-„Also frei ist auf jeden Fall noch was. Was sollte es denn sein: Ein Doppelzimmer oder zwei Einzelzimmer?“
-„Doppelzimmer“, sagte Leonie, bevor Fox überhaupt etwas erwidern konnte.
-„Sonst noch irgendwelche Sonderwünsche? Nichtraucherzimmer? Ruhige Lage? Getrennte Betten?“
-„Nein, das ist egal. Aber Frühstück aufs Zimmer, bitte.“
Leonie schien zu wissen, was sie wollte.
-„Okay, habe ich vermerkt. Und welche Zahlungsart bevorzugen Sie, wenn ich fragen darf?“
-„Mir werden innerhalb der nächsten acht Stunden einige Gepäckstücke vorbeigebracht werden, es wäre nett, wenn Sie die auf unser Zimmer bringen lassen könnten. Bei der Abreise zahle ich dann mit Kreditkarte. Wenn Sie eine Sicherheit brauchen, können Sie die bei meiner Bank bekommen, mit der ich gerade gesprochen habe.“ Fox schrieb den Namen des Kreditinstitutes inklusive der nötigen Verbindungen auf einen Block und reichte den abgerissenen Zettel der Rezeptionistin. Sie schien ein wenig überrascht und musterte den Zettel eingehend, legte dann aber ein gelbes Formular auf den Tresen.
-„Dann müssten Sie noch die folgenden Daten hier eintragen und dort unterschreiben.“ Sie reichte ihnen zwei Chipkarten. „Das sind Ihre Schlüssel. Sie haben Zimmernummer 1455, das ist im vierzehnten Stockwerk. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.“
Fox unterzeichnete noch das Anmeldeformular und schlenderte dann, den Arm um Leonie gelegt, mit ihr zu den Aufzügen.
Sie fuhren die vierzehn Stockwerke hinauf und gingen über den breiten Flur, der mit rotem Teppich ausgelegt war, zu ihrem Zimmer. Fox hielt die Chipkarte vor den Scanner und ein kleines Licht blinkte grün, um ihm zu signalisieren, dass die Tür nun geöffnet werden konnte. Sie traten ein. Leonie ließ sich sofort auf das große Doppelbett fallen, das mit gelbem Satinstoff bezogen war. Fox ging zu dem großen Panoramafenster. Der Blick war überwältigend. Vor dem Hotelfenster erstreckte sich der Benghazi-See mit seinen südseeartigen Stränden und den architektonisch ausgefeilten Hotelkomplexen. Alles war in das tiefe Gelb der Laternen getaucht, die die Strandpromenade einrahmten. Ein imposanter Anblick. Sie befanden sich im vierzehnten Stockwerk, insgesamt besaß das Hotel deren fünfzehn. So weit oben hatte man eine wirklich gute Übersicht über die Bucht. Fox registrierte an der Strandpromenade einen Mann, der mit einem Feldstecher in seine Richtung blickte. Was zum Teufel suchte der Mann? Einen Moment hatte er das Gefühl, die Gucklöcher des Feldstechers blickten genau zu ihm herauf, dann ging der Mann weiter. Wurde er jetzt etwa schon paranoid? Es wurde Zeit, dass er etwas gegen die Schmerzen tat, anscheinend schränkten sie schon seine geistigen Fähigkeiten ein. Er wandte sich vom Fenster ab und blickte sich im Zimmer um. Leonie räkelte sich entspannt auf dem großen Bett.
-„Möchtest Du zuerst duschen oder soll ich?“, fragte sie.
-„Ich lasse Dir gerne den Vortritt. Meine Sachen sind ja eh noch nicht hier.“
Nachdem sie im Bad verschwunden war, schaltete Fox den Flachbildfernseher ein. Nach einem kurzen Sendersuchlauf fand er auch einen deutschen Nachrichtensender. Auf N-TV liefen gerade die Breaking-News. Fox las nur die Überschrift der Sondersendung, die am unteren Bildschirmrand eingeblendet war und blickte dann, bereits mit einem unguten Gefühl in der Magengegend, in die Mitte, wo gerade eine Korrespondentin vor dem EU-Parlament in Brüssel stand und mit sorgenvoller Miene ihre Schilderungen der Lage runterrasselte. Die Schlagzeile lautete:
Angst vor dem wirtschaftlichen Total-Zusammenbruch - Deutschland von Rating-Agenturen herabgestuft!
-„… und deshalb ist man hier besonders besorgt“, schloss die Korrespondentin gerade ihren Kurzbericht, auf den wieder eine Frage der Moderatorin im Studio folgte.
-„Jetzt ist der Bundesfinanzminister ja sogar zusammen mit dem Wirtschaftsminister nach Brüssel zu dieser außerordentlichen Sondersitzung geflogen, inwiefern geht man denn davon aus, dass das Wirtschaftssystem Europas noch gerettet werden kann? Wie Sie ja bereits gesagt haben, ist durch diese Herabstufung von Dreifach-A auf nur noch Dreifach-B eine innereuropäische Stabilität gar nicht mehr gewährleistet. “
-„Das ist in der Tat eine gute Frage.“ Ein beinahe verzweifeltes Lächeln huschte über das Gesicht der Reporterin. „Niemand ist sich hier so wirklich sicher, wie alles weitergeht. Man geht davon aus, dass sich die Lage, nachdem man die Situation rund um die Anschläge nun im Griff hat und Deutschland sich innenpolitisch wieder auf die wirtschaftlichen Interessen konzentrieren kann, stabilisiert. Aber das sind alles nur Mutmaßungen. Dass wir in Europa mittlerweile vor dem absoluten Kollaps stehen, ist jetzt nicht mehr zu leugnen.“
Fox atmete tief durch. Diese Nachricht machte die ganze Angelegenheit noch komplizierter. Jetzt jagte er nicht nur einem Verursacher mehrerer Anschläge hinterher, sondern musste zudem beachten, dass jeder Fehltritt katastrophale Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Lage Europas haben konnte. Der Zeitdruck hatte sich so noch erhöht. Ihm lagen zwar nur die wenigen Informationen aus dem Bericht vor, aber immerhin hatte er noch vor wenigen Jahren in Oxford Politik- und Wirtschaftswissenschaften studiert und damit die komplette Problematik des aktuellen Szenarios einmal durchgekaut. Er konnte die Risiken der derzeitigen Situation und ihr Ausmaß durchaus einschätzen und wusste, welch ein verstricktes komplexes System da gerade zerbrach.
Unter anderen Umständen hätte er am heutigen Tag möglicherweise unter den vielen Wirtschaftswissenschaftlern und Politkern gesessen, die sich direkt mit dem aktuellen Problem beschäftigten und womöglich auch noch einen guten Lösungsvorschlag gehabt. Aber so undurchsichtig und voller Überraschungen, wie das Leben nun mal war, saß er jetzt hier als Agent des European Secret Service in einem Hotelzimmer im libyschen Benghazi und überlegte, welche Schritte als nächstes nötig waren, um den Terroristen weiter auf die Schliche zu kommen, die die Anschläge in Deutschland und damit eindeutig eine Antistabilitätsattacke gegen Europa geplant und ausgeführt hatten.
Auch wenn es nicht seine Aufgabe war, konnte er nicht anders, als nebenbei auch noch Lösungsansätze für das politische und wirtschaftliche Problem zu suchen. Hoffentlich würden ihn diese Gedanken nicht zu sehr vom Wesentlichen ablenken, dachte er. Es gab schon genug Hindernisse.
Durch die Begegnung mit den libyschen Terroristen vor wenigen Stunden lagen nun zumindest einige Hinweise vor, die sich verfolgen ließen. Er musste nur das Bild von dem Europäer an die Analytiker im ESS-Hauptquartier schicken, um weitere Informationen zu bekommen. Sein iPhone lag allerdings bei Leonie im Bad, sodass er damit noch ein wenig warten musste.
Fox ging zu der kleinen Minibar neben dem Fernseher. Als er die Tür aufzog, wehte ihm eine angenehme Kühle entgegen. Der Blick ins Innere jedoch trübte seine Stimmung ein wenig. Kein Alkohol. Natürlich. Er war nun mal in einem muslimischen Land. So musste also eine Apfelschorle herhalten. Wenigstens war diese gut gekühlt.
Er setzte sich zurück vor den Bildschirm und drehte den Ton lauter. Die Moderatorin sprach nun im Studio mit einem dicklichen Mann. Laut der Untertitel war er Wirtschaftsexperte der europäischen Medienanstalten. Fox hörte eine Weile zu und wusste schon nach wenigen Sätzen des angeblichen Experten, dass er nicht nur die Art wie der Mann redete nicht mochte, sondern auch den Inhalt seiner Äußerungen für wenig sinnvoll hielt.
-„… aber vielleicht hilft ja der Gipfel der Staatsoberhäupter und ihrer zuständigen Minister, der in den nächsten Tagen stattfinden soll, eine Lösung zu finden.“ Fox hob die Augenbrauen. Dieser Satz ließ ihn hellhörig werden. „Immerhin sollen nicht nur die wichtigsten europäischen Staaten vertreten sein, sondern auch eine amerikanische Delegation, zu der möglicherweise sogar der Präsident stoßen wird. Verständlich, wo die US-Wirtschaft doch so sehr mit der unseren verknüpft ist. Hoffen wir mal, dass sich am Ende nicht noch die Chinesen einschalten und mal eben ganz Europa aufkaufen.“ Der Mann lachte. Es war ein unangenehmes, raues Lachen.
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