„Schönen Abend noch, ich bin müde“, ohne auf die erstaunte Frage ihres Mannes: „Was denn, jetzt schon?“, einzugehen, begibt sie sich zur Nachtruhe.
„Wie geht es dir denn beruflich … ich meine … füllt dich die Stelle eines Hausarztes so richtig aus?“ will Andreas von seinem Freund wissen.
„Es ist im Grund genommen nicht so, wie wir es damals beim Studium fälschlicherweise angenommen haben …selbstverständlich hätte ich damals liebend gern eine Assistentenstelle in einem großen Klinikum angetreten … ich habe mich aber für die Landarztpraxis entschieden … nicht ganz freiwillig, muss ich eingestehen … meine Frau ist in ihrer Heimat auf dem Land aufgewachsen … sie mag die Großstadt überhaupt nicht … hier dagegen fühlt sie sich wohl.“
„Und die vielen Hausbesuche … und die Patienten, die wegen jedem kleinen Wehwehchen zu dir kommen … stört dich das nicht?“, fragt Andreas.
Frank Ringhof muss lachen und sagt: „Das sind doch alles Ammenmärchen … wo lebst du denn … die Leute hier auf dem Land sind viel gesünder, als die in der Stadt … und wenn sie mal ein Unwohlsein haben, dann greifen die eher zu Omas Hausmittel, als dass sie zum Arzt gehen.“
„Und die Hausbesuche?“, bohrt Andreas nach.
„Das muss schon sein, belastet mich aber nicht außergewöhnlich … die Menschen, die ich besuche, haben es wirklich nötig … und wenn du Schmerzen linderst … und denen überhaupt helfen kannst … dann weckt das in dir den Berufsstolz … auch deshalb haben wir uns doch gerade für den Arztberuf entschieden.“
„Wirst wohl recht haben … wenn ich an meine Notarzteinsätze denke … ist auch nicht gerade das reine Zuckerschlecken … und die vielen Nachtdienste … und am Wochenende noch Bereitschaft … und tolle Aufstiegsmöglichkeiten kann ich auch nicht in absehbarer Zeit erkennen.“
„Siehst du … wenn ich das so höre, dann bin ich froh, hier zu praktizieren.“
„Für dich mag das ja zutreffen … aber ich bin ausgebildeter Herzspezialist … und in diesem Bereich möchte ich auch weiter arbeiten.“
„Dann bewerbe dich doch in dem Klinikum in Ballenhainischen … ich glaube, die suchen einen neuen Stationsarzt für die Kardiologie.“
„Ich will mal ganz offen zu dir sein … ich habe auch momentan beruflich die Nase voll … ich sehe kein wirkliches Weiterkommen … und als Assistenzarzt möchte ich nicht ein Leben lang arbeiten“, bemerkt Andreas etwas zerknirscht.
„Ich werde mich gleich morgen genau erkundigen … schon aus alter Freundschaft zu dir … und solltest du dich dafür entscheiden … dann suche oder bau dir ein Haus in Akazienaue … so werden wir sogar noch Nachbarn“, bemerkt Frank Ringhof schmunzelnd.
„Und wie sieht es denn mit der Freizeit aus … ist es hier nicht etwas eintönig?“
“Besser, als es sich so mancher Städter vorstellt …die Entfernungen sind natürlich weiter als in der Stadt … dafür ist der Zeitfaktor fast der Gleiche … teilweise noch günstiger … ich nenne dir einmal ein Beispiel …wir besuchen sehr gerne die Veranstaltung des Musiksommers in der Klosterkirche von Malin … die Fahrt dorthin dauert nicht länger als dreißig Minuten.“
„Die brauche ich auch … ich meine … wenn ich in die Oper oder ins Konzert gehe … aber das macht man doch nicht alle Tage“, wirft Andreas sofort ein.
„Natürlich kannst du das Kulturangebot einer Großstadt nicht mit der Gegend von hier vergleichen … das wäre auch nicht ganz fair … dafür hast du eben den großen Vorteil, direkt in der Natur zu leben … auch die Auswahl an Gaststätten hält keinen Vergleichen stand … dafür haben wir hier im Ort ein ganz tolles Restaurant … es nennt sich „Haus am Akaziensee“ … erstklassige Küche und hervorragende Eisbecher … wie beim Italiener“, führt Frank Ringhof begeistert aus.
„Wenn du so weitermachst, empfehle ich dich als Reiseführer für den Ortsverein.“
„Keineswegs, ich übertreibe nicht … du wolltest doch wissen, wie es sich hier leben lässt … da brauche ich nichts zu beschönigen.“
„Ist nicht als Kritik gemeint … deine Schilderungen klingen ziemlich verlockend … ich sollte wirklich ernsthaft darüber nachdenken“, sagt Andreas mit ernster Miene.
„Und vergiss nicht den Akaziensee … wenn du Lust hast, kannst du Angler werden … aber Spaß beiseite … ich habe mir ein Segelboot zugelegt … was glaubst du, wie viel Freude und Entspannung wir beim Wassersport haben … das Beste daran ist, dass man alles gemeinsam machen kann.“
„Ich weiß auch nicht … Segeln … das will doch gelernt sein … ob ich mich dazu eigne?“, bemerkt Andreas nachdenklich.
„Das ist doch nur ein Beispiel gewesen … auf unserem See sind auch Motorboote erlaubt … wenn du die Schleusen nicht scheust, kannst du das ganze Land auf dem Wasser erkunden … ich kenne einige, die so ihren Urlaub verbringen.“
„Das kostet doch bestimmt eine Menge Geld … ich meine so ein Motorboot.“
„Es muss nicht unbedingt eine Yacht sein … da hast du recht … die sind teuer … aber ein kleines Kajütboot … auf dem du auch übernachten kannst, ist schon erschwinglich … und es muss ja nicht gleich das neueste Modell sein … ein Boot aus zweiter Hand tut es auch.“
„Hört sich alles sehr verlockend an … wollen mal sehen … ruf bitte an … ich meine wegen der Stelle im Klinikum“, sagt Andreas Falk schon mit etwas schwerer Zunge und hebt zum Gute Nacht Gruß sein Glas, „der Schlehenzauber hat es ganz schön in sich … vielleicht stoßen wir demnächst als Nachbarn an.“
„An mir soll es nicht liegen … jetzt bist du am Zug … ich hoffe, du triffst die richtige Entscheidung … jetzt sollten wir schlafen gehen …die Flasche ist sowieso leer … aber letztendlich muss auch deine Frau davon begeistert sein“, sagt Frank Ringhof und wünscht eine Gute Nacht.
Die Heimfahrt verläuft anfangs schweigend. Dann kann Anke ihre angeborene weibliche Neugier nicht mehr im Zaum halten und äußert sich: „Erzähl mal, was habt ihr euch denn gestern Abend noch unterhalten, nachdem ich zu Bett gegangen bin?“
„Ach … nichts Wesentliches … über meine Arbeit im Krankenhaus … über seine Tätigkeit als Landarzt … über das Leben auf dem Lande.“
„Das glaube ich dir nicht ganz … dich bedrückt doch etwas … da kenne ich dich zu lange und zu gut … also heraus mit der Sprache.“
„Ja, also“, und nach einer kleinen Kunstpause fährt er fort, „hm … Frank hat mir erzählt, dass die Stelle des Stationsarztes im Klinikum in Ballenhainischen vakant ist … sie soll in der nächsten Woche öffentlich ausgeschrieben werden.“
Mit besorgter, fast ängstlicher Stimme fragt sie: „Und … was hast du gesagt?“
„Er soll sich mal erkundigen … und mich dann anrufen.“
„Das kannst du doch nicht ernst gemeint haben.“
„Es heißt doch deshalb nicht, dass ich auch die Stelle bekommen werde … soweit ist das noch lange nicht … da gibt es sicher eine ganze Menge an Bewerbern.“
„Aber überlege doch einmal … gerade jetzt, wo ich die Teilzeitstelle in dem Rechtsanwaltbüros angeboten bekommen habe … schon in drei Monaten könnte ich dort anfangen … und an Yvonne und Tobias denkst du wohl überhaupt nicht?“
„Doch, doch … aber in ihrem Alter lebt man sich überall ein … und neue Freundschaften findet man ebenfalls … das ist auf der ganzen Welt so … und bleibe doch bitte ganz ruhig … noch ist es ja nicht soweit … vielleicht findest du gerade hier viel leichter eine Stelle als Rechtsanwältin, als bei uns in der Stadt.“
„Du hast ja recht … nein, ich rege mich nicht auf … du sollst dich lieber auf das Fahren konzentrieren … zu Hause können wir uns in aller Ruhe darüber austauschen“, bemerkt Anke. Sie ist sich bewusst, dass damit die Probleme nur aufgeschoben werden. In Wirklichkeit hat sie riesige Angst vor dem Neuen, vor dem Unbekannten, das auf sie zukommen könnte - und wenn sich ihr Ehemann etwas in den Kopf gesetzt hat, dann hat er es bisher immer verwirklicht.
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