Wer die beiden jedoch aufgrund ihres Äußeren gleich in die Schublade „verschroben und zurückgeblieben“ einordnete, täuschte sich: Bertram Horn war ein renommierter Kriminalbiologe, sein Bruder Alfons ein nicht weniger etablierter forensischer Chemiker. Was die beiden ausgerechnet zur Spurensicherung gebracht hatte, war eines der großen ungelösten Rätsel der Frankfurter Kriminalpolizei.
Katharina bat sie in die Küche. Am Küchentisch saßen nur noch Andreas Amendt und Laura. Frauke Müller-Burkhardt hatte sich zusammen mit Polanski verabschiedet. Laura betrachtete die Neuankömmlinge neugierig.
»Ach, guck mal …« – »… der Amendt.« Die Hörnchen hatten die Angewohnheit, Sätze zwischen sich aufzuteilen. Sie freuten sich diebisch, wenn es einem von ihnen gelang, einen Satz zu beginnen, den der andere nicht fortsetzen konnte.
Laura kicherte und zog damit die Aufmerksamkeit der seltsamen Neuankömmlinge auf sich. Artig gaben sie Laura die Hand. »Ich bin Alfons!« – »Ich bin Bertram!« – »Wir sind Kollegen von Katharina!«
»Ihr seid Polizisten?«, fragte Laura ungläubig.
»Oh ja!« – »Wie man’s nimmt!« – »Wir suchen Spuren!«
»Echt? Wie Indianer?«
»Besser!« – »Viel besser!« Die Hörnchen schwangen sich auf zwei Stühle.
»Dr. Amendt brauche ich euch also nicht vorzustellen?«, fragte Katharina.
»Den Meister?« – »Natürlich nicht!«
Andreas Amendt musterte den Küchenfußboden, vermutlich auf der Suche nach einer passenden Ritze, in die er sich verkriechen konnte.
»Warum nennt Ihr den Andreas Meister?«, wollte Laura wissen. Katharina hatte es sich nicht zu fragen getraut.
»Er kann viele Dinge, die wir nicht können!«
»Was denn?« Laura hatte offensichtlich Vergnügen an den beiden seltsamen Männern. Doch die Hörnchen antworteten nur zögernd. Amendts Arbeitsgebiet war wirklich nichts für Kinder. »Ach, er kann Spuren finden, die wir nicht finden können.«
»Echt?« Laura blickte bewundernd zu Andreas Amendt. »Zeigst du mir das mal?«
Andreas Amendt, immer noch etwas rot, sagte rasch: »Na klar. Komm mit! Dann kann Katharina in Ruhe mit ihren Kollegen sprechen!«
Er führte Laura aus dem Zimmer und schloss die Küchentür sorgfältig. Katharina schämte sich. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Die Hörnchen waren ja hier, um den Tod von Lauras Mutter zu untersuchen – kein Thema für Kinderohren.
Sie setzte sich zu den beiden Männern an den Küchentisch. »Ihr kennt Dr. Amendt?«
»Klar!« – »Er ist echt der Beste!« – »Der kann seinen Job!« – »Und außerdem …« Beide fingen wieder leise an zu kichern.
»Und außerdem?«
»Also, er ist mal vor Gericht gefragt worden …« – »… ob er sicher sei, dass eine Leiche …« – »… die er obduziert hatte …« – »… wirklich tot war.« – »Und weißt du …« – »… was er geantwortet hat?«
Katharina schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Er sei ganz sicher.« – »Schließlich hätte er das Gehirn …« – »… in einem separaten Gefäß aufbewahrt.« Die Hörnchen lachten hysterisch.
»Und was ist daran so komisch?«
»Wart es ab.« – »Das Beste kommt noch« – »Der Staatsanwalt hat dann tatsächlich gefragt …« – »… ob die Person nicht trotzdem noch hätte leben können.«
»Und der Meister hat gesagt …« Die beiden lachten wieder.
»Was hat er gesagt?«, drängte Katharina.
»Und er hat gesagt: Ja, sicher …«, fing das eine Hörnchen an.
»Der Betreffende hätte noch eine glänzende Karriere als Staatsanwalt machen können!«, ergänzte das andere.
Katharina blickte verblüfft zur Tür. Andreas Amendt hatte Humor? Offenbar konnte er diese Eigenschaft ganz gut verbergen.
»Also, Katharina, was hast du für uns?« – »Polanski hat uns doch nicht wirklich ans Ordnungsamt ausgeliehen?«, brachten die Hörnchen mit neugierigem Stereo endlich das Gespräch zum richtigen Thema.
»Wie man’s nimmt.«
»Also ist es …« – »… nicht so ganz …?«
»Nun, legal ist ein dehnbarer Begriff«, sagte Katharina. »Aber wenn ihr nicht dabei sein wollt, verstehe ich das.«
»Haben wir dich …« – »… jemals hängen lassen?« – »Außerdem:« – »Wann kommt man als Spurensicherer schon mal dazu …« – »… verdeckt zu ermitteln?«
Katharina holte ihre kleine Digitalkamera, mit der sie die Küche und die bewusstlose Melanie Wahrig fotografiert hatte. Die Hörnchen überspielten die Bilder auf ihr Notebook. Dann betrachteten sie die Fotos aufmerksam. Hin und wieder deutete der eine auf ein Detail, was der andere mit einem Nicken quittierte. Katharina kannte das schon. Zu den Talenten der Hörnchen schien eine sehr eigene Form der Telepathie zu gehören.
Endlich klappten die den Computer zu: »Na, dann wollen wir mal!«
»Braucht ihr mich?«, fragte Katharina.
»Ach, Polizei stört nur. Weißt du doch!«
»Und draußen scheint ausnahmsweise die Sonne. Geh doch mit Laura spazieren. Wir rufen dich an, wenn wir durch sind.«
***
Andreas Amendt saß im Wohnzimmer und spielte mit Laura Mensch-ärgere-dich-nicht. Katharina sah, wie Laura würfelte und eine Figur zufrieden in ihr Häuschen wandern ließ.
»Wie läuft es?«, fragte Katharina.
Andreas Amendt antwortete mit dramatischem Tremolo: »Nicht gut. Laura gewinnt immer!«
»Echt, Laura? Du kannst das Spiel schon so gut?«
»Klar. Ich bin doch schon –«
»Fast fünf«, sagten Andreas Amendt und Katharina gleichzeitig. Sie lachten.
»Ich weiß, was ein Fingerabdruck ist!«, verkündete Laura stolz. »Das kommt nämlich von den Pap… Papa…«
»Papillarleisten«, half Andreas Amendt aus.
»Papillaren«, wiederholte Laura glücklich. Sie lutschte das Wort wie ein besonders leckeres Bonbon. »Papillaren, Papillaren, Papillaren …«
»Und? Was sagen die Hörnchen?«, fragte Andreas Amendt.
»Haben uns spazieren geschickt. Wird wohl eine längere Untersuchung.«
***
Tatsächlich hatte der Novemberhimmel ein paar Strahlen Sonne durchgelassen, die auf dem Mainwasser glitzerten und selbst die sonst so bedrohlichen Hochhäuser der Frankfurter Skyline in ein freundliches Licht tauchten. Und so gingen die drei am Main spazieren. Katharina und Andreas Amendt nahmen Laura in die Mitte, schwangen sie hin und wieder an ihren Armen durch die Luft. Doch allmählich wurde es ihnen zu kalt. Also schlug der Arzt vor, eine gute Freundin von ihm zu besuchen.
Er führte sie in eine Seitengasse des Sachsenhäuser Ufers und blieb vor einer unscheinbaren Tür stehen, über der ein kleines Schild hing: Blaues Café.
Stufen führten hinunter in ein Gewölbe, das weder blau war, noch irgendeinem Café ähnelte, das Katharina kannte:
Kerzen brannten auf den Tischen, ein paar trübe flackernde Öllampen an den Wänden vermochten kaum Licht in die Dunkelheit zu bringen. Sofas, Sessel, aber auch einfache Holzstühle standen um die absurdeste Sammlung von Tischen, die Katharina je gesehen hatte.
Auf einer kleinen Bühne am Ende des Gewölbes stand jedoch ein moderner Verstärker, an dem eine halbakustische Gitarre lehnte.
Laura klammerte sich an Katharinas Hand. »Toll«, sagte sie nicht sehr überzeugt.
»Das ist das Blaue Café«, erklärte Andreas Amendt. »Mein zweites Wohnzimmer.«
»Andreas, bist du das?«, fragte eine kräftige Alt-Stimme. Um die Theke herum kam eine Frau. Sie war groß und – Katharina suchte nach dem passenden Wort, nicht dick, sondern – üppig. Ein Schwall roter Haare umfloss ihre Schultern. In ihrem sommersprossigen Gesicht funkelten zwei grüne Augen. Sie mochte Mitte fünfzig sein.
»Darf ich vorstellen, Marianne Aschhoff. Und das hier ist Katharina Klein, eine Kollegin.«
Marianne Aschhoff musterte Katharina eindringlich: »Ärztin?«
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