Fox stellte sich an einen Beistelltisch aus weißem Plastik. Im Grunde passte dieses einfache Gestell so gar nicht in das sonst so elegante Ambiente des Tibesty-Hotels. Er nahm sein iPhone aus der Hosentasche und wählte die Sonderfunktionen für eine sichere Verbindung nach Konstanz. Opal Alpha meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen.
-„Guten Abend. Ich dachte schon, Sie melden sich gar nicht mehr.“
Natürlich – für Rebecca Lavoir, die Leiterin des European Secret Service war ein Uhr in der Nacht selbstverständlich Abend. Im Grunde machte es bei ihr gar keinen Unterschied, wie spät es war und ob andere Menschen um diese Uhrzeit schliefen oder nicht. Wenn man sie aber erst einmal richtig kannte, dachte Fox, dann war Rebecca Lavoir oder Opal Alpha eine faszinierende Frau, der man große Anerkennung zollen musste.
-„Mir ist der Verkehr dazwischen gekommen“, antwortete er und musste bei diesem Satz selbst grinsen. Ein Lachen konnte er sich gerade noch verkneifen. Seine Chefin ging auf diese Bemerkung gar nicht erst ein.
-„Als erstes klären Sie mich am besten über den aktuellen Stand Ihrer Nachforschungen auf. Ich habe von dem Bild gehört. Wo haben Sie das gemacht?“
Fox klärte sie in kurzen, präzisen Sätzen über den Hinterhalt und das Terroristencamp auf.
-„Konnten Sie wenigstens mehr über dieses Camp herausfinden?“
-„Nein, Ma’am, tut mir leid, die Situation schien mir nicht angemessen, um weitere Nachforschungen anzustellen. Immerhin musste ich meine Begleiterin in Sicherheit bringen. Die Dame vom Innenministerium.“ Den letzten Satz sagte er in seiner Muttersprache, was nicht oft vorkam. Obwohl beim ESS im Grunde alle Mitarbeiter des Deutschen mächtig waren und Rebecca Lavoir als Schweizerin mit ihm als Deutschen problemlos in seiner Landessprache hätte sprechen können, unterhielten sie sich fast ausschließlich in Englisch. Er hatte sich das während seiner Zeit in Oxford und Cambridge so angewöhnt. Selbst mit seinen Freunden sprach er zumeist nur noch in Englisch, möglicherweise auch, weil es mittlerweile besser war als sein Deutsch.
-„Ach, eine Dame also.“ Opal Alpha ließ ihre Worte nachwirken. Ein Gefühl sagte ihm, dass sie es von Anfang an gewusst hatte. Aber vielleicht wollte er auch nur, dass es so war. „Na ja, machen Sie sich keine Vorwürfe, an einem Ort von dieser Brisanz fällt es auch einem guten Agenten nicht leicht, sich umzuschauen.“
-„Es gibt da noch etwas“, musste Fox gestehen. „Man hat mir während meiner Bewusstlosigkeit wohl meine Waffe abgenommen. Die Walther PPQ, die ich auf dem Flug hierher ausgehändigt bekam, ist also weg.“
-„Das ist Sache der Abteilung Gamma. Ich kann mir schon vorstellen, dass Opal Gamma darüber nicht erfreut ist, aber ich werde Ihnen deswegen sicher nicht den Kopf abreißen. Wo befinden Sie sich im Augenblick eigentlich?“
Er blickte in den Nachthimmel.
-„In Benghazi, an der libyschen Mittelmeerküste. Müssten Sie nicht eigentlich mein Signal auf Ihrem Bildschirm empfangen?“
-„Irgendetwas ist hier noch nicht richtig angeschlossen. Ich habe Sie zwar auf einer sicheren Leitung, aber ich spreche mit Ihnen über ein ganz normales Telefon.“ Fox hörte, wie sie den Hörer zur Seite legte und auf Lautsprecher umschaltete. „Nun sollten wir allmählich überlegen, wie es weitergeht, Fox. Ihre Informationen habe ich jetzt bekommen. Meine bin ich Ihnen noch schuldig: Iwan Palach, der Europäer, den Sie im Camp fotografieren konnten, steht schon seit langem auf unserer Liste. Auch Interpol interessiert sich seit einer Weile für ihn, was nicht ungewöhnlich erscheint, wenn man weiß, für welch große Anzahl an Morden er verantwortlich gemacht werden soll. Trotzdem wissen wir, dass er nur ein einfacher Auftragskiller ist. Kein Mann der Planung. Er hat einen Befehlshaber. Wir gehen davon aus, dass dieser Befehlshaber Antonin Slota ist. Slota wohnt derzeit in Budapest, stammt aber aus der Slowakei. Er ist ein ehemaliger Oppositionspolitiker, der übrigens auch für das Veto der Slowakei gegen den Euro-Rettungsschirm vor einigen Jahren mitverantwortlich war. Anschließend ist er dann allerdings aus der Politik ausgetreten, wohl auch aufgrund größerer Differenzen mit dem Parteiführer. Heute lebt er im ungarischen „Exil“ und beschäftigt sich nach unseren Informationen mit kaum mehr legalen Aktivitäten. Sie haben doch sicher schon von den Ereignissen rund um die Herabstufung Deutschlands durch die großen Ratingagenturen gehört, oder geh ich da fehl in der Annahme?“
-„Nein, da liegen Sie mal wieder vollkommen richtig.“
-„Gut, oder besser: Nicht gut, dass es passiert ist. Hier in der Bundesrepublik ist im Moment die Hölle los. Und der Bundesnachrichtendienst bittet uns seit Stunden um Mithilfe bei der Aufklärung der Anschläge. Was ja im Übrigen für unsere Geheimhaltung spricht. Wie dem auch sei, wir sind auch durch die anti-europäische Einstellung Slotas auf ihn gekommen. Hinzu kommt, dass Palach derzeit ebenfalls in Budapest gemeldet ist, was eine Verbindung zwischen den beiden noch wahrscheinlicher macht. Ich schlage also vor, Sie frühstücken in der nächsten Stunde noch in Ruhe und suchen sich dann einen Flug nach Budapest.“ Fox triumphierte innerlich. Er hatte also mal wieder Recht gehabt. Allerdings wehrte die Freude nicht lange, da er sich erinnerte, dass er diese Art von Weltreisen verabscheute. „Die Maschine, die Sie hingebracht hat, können Sie allerdings vergessen. Man hat die Regierungsbeamten aus Libyen bereits zurück nach Deutschland geflogen und nur deshalb stand die Maschine ja überhaupt zur Verfügung. Aber ich werde Ihre Sekretärin Miss Maytree mal damit beauftragen, etwas für Sie herauszusuchen. Sie wird sich dann bei Ihnen melden – die letzten Instruktionen gebe ich ihr dann noch rechtzeitig. Frühstücken Sie jetzt erst mal in Ruhe, damit sie dann fit nach Ungarn aufbrechen können.“
Fox schnaufte verächtlich, was Opal Alpha am anderen Ende der Leitung aber überhörte.
-„In Ordnung, Ma’am, ich erwarte dann Nachricht von Miss Maytree. Eine angenehme Nachtruhe wünsche ich dann noch“, fügte er mit süffisantem Unterton hinzu.
-„Ihnen einen guten Flug. Ach und eins noch, Fox!“
-„Ja?“
-„Versuchen Sie doch mal, einfach ganz normale Nachforschungen anzustellen, ohne sich dabei wieder in Lebensgefahr zu bringen, okay?“
-„Ich werde es versuchen.“
Damit beendeten sie das Gespräch.
Wie Fox es erwartet hatte: Kaum Informationen für ihn, nur ein Auftrag, der ihn mal wieder mehrere tausend Kilometer um den Globus führen würde und die Aussicht auf eine Menge Stress.
Er ging zurück, wie er gekommen war. In der Lobby angelangt, überlegte er sich, auf einen Drink in die immer noch menschenleere Bar einzukehren. Die indirekte Beleuchtung war bis auf ein Minimum herunter gedimmt und wenn in der Lobby nicht ein großes Schild darauf hingewiesen hätte, dass die Bar bis in die frühen Morgenstunden geöffnet sei, wäre Fox vermutlich gar nicht auf die Idee gekommen, dass er hier noch einen Drink bekommen könnte. So setzte er sich aber auf einen der Hocker vor dem Tresen und starrte auf das Plakat an der Wand. „Viva la rivoluzione“ stand in großen bunten Buchstaben vor einigen Rebellen im Freudentaumel im Hintergrund des Bildes. Es war schon faszinierend, wie schnell die Welt sich veränderte. Noch vor wenigen Monaten hatte hier ein erbitterter Bürgerkrieg geherrscht und nun erinnerte allein dieses Plakat an die Auseinandersetzungen zwischen Muammar Al-Gaddafis Anhängern und den Rebellen, in die sogar die NATO zwischenzeitlich eingegriffen hatte.
Aus einem Raum hinter der Bar kam die Frau von der Rezeption. Sie trug nun ein anderes Kopftuch - das war Fox sofort aufgefallen - und wirkte etwas müde.
-„Sie wünschen?“, fragte sie gelangweilt.
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