Laura hatte gespannt zugehört. »Was ist lesbisch?«
In diesem Moment tapste ein Wust von Korkenzieherlocken über einem überlangen Motörhead-T-Shirt in die Küche.
»Morg’n!«, nuschelte Frauke, mit ihren Haaren um freie Sicht ringend. »Störe ich?«
***
Katharina wollte sich gerade noch ein weiteres Brötchen schmieren, als sie ihr Mobiltelefon klingeln hörte. Sie fand es zu spät und sah nur, dass Polanski endlich zurückgerufen hatte. Ihre Finger schwebten schon über der Rückruftaste, doch dann hielt sie inne. Was sollte sie eigentlich sagen?
Sie ging mit dem Telefon zurück in die Küche. »Polanski. Aber ich war nicht schnell genug dran.«
»Lass mich das machen, Liebes.« Frauke griff nach dem Telefon.
»Jaaaaa, guten Morgen, Paul«, begann sie überschwänglich. »Ich bin’s, Frauke. Ich sitze hier gerade mit Frau Klein, und wir sind dann doch neugierig, ob sich in der Sache Wahrig schon was ergeben hat.«
Die Staatsanwältin lauschte. Gelegentlich sagte sie »Hm« oder »Hmhm«. Endlich verabschiedete sie sich von Polanski und wandte sich an Katharina: »Angeblich ist die Wohnung gestern gründlich untersucht worden.«
»Das kann doch nicht sein.« Katharina sprang auf und spurtete die zwei Treppen zur Tür von Melanie Wahrig hinunter.
Die Tür war polizeilich versiegelt, aber …
Sie suchte sie nach dem Haar: Es war noch genau dort, wo sie es hinterlassen hatte.
Zornig stürmte Katharina die Treppe wieder hinauf. Am Küchentisch griff sie nach ihrem Handy. Doch Frauke hielt ihren Arm fest. »Was ist denn, Katharina?«
»Niemand hat die Wohnung betreten! Polanski hat uns angelogen.« Sie machte sich los und wollte wählen.
Doch die Staatsanwältin nahm ihr das Handy ab und wählte erneut Polanskis Nummer: »Jaaaaa, hallo, mein Lieber. Ich bin’s noch mal. – Tja, es sieht wohl so aus, dass niemand die Wohnung betreten hat. – Doch, das wäre gut. Bis gleich.« Sie wandte sich an Katharina: »Er kommt selbst vorbei.«
***
»Das ist ja ein ganz schön starkes Stück«, sagte Polanski, nachdem Katharina ihm von dem Haar berichtet hatte. »Und Sie sind sicher, dass sich das Haar nicht einfach nur verfangen hat? Ich meine, vielleicht hat die Hausverwaltung ja –«
»Das glaube ich nicht. Die hätten bestimmt den Hausbesitzer informiert, wenn die Polizei um einen Schlüssel gebeten hätte.«
»Und wie können Sie da so sicher sein?«
»Das Haus gehört mir«, antwortete Katharina sachlich. »Was sagt denn der Bericht?«
»Lesen Sie selbst.« Polanski reichte Katharina die Akte, die er mitgebracht hatte. Sie überflog den Inhalt: Der Grundriss stimmte nicht, die Küche war verkehrt eingezeichnet, die Leiter falsch platziert. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass es sich eindeutig um einen Unfall gehandelt habe. Katharina las die Unterschrift. Kriminaloberrat Vorbauer, der Leiter des KK 12, als Vorgesetzter. Und dann »KOK Bähr« mit Unterschrift und offiziellem Stempel auf der Zeile »Ermittelnde/r Beamter/in«. Das durfte doch nicht wahr sein! Katharina warf die Akte auf den Tisch: »Warum haben Sie das ans KK 12 gegeben? Das ist doch gar nicht deren Zuständigkeit.«
»Das waren die Einzigen, die noch ein Team frei hatten.«
»Raten Sie mal, wen!«
Polanski zog die Akte heran. »Die Bähr. Oh je. Das heißt also …«
»Dass unser lieber Freund Hölsung auch mit von der Partie war. Die Bähr ist seine Partnerin. – Kein Wunder, dass die nicht nach dem Schlüssel gefragt haben. Und Vorbauer hat natürlich unterschrieben. Damit liegt das Ganze bei der Staatsanwaltschaft.«
»Scheiße.« Frauke ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken.
»Das sagt man aber nicht«, tadelte Laura sie.
»Genau«, stimmte ihr Andreas Amendt zu. »Da hat sich also ein Dream-Team des Falls angenommen?«
»Exakt. Die sind nicht nur unfähig, sondern Hölsung ist auch noch mein Todfeind«, antwortete Katharina.
»Eben«, sagte Polanski. »Und wem wird man eher glauben? Einer suspendierten Beamtin oder den beiden Hätschelkindern des KK 12? Zumal Katharina Hölsung vor drei Tagen mit einer Waffe bedroht und festgenommen hat.«
»Ich hätte ihn erschießen sollen.«
»Nun ja, zu spät.« Frauke hatte sich wieder aufgerichtet. »Zunächst einmal werde ich dafür sorgen, dass dieser Bericht ganz unten im Stapel der zu bearbeitenden Akten landet. So gewinnen wir Zeit.«
„Und danach?“, fragte Katharina.
Polanski rührte nachdenklich in seinem Kaffee. Dann straffte er die Schultern: »Es gibt wohl keine andere Möglichkeit. Sie müssen ran, Katharina.«
»Ich? Bin ich wieder im Dienst?«
»Nicht ganz. – Aber die Angehörigen sind noch nicht informiert, wenn ich das richtig sehe?«
»Die Kindergärtnerin hat den Auftragsdienst von Lauras Vater angerufen.«
»Das ist aber nicht offiziell. Das heißt, es müsste also jemand in die Wohnung gehen und nach Unterlagen zu Angehörigen suchen.«
»Das macht doch das Ordnungsamt?« Worauf wollte Polanski denn hinaus?
»Warten Sie!« Polanski kramte in seinen Taschen. Das winzige Handy, das er schließlich hervorzog, verschwand fast in seiner Pranke. Er wählte eine Nummer. »Polanski, guten Morgen. – Entschuldigen Sie die Störung am Wochenende. Haben Sie die Unterlagen zum Fall Wahrig schon bekommen? –Ja, ich verstehe, dass Sie überlastet sind. Deswegen rufe ich an. – Ich habe zurzeit eine Beamtin, die im gleichen Haus wohnt und die frei wäre für Sonderaufgaben. – Ja, genau. Frau Klein. – Natürlich ist das rechtens. – Gut, Herr Kollege. Ich werde Frau Klein beauftragen.« Zufrieden legte er auf.
»Ich soll den Job vom Ordnungsamt machen?«, fragte Katharina mürrisch. »Soll das eine Strafarbeit sein?«
»Wenn Sie so wollen. Aber ich weiß, dass Sie gründlich arbeiten. Sehr gründlich. Und da könnte es doch sein, dass Ihr geübter Blick …«
»Sie meinen, ich soll den Tatort untersuchen?«
»Das haben Sie gesagt. Aber Angehörige sind manchmal schwer zu finden. Da muss der eine oder andere befragt werden, Nachforschungen angestellt …«
Frauke schüttelte den Kopf. »Egal, was sie findet – das ist höchst illegal. Vor Gericht völlig wertlos.«
»Deswegen brauchen wir ein Geständnis vor einem weiteren Beamten. – Haben Sie mich verstanden, Katharina?«
Die so Ermahnte konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Ja, klar. Danke, Chef.«
»Nichts zu danken.« Er hielt inne. »Ich habe noch Verstärkung für Sie. Die Hörnchen brauchen dringend Auslauf.«
»Wer?«, fragte Amendt.
»Alfons und Bertram Horn. Aber jeder nennt sie nur A-Hörnchen und B-Hörnchen«, antwortete Katharina. »Die besten Spurensicherungsexperten bei uns im Präsidium.«
Polanski wählte erneut auf seinem Handy. »Hallo, Alfons. – Und? Wie ist …? – Passt auf, es gibt hier eine kleine Aufgabe für euch. Eine Amtshilfe fürs Ordnungsamt. Katharina wird euch sagen, um was es geht. Ja, Katharina Klein. – Also schnappt euch eure Kits und fahrt zu ihr.« Er gab die Adresse durch und beendete das Gespräch.
»Sie sind unterwegs. Und ich bin jetzt im Wochenende. Ganz offiziell. Und ich habe Sie nur ans Ordnungsamt ausgeliehen. – Also, Katharina?«
»Ans Ordnungsamt ausgeliehen. Ein Geständnis.«
»Ach ja, eins ohne Daumenschrauben, bitte.«
»Chef, Sie können einem aber auch den ganzen Spaß verderben.«
***
Alfons und Bertram Horn glichen einander wie ein Ei dem anderen. In doppelter Hinsicht. Die beiden kleinen, rundlichen Männer trugen die gleiche Frisur und das gleiche, seit den frühen Siebzigern aus der Mode gekommene Brillengestell. In ihren weißen Arbeitsoveralls sahen sie zudem tatsächlich aus wie Eier, die sich beharrlich weigerten, das Küken in ihnen schlüpfen zu lassen.
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