„Scheiße verdammte!“, brüllt Kalle plötzlich und tritt mit aller Kraft in die Eisen.
„…aber der Wagen, der rollt…Hey!“ Abrupt endet das lautstark geschmetterte Volkslied und nur Kalle sieht den kleinen roten Sportwagen, der ihm die Vorfahrt genommen hat und inzwischen bereits wieder aus Sichtweite ist.
Hinter ihm fluchen laut seine Kollegen. Der Kasten mit den Bierflaschen ist vom Tisch gerutscht und Manni hat ihn gerade noch auffangen können. Manfred Reuter ist der zweite im Bunde. Obwohl er fünf Jahre jünger ist als Kalle, sieht er mindestens fünf Jahre älter aus als dieser. Warum das so ist, darüber gibt es die unterschiedlichsten Annahmen.
„Er säuft mehr als seine Gäste“, sagen die einen, während andere der Meinung sind, der Krebs würde langsam an ihm zehren. Das allerdings stellt eine weitere Theorie in Abrede. „Man hat ihn noch nie mit einer Frau gesehen, so wie der aussieht, ist der HIV-positiv.“
Manni kennt alle diese Gespräche über ihn und er alleine weiß die Ursache. Es ist tatsächlich der Alkohol, der ihm über die Jahre so zugesetzt hat. Seine Frau ist ihm vor fast zehn Jahren mit einem ehemaligen Gast durchgebrannt. Einem guten Gast, erinnert sich Manni. War fast jeden Abend im Lokal, hat sein Bier getrunken, was gegessen und hat seine Frau angestarrt, immer wieder. Ihr hat das gefallen und an einem Abend hat sie ihren Koffer gepackt und ist mit ihm gegangen.
„Ein Glück, dass wir keine Kinder haben!“, hat Manni damals gedacht und wahrscheinlich war das auch ein Grund, dass er sich in der weiteren Zukunft so hat gehen lassen. Erst trank er mit seinen Gästen, dann auch alleine hinter der Theke, während der Arbeitszeit und später noch nach Feierabend in seiner Wohnung. Wären seine Freunde nicht gewesen, wer weiß, wo Manni schließlich gelandet wäre.
Doch insbesondere Kalle hatte ihn überzeugt, dass eine Frau es nicht Wert sei, sich das eigene Leben kaputtzumachen. Kalle hatte einen bekannten arbeitslosen Gastronomen gebeten, Mannis Kneipe so lange zu führen, bis der Entzug stattgefunden hatte. Als Manni schließlich seine Kneipe selbst wieder führen konnte, versuchte er, dem Alkohol fern zu bleiben. Doch dies gelang ihm nur teilweise, aber zumindest konnte er sein Verlangen reduzieren und sich langsam wieder in sein ehemaliges Leben zurückfinden.
Dieses Leben hat ihn hager gemacht. Über seinem schmalen Gesicht, das die Backenknochen hervorstehen lässt, wölben sich buschige Augenbrauen und die mittelblonden Haare auf dem Kopf sind so dünn, dass man die Kopfhaut darunter glänzen sieht. Das rechte Ohr schmückt ein Ohrclip in Form einer kleinen Sektflasche. Sein dunkelgrünes, kurzärmeliges Hemd ist mindestens eine Nummer zu groß und drückt sich in Falten durch die Achsellücken der ärmellosen schwarzen Nappa-Lederweste.
Manni stellt den Kasten zurück auf den Tisch und sofort greifen die Kollegen zu. Mit seinem Feuerzeug öffnet Matthias Meyerfeld vier Flaschen und reicht drei davon weiter.
Sie prosten sich zu und Maathes, unter diesem Namen kennt der eingeweihte Trierer Gaststättenbesucher seinen Kneipenwirt, dreht sich zu Kalle um, der die Gruppe in Rückspiegel beobachtet.
„Auch `n Bier?“
Kalle winkt ab. „Später!“ Schließlich muss er ja fahren.
Inzwischen haben die fünf Gastwirte das Stadtgebiet und den Stadtteil Feyen hinter sich gelassen und fahren die „Pellinger“, wie die Bundesstraße 268 genannt wird, entlang. Ihr Ziel ist Losheim. Dort haben sie in der Privatbrauerei reserviert und wollen heute Abend so richtig die Sau rauslassen.
Maathes prostet den Kollegen am Tisch zu und wischt sich den Schaum vom Mund.
„Schweinerei!“ Er hat die Flasche zu früh abgesetzt und ein Teil des Inhalts ergießt sich auf der Tischplatte.
„Hat denn keiner ein Tempo oder so was Ähnliches?“, ruft er in die Runde und sucht gleichzeitig in seinen Taschen. Endlich findet er ein gebrauchtes Tuch und wischt die hellbraune Flüssigkeit weg.
Maathes ist eigentlich eher der unauffällige Typ eines Gastwirtes. Ein Normalbürger, ein Biedermann, so würde man ihn auf den ersten Blick einschätzen. In zwei Jahren wird er Fünfzig. Im Gegensatz zu manchen Kollegen hat er kein Problem mit dem Älterwerden. „Es kommt alles so, wie es kommen soll“, glaubt Maathes an die Vorsehung. Zufälle gibt es für ihn nicht. „Es ist alles vorherbestimmt“ pflegt er immer zu sagen. Auch dass er nie verheiratet war. „Es hat eben nicht sein sollen. Habe nichts verpasst!“
Und immer, wenn er diese Einstellung preisgibt, streicht er sich über seinen Schnurrbart, den er hegt und pflegt und der gut und gerne eine Spannweite von nahezu zwanzig Zentimetern erreicht hat. Die geschwungene Innenrolle an beiden Enden zwirbelt er mit Bier in die Form. „Bier ist der beste Haarfestiger“, belehrt er jeden Skeptiker, der mit zusammengezogenen Augenbrauen die Prozedur beobachtet.
„Hey Kalle, wie wäre es mit einer Zigarettenpause?“, ruft Heinrich Schröder, der als starker Raucher die Fahrt offensichtlich mehrfach unterbrechen wird.
„Warte noch bis hinter Zerf, Henri!“, entgegnet Kalle aus dem Führerhaus. „Wir machen dann auf einem Parkplatz eine Pinkelpause.“
Henry hustet. Er hustet schon, wenn er an Zigaretten denkt. Verdammtes Laster, auf der einen Seite. Genuss pur für ihn auf der anderen. Er hat nicht vor, aufzuhören.
Wenn es so kommt, wie es kommen soll, dann ist es eben so, denkt er immer dann, wenn der Husten zu stark wird.
Henri ist fünfundvierzig, geschieden und hat eine erwachsene Tochter. Er lächelt, als er an Maria denkt. Sein kleines Mariele. Sein einziges Kind. Sein Blick verdunkelt sich gleich wieder. Seit einem Jahr lebt Maria drüben in den Staaten. Hat einen reichen Ami kennen gelernt, der hat sie mit rüber genommen und geheiratet. Henri war noch nie in Amerika. „Ich werde mein Mariele besuchen!“, verkündet er bei jeder Gelegenheit in seiner Kneipe. „Ich werde Urlaub in Amerika machen!“
Kalle steuert den Van hinter Baldringen und Vierherrenborn die Bundesstraße abwärts und fährt in den Kreisverkehr nahe Zerf ein. Zweihundert Meter später lenkt Kalle den Van auf einen Parkplatz.
„Alles aussteigen, Pinkelpause!“ Kalle schaltet den Motor aus und streckt sich. Nacheinander steigen die vom Alkohol bereits jetzt schon leicht Angeheiterten aus und schlagen sich in die Büsche. Das Bier am Nachmittag fordert sein Recht. Es ist siebzehn Uhr, keine Eile ist angesagt. Das Brauhaus läuft nicht davon. Und Bier, ja Bier gibt es da weiß Gott genug.
Als erster kommt Norbert Nörtiger aus dem Gebüsch, der Jüngste der Gastwirtstruppe, die Spuren seiner Erleichterung unterhalb der Gürtellinie auf dem rechten Hosenbein tragend.
„Nob“ ist die Ausnahme, was das Gewerbetreiben angeht. Während sich die anderen alle der Gastronomie verschrieben haben, besitzt Nörtinger einen kleinen Stehimbiss mitten in der Stadt. Von der Bratwurst über die Frikadelle bis hin zu Schaschlik und Fritten kann man bei ihm alles bekommen.
Doch der Verzehr erfolgt im Stehen, an der Theke, aber auch an den wenigen Tischen, deren Tischplatten erst in Bauchnabelhöhe enden. So hat Nob auch nur wenige Stammgäste. Meist Touristen oder Besucher vom Lande und ab und zu ein Stadtstreicher, wenn der sich durch Betteln ein paar Kröten zusammengespart hat, sind seine Gäste.
Er braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen, und so öffnet er am Morgen gegen elf Uhr und schließt am Abend um die gleiche Zeit. Seine Lebensgefährtin Elvira hilft ihm dabei und auch heute vertritt sie ihn, wenngleich sie für diese Sauftour, wie sie den Trip der Gruppe nennt, kein Verständnis hat.
„Ich kann mir solche Extratouren nicht leisten“, beschwerte sie sich bei Nob, der nur kurz auflachte.
„Ein Mann muss eben tun, was ein Mann tun muss!“, warf er ihr entgegen und weder sie noch er wussten mit dieser Aussage so richtig etwas anzufangen.
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