„Das kann ich verstehen. Wie wollen Sie denn vorgehen?“
„Ich denke, dass wir eine ´strategische Ressourcen-Analyse´ machen sollten.
Beyer skizzierte die grundsätzliche Vorgehensweise einer ‘Strategischen Ressourcen-Analyse‘, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen: Bestandsaufnahme der Markt- und Wettbewerbsposition der wichtigsten Produktgruppen, Erhebung der Wertschöpfungskette, der Kosten- und Ertragsdaten, der Organisationsstruktur mit personeller Besetzung der Funktionsbereiche, Erarbeiten eines Grobkonzepts, Abstimmung mit dem Management, Detaillierung zum Feinkonzept mit Aufgaben- und Zeitplan, Abschluss-Präsentation.“
„Das hört sich vernünftig an“, gab Dr. Pauli zu, „was wird das denn kosten und wieviel Zeit benötigen Sie dazu?“
„Es kommt darauf an, wie wir uns mit Ihren Mitarbeitern in die Datenerhebung teilen können. Es ist in jedem Fall notwendig, dass wir ein integriertes Team bilden, gut wären drei bis vier weitgehend vollzeitige Mitarbeiter aus Ihrem Hause und zwei Berater von uns. Genau kann ich das erst sagen, wenn wir detailliertere Informationen über Ihr Unternehmen haben, aber erfahrungsgemäß muss man für die Erarbeitung des Grobkonzepts mit etwa drei Monaten rechnen. Das kostet so etwa vierhundert tausend Mark. Ich selbst würde ein bis zwei Tage pro Woche vor Ort tätig sein und das Projekt leiten.“
Dr. Pauli war sichtlich erschrocken, er hatte mit viel weniger Zeit, Personaleinsatz und vor allem Geld gerechnet. „Eigentlich hatte ich an einen weitaus geringeren Betrag gedacht, auch können wir uns nicht so viel Zeit nehmen, und so ein großes Team können wir Ihnen nicht zur Verfügung stellen. Sie brauchen sicher gute Leute dafür, aber gerade die sind stark im Tagesgeschäft gebunden. Ich sehe ein, dass eine sorgfältige Studie viel Zeit kostet, aber die haben wir nicht. Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, Sie arbeiten wohl nur für Großunternehmen?“
„Nein, nicht nur, aber Sie haben etwa 600 Mitarbeiter in Ihrer Gruppe bei einem pro Kopf Umsatz von etwa 200 tausend Mark. Das ist eine beachtliche Zahl von Mitarbeitern und es sollte doch möglich sein, ein paar gute Leute zu finden, die in unserem Team mitarbeiten. Außerdem ist das eine hervorragende Ausbildung für künftige Führungsaufgaben.“
„Das ist sicher ein wichtiger Aspekt, trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, drei oder vier Mitarbeiter vollzeitlich für drei Monate freizustellen. Die benötigen wird dringend im Tagesgeschäft, die müssen Umsatz bringen.“
Beyer sah sich an einem kritischen Punkt in der Verhandlung, um den Auftrag zu erhalten. Sollte er die Anforderungen senken oder bei seiner professionellen Überzeugung bleiben?
Er entschied sich für das letztere: „Wenn man den Auftrag richtig durchführen will, benötigt man ausreichend Zeit, leider ist das auch mit erheblichen Kosten verbunden. Wenn wir die Arbeit machen sollen, dann machen wir sie richtig und nicht halb. Wir stehen dann auch für die Ergebnisse gerade. Ich möchte nicht meinen guten Namen verlieren.“
„Das verlangt auch keiner von Ihnen, aber ein so großes Budget möchte ich jetzt nicht bereitstellen.“
„Das kann ich verstehen, es ist ja auch viel Geld. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Vielleicht beginnen wir erst mit einem Produktbereich, dann lernen Sie uns und unsere Vorgehensweise besser kennen.“
Pauli dachte nach. „Das wäre wahrscheinlich das Beste.“
„Herr Dr. Pauli, ich glaube, Sie überlegen das Ganze noch mal in Ruhe und besprechen es mit ihrem Kollegen und vor allem mit Ihrem Bruder.“
Es entstand eine kleine Gesprächspause, in der Pauli die ausgebreiteten Unterlagen wieder in den Schrank legte. „Wie denken Sie über die Umwandlung einer mittelständischen Firma wie unsere in eine Aktiengesellschaft?“
„Dazu müsste ich viel mehr über die Firma wissen, beispielsweise über die Kapitalstruktur und die Ertragssituation“, meinte Beyer.
„Es handelt sich hier um meine Firma. Gehen Sie von ordentlichen Gewinnen in den letzten Jahren aus, die Firma ist solide finanziert.“
Pauli hatte das mit Festigkeit und Überzeugung gesagt, trotzdem hatte Beyer den kleinen Augenblick des Zögerns nicht übersehen, auch hatte Pauli wieder ganz plötzlich einen roten Kopf bekommen.
„Auf der einen Seite der Waagschale haben Sie den Zugang zum Kapitalmarkt mit der Möglichkeit, sich zusätzliches Eigenkapital zu beschaffen, auf der anderen Seite verlieren Sie den unmittelbaren Einfluss auf Ihr Unternehmen. Dabei müssen Sie auch an die Zukunft Ihrer Söhne denken. Außerdem stellt die Publizitätspflicht erhebliche Anforderungen an das interne Rechnungswesen und ganz billig ist der Börsengang auch nicht. Es kommt also darauf an, was Sie in Zukunft mit Ihrer Firma machen wollen, aber insgesamt ist es natürlich ein sinnvoller Weg zur Kapitalbeschaffung, vor allem dann, wenn man sich so nach und nach aus dem Unternehmen zurückziehen will.“
„Daran denke ich eigentlich nicht, jedenfalls jetzt noch nicht.“
Sie erhoben sich und begaben sich zum Ausgang. Beyer verabschiedete sich von Pauli und fuhr nach Stuttgart zurück.
Auf der Autobahn, die zu dieser nächtlichen Stunde verhältnismäßig leer war, ließ Beyer das Gespräch noch einmal an sich vorüberziehen: Was war eigentlich das Problem: Die Organisationsstruktur, die Strategie, die Kosten und Erträge oder der geplante Börsengang? Oder wollte er ihn nur näher kennenlernen. Hat Pauli etwas verbergen wollen? Einerseits war er offen, andererseits auch wieder merkwürdig verschlossen. Wenig einsichtig war auch seine Erklärung zu den Führungskräften: Offenbar war er misstrauisch auch seinem Bruder gegenüber, sonst hätte er jedem die alleinige Verantwortung für sein Geschäft gegeben. Er hatte fast keine Zahlen genannt, hatte nichts über die Ergebnislage gesagt, außer dass für einen möglichen Börsengang genügend Geld vorhanden war. Das Haus machte einen gediegenen und wohlhabenden Eindruck, dann das Flugzeug und die Yacht, Wohnungen in Florida und auf Sylt.
Dennoch hatte Beyer ein Gefühl, als ob nicht alles so war, wie es schien. Man würde sehen – oder auch nicht. Vielleicht war er zu kompromisslos und direkt gewesen? War der Preis zu hoch angesetzt gewesen? Ein neuer Auftrag konnte gerade jetzt nichts schaden, wo der Stein-Auftrag so abrupt zu Ende gegangen war. Das Team musste beschäftigt werden. Die Auslastung des Büros war ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Jahresbewertung für den Bonus und das Gehalt im kommenden Jahr. In jedem Fall würde er sich nach seiner Rückkehr aus Chicago wieder bei Pauli melden. Im Übrigen, die Frau Pauli ist eine ganz bezaubernde Frau, charmant und warmherzig. Sie war wohl die einzige in der Familie, die ihrem Mann widersprach, die Söhne taten es sicher nicht – oder jedenfalls nicht in Gegenwart von Dritten.
„Möchten Sie noch etwas trinken oder etwas essen?“ fragte die Kellnerin.
„Ach, bitte bringen Sie mir ein Glas Wasser“, sagte ich leise.
„Ist Ihnen nicht gut? reagierte sie erschrocken. „Sie sehen blass aus!“
„Ich bin nur ziemlich müde“, wehrte ich ab. „Ich weiß auch nicht recht, was mit mir los ist. Mir ist etwas schwindelig.“
„Wenn ich Ihnen ein Aspirin bringen soll, sagen Sie es.“
„Ja, danke, das wäre vielleicht ganz gut.“
Sie brachte eine Tablette mit einem Glas Wasser und ich hoffte auf Besserung.
„Möchten Sie sich vielleicht etwas hinlegen, wir haben drinnen im Nebenraum eine Couch“, meinte sie besorgt.
„Nein, vielen Dank, Sie sind sehr nett zu mir, aber ich werde mich gleich wieder besser fühlen. Es ist sehr schön hier“, sagte ich zur Ablenkung, obwohl ich es in diesem Augenblick wirklich nicht so schön fand. Im Gegenteil, die Terrasse hätte dringend mal einer Renovierung bedurft. Aber ich wollte freundlich sein, schließlich konnte sie ja nichts dafür, dass es mir nicht gut ging.
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