Katharina schwieg.
Polanski fuhr fort: »Außerdem ist das Ihre Chance, Punkte zu sammeln. Und es ist ja nur für ein paar Tage, bis der Vater an Land kommt. – Und der Fall, wenn er denn einer ist …«
»Da bin ich ganz sicher.«
»Katharina! Sie kennen doch solche Fälle. Vermutlich ein simples Eifersuchtsdrama. Das kann wirklich jeder aufklären. Außerdem: Der Psychologe und die Anhörungskommission werden begeistert sein.«
Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig: Katharina zuckte mit den Achseln: »Also gut.«
***
Polanski ging zufrieden vor ihr her zurück ins Spielzimmer. Laura saß in einer Ecke und erklärte der Staatsanwältin offenbar ein Memory-Spiel. Theresa Ludwig und Elfie LaSalle schwiegen sich an.
»Also«, erhob Polanski die Stimme. »Laura bleibt zunächst einmal bei Frau Klein.«
Das Mädchen sprang auf, lief zu Katharina und klammerte sich an ihrer Hand fest.
»Und die Pizza?«, fragte Elfie LaSalle streng.
Polanski sprach mit seiner sanftesten Stimme: »Frau Klein war nicht auf Besuch eingerichtet. Ist es Ihnen noch nie passiert, dass Sie unverhofft Gäste bekommen haben?«
»Ich habe stets ausreichend gesunde, vollwertige Nahrung im Haus!«
Polanski wollte etwas sagen. Doch Katharina war schneller: »Ich fahre gleich einkaufen. Nur gesunde Dinge.«
Ihr Chef nickte zufrieden. Elfie LaSalles Gesicht nahm wieder eine normale Farbe an. »Und keine Schokolade«, sagte sie streng.
Katharina seufzte. »Versprochen! – Sie haben nicht zufällig einen Kindersitz, den ich leihen könnte?«, fragte sie die Kindergärtnerin versöhnlich.
Was kam jetzt? Der Hinweis, dass Fahrradfahren gesünder wäre? Doch Elfie LaSalle verschwand nur, um kurze Zeit später mit einem schwarzen Kindersitz zurückzukommen: »Der müsste gehen. In meinen Fiat Bambino hat er auch gepasst.«
***
Das würde die gesündeste Woche des Jahres werden. In Katharinas Einkaufswagen stapelten sich die unterschiedlichsten Obst- und Gemüsesorten, frische Kräuter, Bio-Landmilch – Laura hatte darauf bestanden – und noch weitere Dinge, die Katharina als gesund und kindgerecht einstufte. Laura ließ sich nach einer längeren Debatte doch davon überzeugen, dass Nudeln eine vollwertige Mahlzeit darstellten. Vollkorn-Nudeln natürlich. Dafür musste es Fertigsauce aus dem Glas tun. Katharina brauchte dringend einen Schokoriegel.
»Ich denke, wir dürfen keine Schokolade?«, fragte Laura neugierig. »Das hat doch Tante Elfie gesagt.«
Also gut. Keine Schokolade. Nicht schon wieder eine Debatte. Laura hatte bereits bei jedem Obststück gefragt, ob das bio sei. Konnte sie nicht einfach Quarkpackungen durch die Gegend werfen wie jedes normale Kleinkind?
An der Brottheke begann Laura eine ernsthafte Diskussion über das Nussbrot. Die freundliche Verkäuferin schien ein wenig überfragt, ob denn die Nüsse aus Afrika seien.
»Das sind nämlich die besten!«, verkündete Laura apodiktisch.
»Sie haben aber ein kluges Kind. Und ganz die Mutter, wie aus dem Gesicht geschnitten.«
Die Verkäuferin musste blind sein. Einerlei. Jetzt hatten sie endlich alles, wenn Katharina die Berge in ihrem Einkaufswagen richtig einschätzte. Auf zur Kasse. Wenn sie denn jemals durch dieses Labyrinth hindurchfanden.
Mit Schwung bogen die beiden um eine Ecke – und stießen beinahe mit zwei Männern zusammen.
»Katharina! Was für ein Zufall!«, rief der Kleinere.
Katharina kannte die beiden nur zu gut. Hans und Lutz hatten mehrere Jahre abgesessen und arbeiteten jetzt als Sicherheitsbeauftragte für Antonio Kurtz. Hans war klein, drahtig und immer in Bewegung. Lutz war groß, stämmig, kahl rasiert und sehr schweigsam. Katharina war erstaunt, die beiden zu sehen. Normalerweise wichen sie Antonio Kurtz nicht von der Seite.
»Was macht ihr hier?«
»Spezialauftrag!«, wollte Hans lossprudeln. Doch Lutz legte ihm die mächtige Hand auf die Schulter: »Kurtz braucht Caluha.«
»Richtig«, fuhr Hans rasch fort. »Kurtz will ein neues Rezept ausprobieren.«
»Mit Caluha?« Katharina biss sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. Hans war ein schlechter Lügner.
»Ja, richtig. Rinderbraten mit Caluha. Ich meine Fisch. Soll Cai Piranha heißen. Weltbewegend.«
»Leute, ich bin nicht im Dienst. Ihr habt doch keine Dummheiten vor?«
»Nachforschungen. Harmlos«, erklärte Lutz. Katharina sah, dass seine Fingerspitzen weiß wurden, als er die Hand auf die Schulter seines Kollegen presste.
»Was macht die Doktorarbeit, Lutz?«, fragte Katharina, um das Thema zu wechseln. Der große Mann hatte seinen Gefängnisaufenthalt für ein Fernstudium in Philosophie genutzt. Jetzt schrieb er an seiner Dissertation, wenn es die Zeit erlaubte.
»Knifflig. Heidegger.« Wenn Lutz so schrieb, wie er sprach, würde das die kürzeste Doktorarbeit aller Zeiten werden.
Laura hatte die beiden Männer fasziniert betrachtet. »Seid ihr auch Polizisten?«
Hans ging in die Knie: »Nein, aber so was Ähnliches. Wir sind Leibwächter. Wir passen auf, dass anderen Menschen nichts passiert. – Und wer bist du?«
»Ich bin Laura.«
»Hallo Laura. Ich bin Hans. Und das ist Lutz.«
Lutz reichte ihr seine große Hand, die Laura artig schüttelte.
»Laura ist die Tochter meiner Nachbarin«, erklärte Katharina.
Hans erhob sich. »Tja, wir müssen weiter. Caluha besorgen.«
Lutz gab Katharina die Hand: »Pass auf dich auf, Katharina. Es passiert so viel in letzter Zeit.«
***
»Mama kommt nie mehr wieder, oder?«
Katharina und Laura saßen am Küchentisch. Katharina hatte tatsächlich gekocht, und Laura hatte die Nudeln für lecker befunden. Jetzt saßen sie über zwei dampfenden Tassen. Grübelnd hatte Laura in ihrem Kakao gerührt. Und dann hatte sie gefragt. Katharina wusste nicht, was sie antworten sollte. Wie sollte man einem vierjährigen Kind erklären, dass seine Mutter ermordet worden war?
»Ich fürchte, nicht«, sagte Katharina traurig.
Dicke Tränen kullerten langsam über Lauras Wangen. »Ist Mama denn jetzt eine Giraffe?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«
»Aber du weißt doch alles. Du bist doch Polizist.«
»Ach Laura, niemand weiß, was mit uns nach unserem Tod geschieht.« Katharina biss sich auf die Zunge. Durfte sie dieses Wort benutzen?
Laura schniefte und schwieg. Katharina ging um den Tisch und nahm Laura in den Arm. Wenn sie das Kind doch nur irgendwie trösten könnte.
»Weißt du …«, hörte sie sich sagen. »Meine Familie ist gestorben, als ich sechzehn war. Meine Eltern und meine Schwester. Aber manchmal besuchen sie mich. In meinen Träumen.«
»Kommt Mama mich auch besuchen, wenn ich träume?«
»Bestimmt.«
Laura lehnte sich wieder an sie und schwieg. Katharina wischte ihr mit einem Taschentuch die Tränen ab.
***
Laura befand bald, es sei Schlafenszeit für sie. Wie eine kleine Maschine zog sie sich ihren Schlafanzug an, putzte sich mechanisch und gründlich die Zähne. Katharina bot an, ihr noch etwas vorzulesen. Doch Laura wollte nicht. Lieber sollte Katharina bei ihr am Bett sitzen, bis sie eingeschlafen war. So saß Katharina auf der Bettkante und sah auf das kleine Mädchen herab, das seinen Teddy fest im Arm hielt. Bald waren Lauras Atemzüge tief und regelmäßig. Katharina stand leise auf und ging hinaus. Die Tür lehnte sie nur an; so würde sie hören, wenn etwas mit Laura nicht in Ordnung war.
Kinder waren wirklich nicht ihre Stärke. Schon gar nicht, wenn sie Angehörige von Mordopfern waren.
Angehörige von Mordopfern … Thomas hatte es immer übernommen, mit ihnen zu sprechen. Katharina spürte heiße Scham in sich aufsteigen. Sie hatte fast den ganzen Tag nicht an Thomas gedacht. An ihren Partner, der jetzt in einer Schublade in der Leichenhalle lag. Den sie nicht hatte beschützen können. Der …
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