Edmund Linden - Locker bleiben

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"Immer locker bleiben" ist die Devise einer Generation, die sich weder von religiösen oder moralischen Vorstellungen einengen noch von ihren Gefühlen überwältigen lassen will. Danach leben auch die vier Hauptpersonen in diesem Roman: die Ärztin Charly, die Krankenschwester Anne, der Produktmanager Krischa, der Lehrer Thomas. Man kann sie als Freunde bezeichnen. Sie sehen es jedenfalls so. Sie sind keine Helden, aber auch keine gescheiterten Existenzen. Sie pendeln irgendwo dazwischen. Sie sind beruflich etabliert, mehr oder weniger erfolgreich, auch altersmäßig befinden sie sich in der Mitte: Am Anfang des Romans sind sie um die dreißig, am Ende um die vierzig. Sie suchen ihre Rolle im Leben und wissen, dass sie nicht mehr die freie Wahl haben, weil ihre Alternativen von Jahr zu Jahr weniger werden. Das gilt auch für ihre Partnerschaften, die zwar offener sind für Veränderungen als die beruflichen Möglichkeiten, aber auch auf Endgültigkeit abzielen. Sie haben ihre Leidenschaften, aber auch Verantwortungsgefühl. Trotzdem kann man sich nicht ganz und gar auf sie verlassen, weil sie ein wenig orientierungslos sind. Wenn sie auch nicht unbedingt erklärte Atheisten sind, spielt Religion in ihrem Leben doch keine Rolle. So etwas wie ein säkularisiertes Christentum ist ihre Richtlinie, nach der Devise: Tue keinem etwas Böses, wenn es sich vermeiden lässt.

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Edmund Linden

Locker bleiben

Die besten Jahre

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Inhaltsverzeichnis Titel Edmund Linden Locker bleiben Die besten Jahre Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Edmund Linden Locker bleiben Die besten Jahre Dieses ebook wurde erstellt bei

1 Zwei Männer, zwei Frauen

2 Am See

3 Grillen

4 Todesfälle

5 Urlaubsreisen

6 Ausgeschlossen

7 Annäherungsversuche

8 Eine erfundene Liebesgeschichte

9 Krischas Rückkehr

10 Ein Exkurs über Mann und Frau

11 Charlys Rückkehr

12 Alpträume

Impressum neobooks

1 Zwei Männer, zwei Frauen

Die Vier saßen beim Griechen in der von Krischa bevorzugten Anordnung: Er am Kopf des Tisches mit Blick auf das ganze Lokal, rechts von ihm seine Freundin Charlotte, genannt Charly, links von ihm Charlys Freundin Anne und ihm gegenüber Thomas, sein Freund seit der Schulzeit:

Krischa, 33, sportlich, blond, sonnenstudiogebräunt, Produktmanager in einer Firma für Elektrohaushaltsgeräte und schon nach wenigen Jahren zum Abteilungsleiter befördert; Charly, 27, blonder Strubbelkopf, klein, quirlig, mit flottem Mundwerk, Ärztin am örtlichen Krankenhaus; Anne, 25, lange, braune Haare, ruhig, etwas rundlicher als ihre Freundin, Krankenschwester; Thomas, 32, dunkelhaarig, Lehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium.

Krischa hatte gern alles unter Kontrolle, und so, wie er saß, konnte er jederzeit die notwendigen Maßnahmen ergreifen, auch wenn es nur darum ging, die Kellnerin herbeizuwinken. Ihm war zuwider, wenn die entscheidenden Dinge hinter seinem Rücken geschahen. Die drei anderen hatten sich daran gewöhnt, ungefragt Krischas Wunsch entgegenzukommen. Ihnen war egal, wo und wie sie saßen. Sie ließen Krischa machen.

Für einen außen stehenden Betrachter der Gruppe war klar, wer zu wem gehörte: Die beiden Blonden, die munter plauderten und so oft von ihren Tellern aufsahen, dass sie kaum mit dem Essen weiterkamen, waren das eine Pärchen, die beiden stillen Dunkelhaarigen, deren Blicke meist nach unten gingen, das andere. In Wirklichkeit war es eher so, dass Krischa Zugriff auf beide Frauen hatte, die ihn einrahmten, während Thomas sich diese Machtdemonstration ebenso wie die beiden Frauen rechts und links nur ansehen durfte, wenn er denn mal seinen Kopf vom Teller hob.

Krischa führte wieder das Wort: „Salt Lake City, einfach unglaublich!“

Thomas, der solche dramatisierenden Redeeinleitungen von Krischa kannte, tat ihm nicht den Gefallen nachzufragen. Den tat ihm Charly:

„Was ist denn da so unglaublich?“

Krischa war erleichtert. Er legte Wert auf Resonanz.

„Ich habe noch nie eine Großstadt gesehen, die sauberer ist als Salt Lake City. Da kommen noch nicht einmal Zürich und Singapur mit.“

Alle schwiegen. Krischa musste noch etwas draufsetzen:

„Und das trotz der Möwen!“

„Möwen?“ Thomas schaute von seinem Teller auf. „Wieso sind da Möwen? Salt Lake City liegt doch mitten in den Bergen.“

Das war doch mal eine richtige Reaktion, stellte Krischa befriedigt fest.

„Ich hasse Möwen“, mischte sich Anne ein, „dieses laute Geschrei, und dann fliegen sie einem um den Kopf herum, dass man immer an Hitchcock denken muss.“

„Ich finde sie gut“, widersprach Charly. „Die sind mutig, die picken einem nicht nur das Essen vom Teller, die versuchen sogar einem das Brot zu entreißen, das man in der Hand hält.“

Krischa schmunzelte zufrieden.

„Die Möwen sind sogar so etwas wie die heiligen Tiere der Mormonen. Mitten in der Stadt haben sie ein Riesendenkmal zu Ehren der Möwen gebaut.“

„Für diese gefräßigen Biester?“, fragte Anne angewidert.

„Genau deshalb, weil sie so gefräßig sind“, trumpfte Krischa auf. „Als die Mormonen sich nämlich dort in dem Tal, wo jetzt Salt Lake City liegt, niedergelassen hatten, gab es eine Heuschreckenplage, die die ganze Ernte bedroht hat. Und dann kamen die gefräßigen Möwen und fraßen das Viehzeug.“

„Was ich schon immer mal wissen wollte: Warum heißen die eigentlich Mormonen?“, fragte Charly.

„Weil sie an das Buch Mormon glauben.“

„Und was steht da drin?“

„Da steht drin, wie Juden nach Amerika gekommen sind und das Land kultiviert haben.“

„Wann?“, mischte sich Thomas ein.

„Vor Christi Geburt.“

„He?“, entfuhr es Thomas. „Vor der Entdeckung Amerikas? Und die Indianer?“

„Das sind die vom Glauben abgefallenen Juden. Deshalb sind sie mit dunkler Haut gestraft worden.“

„Und daran glauben die Mormonen?“, wollte Charly nun ernsthaft wissen. „Sind die bescheuert?“

Thomas räusperte sich: „Über Glaubensfragen sollte man nicht so rational urteilen; sonst kommt man in Teufels Küche.“

Er wurde ein bisschen verlegen, weil er sich schon, während er den Satz sprach, bewusst wurde, dass der Satz lehrerhaft klang.

„Wie meinst du das denn?“, empörte sich Charly.

Krischa schaltete sich ein: „Fang nicht an, mit Thomas über Religion zu diskutieren. Das nimmt kein gutes Ende.“

„Nein, ich will das jetzt wissen“, beharrte Charly. „Also, wie hast du das gemeint?“

Thomas zögerte ein wenig, dann reizte es ihn doch allzu sehr, Charly ins Gesicht zu schauen und sie zu fragen: „Wie findest du denn beispielsweise die Lehre, dass Christus von einer Jungfrau geboren wurde?“

Charly schaute verblüfft: „Ja, du hast Recht; darüber habe ich noch nie nachgedacht.“

„Entschuldige!“, sagte Thomas.

„Ich hab´s ja gesagt“, schaltete sich Krischa wieder ein: „Fang nicht damit an!“

„Ich finde es aber gut, wenn jemand über solche Dinge nachdenkt und sich eine Meinung bildet“, widersprach Charly.

„Der raubt dir deinen Kinderglauben“, warnte Krischa.

Anne wollte die Situation retten: „Und wie ist das mit der Vielweiberei bei den Mormonen?“

„Die ist abgeschafft“, antwortete Krischa erleichtert darüber, dass das Thema Religion vom Tisch war.

„Aus Einsicht?“, frotzelte Thomas.

„Nein, das war die Voraussetzung für die Aufnahme von Utah in die Vereinigten Staaten.“

„Dann hättest du ja gar nicht hinfahren müssen“, stichelte Charly, die sich immer noch mit der Frage beschäftigte, wie eine Jungfrau zu einem Kind kam.

„Du genügst mir vollkommen“, sagte Krischa charmant und küsste Charly die Hand.

Das ging nun Thomas doch zu glatt. Er hatte Lust, seinen Freund ein wenig zu provozieren:

„Und was hat man in Salt Lake City beschlossen?“, fragte er. „Wird das Werk hier dichtgemacht?“

Die Frage kam Krischa recht. Wenn es um Wirtschaftspolitik ging, fühlte er sich Thomas überlegen.

„Wir verlagern die Kühlschrankproduktion nach Rumänien“, formulierte er ganz bewusst, indem er die Entscheidung seiner Firma zu seiner eigenen machte. „Wir sind ein Global Player.“

„Und hier gibt es dann Local Losers“, entgegnete Thomas.

„Mein Onkel Willi sagt, dass er wahrscheinlich seinen Arbeitsplatz verlieren wird, wenn ihr die Produktion verlagert“, gab Anne zu bedenken.

Besser konnte die Diskussion nicht laufen, fand Krischa. Hier konnte er sich profilieren:

„Es geht ja zunächst nur um die Kühlschrankproduktion“, sagte er beruhigend. „Die E-Herd-Produktion bleibt weiterhin hier, und dann auch die Entwicklungsabteilung, die Reparaturabteilung und der Vertrieb.“

„Bis die E-Herd-Produktion nach Polen oder in die Slowakei verlagert wird“, ergänzte Thomas.

Krischa ging gleich zum Gegenangriff über:

„Wenn du die Wahl hast zwischen einem Kühlschrank für 400 Euro und einem gleich guten für 200 Euro, welchen würdest du kaufen?“

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