaue, deren Häuser und Grundstücke sich sanft an das Ufer des gleichnamigen Sees anschmiegen. Dabei erinnert er sich unbewusst an die Entstehungsgeschichte des Ortes und an die Zeit, als er hier ansässig wurde. Der Name für die idyllische Ansiedlung war auf eine recht ungewöhnliche Weise zustande gekommen. Oberförster Balthasar Knittelbecher wurde vom Markgrafen Heinrich für seine treuen Dienste mit reichlich Land und dem dazugehörigen Wald belohnt. Zudem schenkte er ihm auch einen Gutshof. Wie zu jener Zeit üblich hätte der Oberförster gerne dem neuen Besitz seinen Namen gegeben. Doch weder sein eigener noch der seiner Frau Mechthild schienen ihm dafür geeignet. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme des ihm gehörenden Grund und Boden fiel dem pensionierten Waldhüter und Jägersmann eine nicht alltägliche Baumgruppe nahe am See auf. In einem botanischen Nachschlagwerk entdeckte er, dass es sich wahrscheinlich um Akazien handelt. Die unpaarig zusammengesetzten gefiederten Blätter sowie die stechenden Dornen waren für ihn identisch mit der Abbildung in seinem Lexikon. Bei der Namensgebung für die Ansiedlung haben diese Bäume dann tatsächlich Pate gestanden. Er entschied sich, das Gut und das dazugehörige Land Akazienaue zu nennen. Erst viel später sollte sich herausstellen, dass es sich um keine Akazien sondern um Robinien handelt. Die Verwechslung der Baumarten des Ortgründers Balthasar Knittelbecher wurde von Generation zu Generation in ebensolcher fälschlichen Weise weitergegeben. Die Robinien als Akazien zu bezeichnen ist bis heute in den Köpfen aller Einwohner tief verwurzelt.
Читать дальше