Frank hatte sie so rechtzeitig aufgegabelt, dass er keine Eile hatte und sie auf ihren Beitrag gut vorbereiten konnte. Sie musste völlig ahnungslos bleiben. Er brauchte von ihr eine Liste mit all den Unternehmen, die am Emissionshandel teilnahmen. Auf einer CD.
„Gut Ding will Weile haben“, hatte Frank sich auf die Fahne geschrieben, wobei er natürlich das anvisierte Zeitfenster nicht aus den Augen verlor. Er hatte sich die Karnevalstage ausgewählt, um seine Operation zu vollbringen. Ganz genau sollte es der Rosenmontag sein, zum Höhepunkt der fünften Jahreszeit. Das Brauchtum aus dem fernen Rheinland war mit dem Umzug einiger Ministerien von Bonn nach Berlin mitgeschleift worden. Viel war von dem fröhlichen Übermut nach der langen Reise nicht heil an der Spree angekommen. Aber es reichte allemal, um die Behörden von Weiberfastnacht bis zum Veilchendienstag in einen benebelten Dauerzustand zu versetzen. Genau der richtige Zeitpunkt, um bei ein paar Leuten abzusahnen. Geprellte Kunden, die relativ fix ihr Dilemma erfassen würden, hätten in diesen Tagen wenig Hilfe zu erwarten von den Beamten und würden an lustloser Ignoranz abprallen. Davon konnte man ausgehen. Und das war auch gut so. Jedenfalls für Frank.
Frank nahm Katjas Tasche, und sie hakte sich bei ihm unter.
„Wir nehmen den RER in die Stadt“, sagte Frank. „Station ,Les Halles‘ steigen wir um und fahren mit der Metro weiter bis zum ,Hotel de Ville‘. Von dort aus können wir zu Fuß weiter in die Rue St. Croix de la Bretonnerie gehen. Ich habe uns dort ein kleines sympathisches Hotel gebucht.“
„Du bist wirklich charmant, Victor. Oh, ich mag das außerordentlich, einen Mann mit Charme und Stil.“
Nicht dass Frank auf solcherlei Lobesrede angewiesen war. Doch empfand er es natürlich als angenehm, diese Worte zu hören, aus dem Mund einer klugen Frau.
Nach der Fahrt mit der Schnellbahn in die Stadt stiegen sie an „Chatelet/Les Halles“ aus und reihten sich ein in den Strom der Berufstätigen, die sich auf den Weg zur Arbeit begaben. In den endlosen Gängen, die unterirdisch von der RER-Haltestation zur Metrolinie „1“ führten, klackerten die Absätze im betriebsamen Rhythmus der pulsierenden Stadt. In der U-Bahn fanden sie noch knappen Platz zum Stehen. Den Blick mit all den anderen durch die Tür in die Dunkelheit gerichtet, dicht an dicht stehend, wurden sie in die Kurven gewippt, die die U-Bahn durch die schwarzen Tunnel ratterte. An der Station „Hotel de Ville“ wurden sie ausgespuckt und gingen im Takt der Menge nach oben ins Freie. Paris zeigte sich nicht gerade von der Schokoladenseite. Die Leute streiften Handschuhe über und schlugen die Kragen der Mäntel hoch. Ein schneidiger Wind verschlug ihnen fast den Atem. Der Kälte trotzend saßen die Raucher vor den Cafés zwischen durchsichtigen Plastikwänden und von Heizpilzen bestrahlt. Die Zigarette zum Café Crème forderte eben ihren Tribut.
Sie hatten es nicht weit durch die kleinen Straßen des Marais-Viertels, bis sie vor dem Eingang des „Bretonnerie“ ankamen. Der Empfang im Hotel war sehr freundlich. Der Concierge führte sie bis ins Dachgeschoss, schloss die Tür mit der Nummer „11“ auf. sagte: “Monsieur, madame, voilà“ und breitete einladend die Arme aus, um zu unterstreichen, wie glücklich sie es doch angetroffen hätten, die Dachetage ganz für sich zu haben. Das Zimmer war groß, warm und erstaunlich geschmackvoll eingerichtet. Gemütlich gar, befand Frank, für eine Möblierung im französischen Stil. Oftmals war ihm die Überfrachtung mit Tüdelkram hier und Sträußchen dort einfach zu geschmäcklerisch. „Très joli“, kommentierten vor allem die französischen Damen des Hauses gern und selbstverliebt ihre Interieurs. „Très joli“ hatte er für sich selbst diese Art von überbordender Dekorationssucht getauft, die in so vielen Haushalten der Franzosen anzutreffen war. Das hier sah hingegen einfach behaglich aus. Die schwarzen Fachwerkbalken allerdings würde er beim nächtlichen Gang zur Toilette hundertprozentig rammen, das war voraussehbar. Und auch nichts Neues bei seiner Körpergröße. Sie stellten ihr Gepäck ab.
„Möchtest Du sie jetzt?“ Katja kramte in ihrem Reiseköfferchen und blickte Frank etwas unsicher an.
„Wir sollten uns einen Café und etwas Gebäck gönnen“, unterbrach er sie „und danach das Picasso-Museum besuchen. Es ist nicht weit von hier. Vielleicht wird es im Laufe des Tages noch etwas freundlicher, dass wir die Stadt dann zu Fuß erobern können.“
„Einverstanden, Viktor.“
Was war mit einem kleinen Oh? Frank grinste. Und er war hoch zufrieden. Sie hatte die CD dabei. Das war sonnenklar. Offenbar war sie immer noch ein wenig unglücklich über das Ganze. Auch wenn sie die Daten bei ihrer Arbeit offenbar hatte hinausschmuggeln können, schien es ihr Kummer zu bereiten, sie ihm dann tatsächlich herzugeben.
Er hätte die CD vor wenigen Momenten haben können. Aber das hätte keinen Stil gehabt und nicht mal halb so viel Spaß bereitet. Er würde Katja für Paris begeistern, ihr schöne und besondere Orte zeigen, sie in die Brasserie „La Coupole“ ausführen und auf dem Pont Neuf in den Arm nehmen, bis selbst ein härteres Kaliber als die liebe Katja keinen Widerstand mehr haben würde, um ihm irgendeinen Wunsch auszuschlagen. Ganz aus freien Stücken.
Frank fühlte sich prächtig. Nebenbei entwickelte sich bei diesem Ausflug nach Paris ja eine durchaus amüsante Seite, auch für ihn selbst. Sein Haus stand zwar nur zwei Autostunden von Paris entfernt hoch über dem Meer. Trotzdem fuhr er sehr selten in die Stadt und auch nur, wenn er Dringendes zu erledigen hatte. Und meistens kam er nicht weiter als bis zum Flughafen. So war das eben. Sobald einem die ganze Pracht zu Füßen lag, verlor sich der exotische Reiz ins Gewöhnliche.
Es gefiel ihnen beiden sehr im Picasso-Museum.
„Unter dem Eindruck schöner Exponate ist man schnell geneigt, was von dem Kram zu kaufen, zur Erinnerung“, sagte Frank, als sie sich am Ende im Museumsshop befanden und er an der Kasse die zwei Bleistifte mit der Aufschrift „Musée Picasso“ bezahlte. „Als wenn man die Eindrücke damit konservieren könnte. Dass die beschrifteten Stifte in dieser Tüte nun wirklich nichts mit der soeben bewunderten Kunst zu tun haben, merkt man erst, wenn es zu spät ist.“ Frank schüttelte den Kopf. Draußen schnappten sie nach Luft. Der Wind hatte noch zugelegt.
„Oh, was für ein lausiger Winter!“, rief Katja aus und drückte sich noch enger an ihn. Frank war froh, dass sie wieder ganz oh-entspannt war. Sie kehrten in ein kleines Restaurant in der Nähe der Place des Vosges ein. Franks Brille beschlug so stark, dass er sie abnehmen musste. Es herrschte lebhafter Mittagsbetrieb. Sie wurden einem winzigen Tisch zugewiesen, der soeben frei wurde. Ansonsten war das Lokal proppenvoll. Kaum dass sie Platz genommen hatten, wurde eine neue Decke aus Stoff aufgelegt, in Windeseile eingedeckt und eine Karaffe Wasser auf den Tisch gestellt. Monsieur kam mit einer Schiefertafel und hielt sie ihnen vor. Er pries ihnen „Andouillettes et choucroute“ oder „foie de veau“ an.
„Ich fahre doch nicht nach Paris für Wurst mit Sauerkraut“, empörte sich Katja. Sie entschied sich schließlich zu „Escargots à la bourgignonne, Schnecken in einer Kräutersauce, während Frank die angebotene Kalbsleber wählte. Vorweg nahmen sie beide eine Potage, eine kräftige Gemüsesuppe zum Wärmen. Ein einfacher klarer Landwein begleitete ihr Mahl, das sie abwechselnd lobten und mit einer wunderbaren crème brulée und einem café abrundeten. Frank fühlte sich pudelwohl. Katjas Gesellschaft war ihm angenehmer als erwartet. Weit ab Berlins kam sie ihm viel gelöster vor.
In seinem Kopf arbeitete es an einem Umrangieren seiner Pläne. Er hatte eigentlich gar keine Lust, nach diesem Wochenende auf Katja verzichten zu müssen. Das müsste er natürlich tun, wenn er die CD von ihr bekäme, damit eine direkte Verbindung zwischen ihnen nicht zu offensichtlich war. Andererseits: Vielleicht würde er die CD gar nicht brauchen. Jedenfalls nicht lange. Das war’s. Er würde sehen. Entweder es klappte oder tschüs Katja.
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