„Professor, Sie sagten, das der Schatz Krieg und Frieden bringen kann. Worum handelt es sich bei dem Schatz eigentlich? Gold, Silber oder Diamanten?“
„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Die Inschriften oder alle Spuren, die ich gefunden habe, deuten immer nur den Schatz an. Eine Spur spricht von einer Macht, die über Leben und Tod gebietet. Aber das ist alles sehr wage, Sie wissen selbst, das schon Kriege wegen Gold geführt wurden und Reichtum Macht bedeutet. Aber ein normaler Schatz aus Gold oder ähnlichem; daran glaube ich irgendwie nicht.“
„Dann sollten wir das Geheimnis in der Arktis aufdecken.“ Sagte ich aufgeregt und hatte mich entschieden. „Es wäre mir eine Ehre Sie zu begleiten, Professor Lidenbrock.“
„Dann lassen Sie uns mit einem guten Tropfen Rotwein anstoßen.“ Erwiderte Lidenbrock mit einem Strahlen im Gesicht und wies auf die Tische. „Nebenbei sollten wir speisen. Kommen Sie mit rüber.“
„Sehr gerne.“
Wir erhoben uns und schritten zu den Tischen. Dabei bemerkte ich, das Lidenbrock einen Gehstock mit blauem Edelsteinknauf bei sich trug. Er hatte ihn gegen den Sessel gelehnt, so dass ich ihn nicht sehen konnte. Vermutlich gehörte er zu seiner Mode, da er ihn nicht zum gehen benutzte.
„Ah, das Essen duftet herausragend. Es gibt heute Fisch.“
Wir setzten uns und ein Matrose brachte die Speisen. Es gab wunderbaren Lachs mit Kartoffeln und Zucchini als Beilage. Alles schmeckte ausgezeichnet und auch der Wein, der uns serviert wurde, war exzellent und edel. Dabei kamen mir erneut Fragen auf, die ich benahe vergessen hatte.
„Sagen Sie, Professor Lidenbrock.“ Fragte ich vorsichtig. „Ich habe mir ein Forschungsschiff einfacher und rustikaler vorgestellt, doch jenes hier …“
„So ein Schiff haben Sie noch nie gesehen, wollten Sie sagen.“ kommentierte Paganel. „Ging mir ebenso und ich denke es ist auch einzigartig.“
„Können Sie mir das näher erklären?“
„Gerne.“ Paganel legte die Gabel zur Seite. „Man könnte fast sagen, dass das Schiff uns anheuerte. … Nach unserem lebensgefährlichen Abenteuer in Südamerika saßen wir in einer kleinen Küstenstadt, dessen Name mir nicht mehr einfällt, fest. Der Eingeborenenüberfall hatte uns nicht nur treue Männer, sondern auch viele unserer Habseligkeiten gekostet. Wir baten die Universität um weiteres Geld, doch die weigerten sich und meinten, dass sie genug in ein Hirngespinst investiert hätten. Dabei wollten wir bloß nach Hause zurück.“
„Hirngespinst. Diese Ignoranten, denen werde ich …“
Lidenbrock lief hochrot im Gesicht an und ich dachte, wäre er ein Kochtopf, dann müsste der Dampf zu seinen Ohren hinauszischen.
„Beruhigen Sie sich, Professor.“ Besänftigte Paganel. „Sobald wir denen einen Beweis liefern, werden sie Ihnen die Füße küssen.“
„Will ich hoffen.“ Lidenbrock nahm einen kräftigen Schluck Rotwein, besser er leerte das Glas in einem Zug und schenkte gleich nach.
„Aber wo war ich. … Ach ja. Wir saßen in dieser Stadt fest, als Grant auftauchte und uns ansprach. Sein Kapitän hätte von unserem Schicksal erfahren und wollte die Lidenbrock Expedition weiter finanzieren.“
„Er kam aus heiterem Himmel auf Sie zu?“
„Könnte man so sagen, Jules. Wir wurden aufgenommen und dürfen die Annehmlichkeiten hier an Bord genießen, sowie werden wir bei den Forschungen unterstützt.“ Ergänzte Lidenbrock.
Ich dachte einige Sekunden nach und äußerte meine Bedenken. „Klingt alles sehr Selbstlos. Wo ist der Haken? Was hat der Kapitän davon?“
„Mister Grant, ließ uns frei entscheiden. Wir wurden nicht gezwungen an Bord zu gehen, aber als wir sahen, welche Möglichkeiten es hier an Bord gab, da fiel uns die Entscheidung leicht. Im Oberdeck steht ein kleines Observatorium, die Bibliothek kann sich sehen lassen und das Labor ist weit besser, als das in der Universität. Überhaupt, was hatten wir zu verlieren?“
„Den Schatz womöglich.“
„Das Risiko bin ich gewillt einzugehen, doch ich zweifle an unlauteren Absichten.“
„Warum, Professor? Als ich Doktor Romanoff nach dem Schiff oder dem Kapitän fragte, bekam ich keine Antwort. Hier gibt es zuviel Geheimniskrämerei für meinen Geschmack.“
„Ist das Geheimnisvolle nicht das, mein lieber Jules, was uns Entdecker, Forscher und Abenteurer anzieht?“
Ich nickte.
„Dieses Schiff ist ein gigantisches Rätsel. Allein die Bauart kann ich mit nichts bekanntem vergleichen. Von der Art und Weise wirkt es, als sei sein Erbauer seiner Zeit gedanklich weit voraus. Wir kennen nicht den Namen des Schiffes. Nur dass es mit einem N beginnen könnte, vermute ich, da überall dieses N Wappen vorzufinden ist. Auch den Kapitän kennen wir nicht oder dessen Namen. Mister Grant ist unser Mittelsmann und Ansprechpartner in allen Belangen. Wir haben uns damit abgefunden und können uns so vollends auf die Lidenbrock Expedition konzentrieren.“
Geheimnisse über Geheimnisse. Wo war ich gelandet? Erst finde ich eine mysteriöse Muschel, dann werde ich auf ein noch mysteriöseres schwarzes Schiff gebracht und nun lande ich auf einem Weiteren, das mehr Fragen aufwirft, als mein Verstand im Moment begreifen konnte. Träumte ich vielleicht alles seit dem Unfalltag auf der LEVIN? Und dennoch wollte ich nicht aufwachen, ich spürte, dass ein einmaliges Abenteuer vor mir lag.
„Ah, da sind Sie meine Liebe.“ Hörte ich Lidenbrocks Stimme und kehrte aus meinen Gedanken zurück. „Setzen Sie sich zu uns. Der Fisch ist wieder ausgezeichnet.“
Ich schaute hoch und war wie geblendet. Eine beeindruckende junge Frau von gut fünfundzwanzig Jahren stand vorm Tisch. Die langen rotbraunen Haare waren zu einem Zopf nach hinten geflochten. Gekleidet in einer matten brauen Stoffhose, hohen Stiefel und einer Bluse aus Antilopenfell mit einem traumhaften Ausschnitt der ihre Rundungen dezent, aber auch gewollt hervorhob. Im Haar und am Hals trug sie afrikanischen Schmuck aus Raubtierzähnen und Edelsteinen. Dabei stach ein rosa Kristall an der Kette heraus. Auffällig war die lange Messerscheide mitsamt Messer am rechten Unterschenkel. Es schien, als sei die Scheide in den Stiefel eingenäht. Sie hatte eine schlanke und durchtrainierte Figur. Im gesamten entsprach sie keiner Frau, die ich je getroffen hatte. Sie besaß eine Aura von Stärke, Mut und Selbstständigkeit. Eigentlich eine echte Schönheit, wenn da nicht ein Makel in ihrem Gesicht wäre. Als Makel konnte die hellbraune Augenklappe über dem linken Auge und der tiefen Narbe, die sich darunter über das Gesicht zog, nicht wirklich bezeichnet werden, aber mir fiel keine andere Beschreibung ein. Eine Verletzung dieses Ausmaßes hätten viele Menschen nicht verkraftet, doch diese Frau war anders, sie schien sich den Dingen immer zu stellen. Ungewollt besaß sie einen Zauber, der mich sie einige Sekunden nur anstarren ließ, was sie einfach geschehen ließ.
„Darf ich vorstellen, Jules. Miss Siyanda Van Holmes. Ein weiteres letztes Mitglied der Lidenbrock Expedition. … Meine Liebe, das ist Jules Verne, ehemaliger Schiffbrüchiger und ab sofort Begleiter unserer Reise.“
Ich tupfte mit der Serviette meinen Mund ab und erhob mich.
„Freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen, Mademoiselle Van Holmes.“
Wortlos setzte sie sich zu uns und begann Essen aufzufüllen. Auch ich nahm wieder platz.
„Sie müssen Miss Van Holmes entschuldigen, Jules. Sie redet selten und wenn nur das Notwendigste.“
„Welche Aufgabe erfüllen Sie bei dieser Expedition?“ sprach ich sie an, um das Eis zu brechen, doch sie widmete mir nur einen Augenaufschlag. Dabei sah ich etwas in ihrem grünen Auge, was ich noch nicht einschätzen konnte.
Lidenbrock antwortete erneut für Sie.
„Sie mögen sich fragen, was macht eine Frau in unserer Truppe? … Zuerst war ich auch nicht überzeugt davon, doch als wir in Afrika auf der Suche nach der Karte aus Holz waren, trafen wir auf Miss Van Holmes und bereuten es keine Sekunde. Sie ist bestimmt die beste Fährtenleserin der Welt und kann mit einem Jagdgewehr besser umgehen, als alle Soldaten die ich kennengelernt habe. … Einmal griff uns ein wild gewordener Löwe aus dem Hinterhalt an. Er wollte gerade einen unserer Männer reißen, als sie ihn mit nur einem Schuss erledigte. Seitdem vertrauen wir ihr unsere Sicherheit an.“
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