Sie wandte sich den hinteren Räumen zu. Im Linken hatte sie übernachtet. Seine Tür ließ sich mit einem Riegel gegen Eindringlinge sichern. Sie leuchtete das Zimmer aus. In der einen Ecke lagen noch die alten Säcke, die sie in der Halle unten zusammengetragen hatte, um sich daraus ein bequemes Schlafnest zu bauen. Sonst waren da nur noch ein altes Holzregal und ein Metalltopf, den ein früherer Besucher zu einem primitiven Ofen umgebaut hatte.
Zufrieden wandte sie sich dem letzten Raum zu. Der stand voller Gerümpel und ein Teil des Bodens war eingebrochen. In das Loch hatte jemand ein Seil gehängt. Auf jeden Fall musste sie vorsichtig sein. Von der Tür aus leuchtete sie über die zerborstenen Möbel, Kisten und den anderen Kram. Alles Zeug, das man früher auf einem Speicher gefunden hätte. Genau wie beim letzten Mal unterdrückte sie den Wunsch, sich das alte Zeug anzusehen. Dafür war morgen auch noch Zeit. Bei Tageslicht.
*
Über sich hörte er das Knarren von Bodendielen. Die Haare an seinem Nacken richteten sich auf, obwohl er wusste, dass es Siw war. Seine Erlebnisse in der letzten Zeit hatten anscheinend einige Urinstinkte wieder aktiviert.
Vorsichtig bewegte er sich im tückischen Zwielicht weiter. In den Science Fiction Filmen, die er früher so gern gesehen hatte, konnten Cyborgs bei völliger Dunkelheit sehen. In seinem Fall hatte man das offenbar für überflüssig gehalten. Aber eigentlich war er ja auch kein echter Cyborg. Niemand hatte vorgehabt ihn zu verbessern. Sie hatten ihn nur notdürftig wieder zusammengeflickt.
Er schob die destruktiven Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Das hier war wohl einmal eine Werkstatt gewesen. Überall lagen Kanister, alte Autoreifen und Säcke herum. Weiter hinten trennte eine Wand, deren obere Hälfte aus Glas bestand, einen Teil der Halle ab. Der Ort war ideal um das Auto zu verstecken und vielleicht fanden sie sogar noch Ersatzteile oder Benzin. Oder etwas um seine Energiezelle aufzuladen.
Aber bevor er sich hier umsah, sollte er sich den Bereich auf der anderen Seite der Glasscheibe ansehen. Nicht dass ihn von dort jemand überraschte. Rixel schob die schief in den Angeln hängende Tür auf. Direkt vor der Scheibe stand ein alter Schreibtisch, aus dem die Schubladen herausgezogen worden waren. Die Aktenschränke, sie sich längs der Wände aufreihten, waren aufgebrochen und ihres Inhaltes beraubt worden. Auf dem Boden lagen jede Menge Papiere verstreut. Alte Rechnungen, Briefe und dergleichen. Nichts, was noch irgendeine Bedeutung hatte. Hier verschwendete er nur seine Zeit.
Zurück in der Halle fiel sein Blick auf ein paar metallene Fässer, die in der hintersten Ecke verborgen lagen. Das Logo, das darauf prangte, würde er den Rest seines Leben nicht vergessen. Es war auch auf den verhängnisvollen Fässern gewesen, denen er seinen Zustand verdankte.
*
Sie hatte sich nicht getäuscht. Da war wirklich eine Bewegung gewesen. Mit einer Hand hob sie die Pistole, mit der anderen musste sie sich am Rahmen des Autos festhalten. Kamherras Mund wurde trocken und ihr Herz begann zu rasen. Der Schatten bewegte sich auf sie zu. Er kroch dicht am Boden entlang. Mit schweißnasser Hand spannte sie den Hahn. Das Klicken hallte überlaut in ihren Ohren und offenbar hatte ihr Angreifer es auch vernommen. Er kam nicht näher und das gab ihr die Zeit genauer hinzusehen.
Er war für einen Menschen zu klein. Oder? Es gab viele Mutanten und auch herumstreunende Kinder. Oh bitte, nur das nicht, stöhnte sie innerlich. Niemals würde sie auf ein Kind schießen. Der Schatten bewegte sich wieder auf sie zu. Er kroch jetzt dicht über dem Boden und winselte. Das war ein Hund! Ihre Hand mit der Waffe sank. Sollte sie wieder ins Auto schlüpfen? Die Tür verriegeln und das Fenster hochkurbeln?
Das Tier richtete sich auf und kam näher. Sie legte die Pistole auf den Sitz und griff an die Armaturen. Blind fummelte sie einen Moment nach dem Lichtschalter. Vielleicht vertrieb ihn das. Die Scheinwerfer flammten auf. Bei Licht sah der Hund gar nicht so groß aus. Er ging ihr höchstens bis ans Knie. Der schlanke, braunschwarze Körper sah überraschend gepflegt aus.
Kamherra griff wieder nach der Pistole. Am Ende schlich der Besitzer des Hundes hier irgendwo herum. Sie schaltete die Scheinwerfer wieder aus. Sollte sie Siw und Rixel warnen? Aber dann blieb das Auto unbewacht. Vielleicht war es besser die beiden zu rufen. Aber damit machte sie jeden Strauchdieb, der zufällig in der Nähe war, auf sich aufmerksam. Sie schaute in die Runde. Außer dem Hund war niemand zu sehen. Er war stehen geblieben, hatte sich geduckt und seine großen dunkeln Knopfaugen sahen sie forschend an.
Im Haus knallte ein Schuss. Kamherra fuhr herum und verlor das Gleichgewicht. Ausgerechnet jetzt flammte der Schmerz in ihrer Schulter in neuen Wellen auf. Rote Schlieren tanzten vor ihren Augen und im Rücken spürte sie den heißen Atem des Hundes.
*
Aus den Augenwinkeln nahm sie einen Schatten wahr. Der Schatten einer Hand, und die grapschte nach ihr. Für den Buchteil einer Sekunde lähmte der Schreck Siw. Lang genug, damit sich ein haariger Arm um ihre Taille winden konnte. Ihr fiel die Lampe aus der Hand. Sie landete mit einem Krachen auf dem Boden. Ein Mutant, schoss es Siw durch den Kopf.
Seine Berührung war abscheulich. Drahtiges Haar kratzte an den Stellen, die ihr Top nicht bedeckte. Ihr Herz raste. Die meisten Mutanten waren Monster. Menschen, die auf der Evolutionsleiter rückwärts gegangen waren. In der Stadt, in der sie zuletzt gelebt hatte, erzählte man sich, dass es unter ihnen sogar Menschenfresser gab. Panisch versuchte sie den pelzigen Arm fort zu schieben. Es gelang ihr nicht. Das Wesen packte noch fester zu und hob sie vom Boden hoch. Mit der zweiten Hand versuchte es ihre Kehle zu erreichen.
Siw strampelte und krallte ihre Nägel in den behaarten Arm. Das Ding schnappte nach ihr. Fauliger Atem streifte ihre Wange. Das Vieh wollte sie töten. Sie schrie und griff nach ihrem Revolver. Vielleicht erschreckte ein Schuss das Biest. Ihre Hände fanden den Griff und zogen daran. Er steckte unter dem Arm des Mutanten fest. Verzweifelt zog sie mit beiden Händen daran.
Der Mutant schnappte ein weiteres Mal nach ihr. Scharfe Zähne streiften ihre Schulter. Sie wand sich in seinem Griff und hatte unvermittelt seinen breiten Oberarm vor dem Gesicht. Entschlossen biss Siw zu. Der Mutant quiekte schrill und drückte fester zu. Ihr blieb die Luft weg. Voller Angst krümmte sich ihr Zeigefinger um den Abzug des Revolvers. Es knallte und etwas Heißes streifte ihren Oberschenkel.
Der Mutant brüllte. Sein unbarmherziger Griff löste sich, Siw fiel und schlug hart auf dem Boden auf. Im Liegen wirbelte sie herum. Fast wäre sie erneut erstarrt. Das Biest, das sie angegriffen hatte, sah aus wie eine Kreuzung aus einem Schimpansen und einem Honk. Und es starrte vor Dreck. Angewidert kroch sie rückwärts fort. Die Augen des Mutanten waren blutunterlaufen. Er war wütend, schien aber auch Angst zu haben. Offenbar hatte er schon Bekanntschaft mit Schusswaffen gemacht.
Ihre Hand mit der Waffe zuckte hoch. Sie schoss ohne zu zielen. Die Kugel traf das Biest in die Stirn. Blut und Hirn quollen über ein hässliches rosa Gesicht mit Affenaugen. Ohne einen Ton fiel der Mutant um. Siw stöhnte. Ihr Bein pochte heftig und es blutete. Außerdem war ihr schwindelig. Sie verlor das Bewusstsein.
*
Siws Schrei holte ihn in die Gegenwart zurück. Wie betäubt hatte er vor den Fässern mit dem unheilvollen Logo gestanden. Über ihm polterte es und etwas quiekte durchdringend. Oben wurde gekämpft!
Er wirbelte herum und rannte in die Mitte der Halle zurück. Nur von dort aus erreichte man die Tür. Überall sonst stand Zeugs im Weg. Oben knallte ein Schuss und dann brüllte das ‚Etwas’. Rixel sprang über einen Reifen und blieb mit dem Fuß daran hängen. Im Fallen sah er das Loch in der Decke und das Seil, das an dessen Rand baumelte. Eine Wand aus Fässern hatte ihm zuvor die Sicht darauf verstellt.
Читать дальше