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Sofort war Fox in Kampfbereitschaft. Er spürte, wie das Adrenalin in seine Blutbahnen schoss. Situationsanalyse: Der Mann, von dessen Gesicht lediglich die Augen zu sehen waren, stand allein in der geöffneten Zellentür, mit einem Maschinengewehr bewaffnet. Sie waren zu zweit, hatten aber keine Hilfsmittel. Zudem war Fox immer noch leicht angeschlagen, aber in diesem Moment war von den Schmerzen nichts mehr zu spüren. Was also tun? Irgendwie mussten sie die Initiative an sich reißen. Der Terrorist wurde ungeduldig.
-„Allez! Allez! Allez!“, rief er lautstark.
Leonie stand noch immer wie angewurzelt neben Fox. Die atmosphärische Spannung war kaum auszuhalten. Innerlich zählte Fox bis drei, dann trat er blitzschnell einen Schritt nach vorne und verpasste dem Mann einen Faustschlag mitten ins Gesicht. Zwar überrascht, aber nicht benommen, hob der Terrorist seine Waffe und zielte, irgendetwas brüllend, auf Fox‘ Brust. Der taumelte erschrocken zurück bis zur hinteren Zellenwand. Hektisch blickte er sich um. Er konnte sich nicht wehren, solange er keine Hilfsmittel hatte und Fox war sich sicher, dass der Terrorist nicht lange zögern und ihn erschießen würde. Langsam ging der Mann ein paar Schritte. Immer noch zielte er ganz konzentriert auf seine Brust. Fox stellte sich bereits vor, wie er zerfetzt in der Ecke liegen und man ihn vergessen würde, ohne dass er noch einen Nachruf in der Zeitung bekam. In diesem Moment machte der Terrorist einen weiteren Schritt nach vorne und stand nun genau neben der immer noch wie erstarrten Leonie Krüger. Plötzlich zuckte ihr linker Arm nach oben und riss an seinem um den Kopf gebundenen Tuch. Erschrocken wirbelte er herum. Diesen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte Fox und schnellte nach vorne, um ihm erneut einen Schlag zu verpassen, diesmal allerdings mit aller Kraft und genau auf die Zwölf. Der Terrorist taumelte benommen ein paar Schritte zurück. Fox griff nach dem Maschinengewehr und riss es dem Mann aus den Händen. Er warf es Leonie zu und verpasste seinem Gegner noch einen Kinnhaken, der ihn zurückfliegen und gegen die Wand prallen ließ. Der Terrorist sackte zusammen wie ein nasser Sack. Ohne ein Wort zu sagen, lief Fox zu Leonie, nahm ihr das MG ab, fasste ihre Hand und zog sie aus der Zelle. Draußen schlug er das Eisengitter zu und suchte kurz nach einem Schlüssel für das Schloss, den er allerdings nicht fand.
-„Verdammt“, stieß er aus.
In der einen Hand das Maschinengewehr, in der anderen die von Leonie rannte er einem schwachen Licht entgegen. Während sie durch einen engen Gang liefen, bemerkte er, dass ihre Zelle sich in einem relativ großen Komplex befunden hatte. Sie liefen fast hundert Meter über sandigen Boden zwischen Lehmwänden. Bislang schien sie niemand entdeckt zu haben und das war eine Tatsache, die ihn positiv stimmte. Kurz vor dem Ende des Ganges blieb Fox abrupt stehen. Das schwache Licht, das er gesehen hatte, entstammte einer kleinen Lampe, die vor dem Eingang zu diesem langgezogenen Gebäude hing. Draußen war es bereits stockdunkel. Was ihn aber hatte innehalten lassen, war eine Beobachtung, die er aus dem Augenwinkel gemacht hatte. Neben ihrer derzeitigen Position befand sich eine Tür mit einem kleinen Fenster. Als er nun hindurch blickte, bestätigte sich sein Verdacht. Einer der Soldaten, mit dem er vor einigen Stunden noch Seite an Seite gekämpft hatte, saß fröhlich grinsend mit einigen vermummten Männern und einem Europäer zusammen und aß aus einer Konservenbüchse. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm auf. Dass sie in diesen Hinterhalt geraten waren, schien kein Zufall zu sein. Sie hatten einen Verräter in ihren Reihen gehabt. Noch beunruhigender aber war die Tatsache, dass ein Europäer beteiligt schien. Der libysche Soldat zählte gerade ein Bündel Geldscheine und sagte irgendetwas, als der Europäer plötzlich eine Waffe zog und dem Mann in den Kopf schoss. Blut spritzte und der Soldat fiel rücklings zu Boden. Unruhe breitete sich unter den vermummten Gestalten aus, als der Mörder etwas durch den Raum rief. Offensichtlich schien er hier einen gewissen Einfluss zu haben. Fox durchforstete seine Taschen. Auch wenn er sie beide damit in noch akutere Lebensgefahr brachte, musste er es riskieren und ein Foto von dem Europäer machen. Offensichtlich war er eine wichtige Person in den Reihen dieser Terroristen, auch wenn seine Rolle Fox auf den ersten Blick nicht klar wurde. Er tastete weiter nach seinem iPhone, doch er fand nichts. Sein Blick wanderte zu Leonie, die trotz angenehmer Temperaturen am ganzen Körper zitterte.
-„Hast Du mein iPhone irgendwo gesehen?“, fragte er im Flüsterton.
Leonie brauchte einen Moment, um seine Frage zu verarbeiten, dann griff sie unter ihr Top und zog sein iPhone aus ihrem Büstenhalter.
-„Du hattest es verloren, als Du mich hinter dem Felsen zurückgelassen hast. Da habe ich es eingesteckt.“ Sie lächelte verlegen.
Ohne auf ihre Erklärung einzugehen, nahm er das mit Kratzern übersäte Smartphone und öffnete die Foto-Funktion. Schnell deaktivierte er die Blitz-Automatik, dann schoss er ein Foto von dem Europäer. Die Bildqualität war bei dem Licht und durch das Fenster nicht besonders gut, aber es reichte für eine Gesichtsanalyse. Er gab Leonie das Smartphone zurück.
-„Hier, ich glaube bei Dir ist es besser aufgehoben.“
Nachdem sie es wieder an seinen alten Platz zurückgesteckt hatte, rannten sie weiter. Der Untergrund war draußen etwas härter, was Fox keine größeren Probleme bereitete, da seine Schuhe noch halbwegs zusammenhielten. Leonie mühte sich jedoch redlich nicht vor Schmerzen zu schreien. Barfuß und mit vollem Tempo über Steine und sonstige Hindernisse zu laufen, schien sie nicht zu erfreuen.
-„Wir brauchen irgendein Fortbewegungsmittel, mit dem wir von hier wegkommen.“ Fox versuchte ruhig zu klingen. „Aber bislang sehe ich gar nichts. Ist Dir vorhin etwas aufgefallen?“
In vollem Tempo deutete Leonie auf eine Gasse zwischen einem Zelt und einer Lehmhütte.
-„Da hinten müsste irgendwo der Jeep geparkt sein.“
Fox zog sie weiter hinter sich her, nun in die Richtung in der sie den Jeep vermutete. Als sie gerade in die Gasse einbogen, kreuzten plötzlich zwei Wachen - ebenso vermummt wie der Mann in ihrer Zelle - ihren Weg. Ohne zu zögern nahm Fox das Maschinengewehr in beide Hände und schoss. Die Salve erwischte die Männer noch ehe sie ihre Gewehre erheben konnten.
Obwohl sie während der letzten Stunden bereits einige schockierende Morde mit angesehen hatte, stand Leonie bestürzt neben Fox und rang keuchend um Atem. Im Schein der wenigen Lichter, die vor den Zelten und Lehmhäusern angebracht waren, wirkte sie noch verängstigter, als sie es ohnehin schon war. Sie fuhr sich stöhnend mit der Hand über das schmerzverzerrte Gesicht. Fox musterte sie mit besorgtem Blick, nahm sie dann aber wieder an die Hand und riss sie mit sich über den immer unangenehmer werdenden Untergrund. Ein ganz leichter Wind frischte auf und ihr zerrissener Rock flatterte um ihre Beine. Nachdem sie die Gasse durchquert hatten, lagen vor ihnen nur noch ein kleines Zelt, aus dem Rauch aufstieg und ein Schuppen, in dem Fox Munition und Waffen entdeckte. Ganz schön leichtsinnig, dachte er. Als sie dem Zelt näher kamen, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Er beachtete sie nicht, sondern lief einfach weiter. Er hatte den Jeep entdeckt.
-„ Stop !“, schrie eine helle Stimme. Fox blieb stehen. Wenn er die Situation richtig einschätzte, konnte jedes Zucken seinerseits das letzte sein. In der linken Hand fühlte er das Maschinengewehr. Er hielt es mit festem Griff umklammert. Die andere Hand befreite er nun aus der von Leonie.
-„Beweg Dich ganz langsam und stell Dich mit dem Rücken vor mich“, flüsterte er.
Wie bei einem leisen Tanz drehte sie sich um ihn herum, sodass sie schnell mit dem Rücken vor ihm stand. Nun war sie besser geschützt. Zumindest etwas.
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