„Die arme Katze!“, widersprach Charly. „Die konnte ihrem Jagdtrieb nicht widerstehen und hat sogar den Kanarienvogel ihrer Gastgeberin totgebissen, wofür sie beziehungsweise er dann einen Tritt bekommen hat. Seine Gastgeberin war ausgerechnet noch seine frühere Nachbarin, in die er zu Lebzeiten verknallt war. Immerhin konnte er jetzt mal zu ihr ins Bett kriechen.“
„Gut, dass ich keine Tiere esse“, sagte Anne. „Wer weiß, wen ihr gerade verspeist?“
„Trotzdem guten Appetit“, sagte Krischa und prostete seinen Freunden zu.
„Als Katze wiedergeboren zu werden, wäre nicht das Schlimmste“, meinte Thomas. „Es könnte einen auch schlimmer treffen.“
„Ich möchte als Vogel wiedergeboren werden“, meinte Charly. „Wer kann einem denn da schon was? Notfalls fliegt man einfach davon.“
„Löwe wäre auch nicht schlecht“, sagte Krischa. „Da ist man immer auf der Seite der Sieger, frisst und wird nicht gefressen und mittags macht man Siesta unter einem Affenbrotbaum.“
Thomas fühlte sich der hinduistischen Lehre verpflichte:.
„Leider kann man sich das aber nicht aussuchen. Das hängt von dem vorhergehenden Leben ab.“
„Und als was würdest du dann also wiedergeboren werden?“, fragte Krischa.
„Ich hoffe ins Nirvana einzugehen. Schließlich lebe ich fast wunschlos.“ Thomas grinste zu Krischa hinüber.
„Lügner“, konterte der. „Allenfalls reicht deine Wunschlosigkeit für ein friedliches Schaf.“
„Nein“, schaltete sich Anne ein, „das ist meine künftige Rolle. Schließlich bin ich Vegetarierin. Ich seh´ mich schon auf der grünen Wiese.“
„Na, gut“, räumte Krischa ein, „dann wird Thomas eben ein Schafsbock, und dann wird er dich belästigen.“
Anne drehte sich ein wenig von Thomas weg und schaute ihn misstrauisch von der Seite an.
„Ich bin aber ganz zärtlich“, beruhigte sie Thomas.
„Und was ist mit mir?“, fragte Charly.
„Das ist klar“, konstatierte Krischa, „du wirst ein Singvögelchen, hockst bei mir auf der Fensterbank und zwitscherst mir was.“
Charly bedankte sich und gab Krischa einen Kuss: „Ich werde dir ein schönes Liedchen singen.“
Eigentlich hatte Thomas nicht vor, bis zur Wiedergeburt zu warten, wenn Anne und er sich als Schaf und Schafsbock auf der Wiese begegnen würden. Die Anspielung von Krischa schwebte aber wie ein schwüler Duft über ihnen, sodass jeder Versuch, sich mit Anne zu verabreden, wie eine direkte Aufforderung zum Beischlaf geklungen hätte. So musste er sich beim Abschied mit Küsschen links, Küsschen rechts zufrieden geben und auf eine Gelegenheit warten, wo er sie ohne sexuelle Anspielungen treffen könnte. Immerhin hatte sie ihn ein paarmal verstohlen angelächelt, und es konnte auch nicht schaden, wenn Anne sich einige Zeit mit dem Gedanken beschäftigte, wie sie und er als Schaf und Schafsbock auf der grünen Wiese herumlaufen würden.
Das nächste Treffen stand auch schon unmittelbar bevor. Charly hatte vorgeschlagen, wegen der großen Hitze am Wochenende gemeinsam schwimmen zu gehen. Eigentlich mochte Thomas es gar nicht, die Frau, an der er interessiert war, bei Tageslicht zu inspizieren. Im grellen Sonnenlicht wurden doch unweigerlich Mäkel sichtbar, die er wohl im Nachhinein, aber nicht schon vorher hinnehmen wollte. Außerdem war der Anknüpfungspunkt wieder verfänglich. Nach der Fleischbeschau im Bikini eine Verabredung zu treffen, war einfach zu direkt und erinnerte an Fleischeinkauf an der Wursttheke. Sich weigern konnte und wollte er aber auch nicht.
Die beiden Frauen mussten, wie es ihre Art war, den Abend aber noch vor dem Schlafengehen Revue passieren lassen. Charly war also nicht überrascht, als sie, kaum dass sie zu Hause war, einen Anruf von ihrer Freundin bekam. Die beiden kannten sich so gut, dass Anne auch keinen Vorwand erfinden musste und gleich zur Sache kommen konnte.
„Was hältst du von Thomas?“
Charly wusste, wie die Frage gemeint war.
„Natürlich ist er an dir interessiert. Das war unverkennbar, so wie der zu dir geschaut hat. Immer wenn du was gesagt hast, sind seine Augen größer geworden. Und wie verlegen der war, als Krischa ihn zum Schafsbock gemacht hat! Der hat sich schon auf der grünen Wiese gesehen.“
„Krischa ist ganz schön frech.“
„Die beiden provozieren sich halt gerne gegenseitig.“
„Thomas ist ziemlich zurückhaltend.“
„Stille Wasser sind tief.“
„Und treu? Der hat doch seine Freundin sitzen lassen, als sie schwanger war..“
„ Die hat ihn gelinkt und das hat er sich nicht gefallen lassen. Richtig so!“
„Meinst du?“
„Mach dir mal darum keine Sorgen.“
Dann ging es natürlich noch um den Badeausflug und um den richtigen Badeanzug. Charly musste Anne noch mehrmals versichern, dass sie nicht zu dick sei und Thomas garantiert gut gefallen würde.
Sie fuhren in Krischas Mercedes zu einem Campingplatz an einem See in Holstein. Sie waren von der Idee, an die Ostsee zu fahren, bald abgekommen, weil vorauszusehen war, dass an einem sonnigen Wochenende die Autobahn verstopft und der Strand überfüllt wäre. Auch der Vorschlag von Thomas, zum nahe gelegenen Pulvermühlenteich zu fahren, traf auf wenig Gegenliebe, weil man sich nicht dem Gestank der Grillwürstchen am Ufer aussetzen wollte. Krischas Vorschlag gefiel dagegen allen. Er kannte da mal wieder jemand, der in Holstein einen Campingplatz betrieb und ihm erlauben würde, auch ohne Camping dort zu baden. Der Platz hatte den Vorteil, dass man sich dort auch umkleiden und duschen konnte. Dazu gab es ein Cafe´, wo man unter Sonnenschirmen etwas trinken konnte
Krischa steuerte sein Auto auf kleinen Nebenstraßen mit vielen Kurven und vielem Auf und Ab durch eine abwechslungsreiche Landschaft, vorbei an Getreidefeldern, blühenden Kartoffeläckern, Wiesen mit schwarz-weißen Kühen und kleinen Wäldern. Charly sprühte vor guter Laune und fing bald an zu singen: Pop-Songs und Volkslieder. Sie sang so unbefangen mit einer Stimme, die nicht im Hals, sondern vor ihrem Mund zu sein schien, dass bald alle mitsangen, zuerst Krischa, dann Anne, zuletzt stimmte auch Thomas ein. Sie erreichten in weniger als einer Stunde ihr Ziel. Krischa ließ sich für seine Ortskenntnis bestaunen.
Der Campingplatz lag auf einer Halbinsel, die weit in den großen See hineinragte. Der Betreiber der Anlage begrüßte Krischa wie einen alten Bekannten, obwohl er ihn erst einmal gesehen hatte. Thomas konnte wieder einmal feststellen, welches Geschick Krischa im Umgang mit Menschen hatte. Leute, mit denen er einmal zu tun hatte, betrachteten es offenbar als Ehre, ihn zu kennen. Der Typ hieß Benni und war Thomas vom ersten Moment an unsympathisch. Er war ein schleimiger Vertreter der Bussi-Gesellschaft. Er umarmte nicht nur Krischa, als wären sie beide Mitglieder des Politbüros der Sowjetunion, auch seine neuen Freunde mussten sich abknutschen lassen und ihn danach duzen.
Der Campingplatz gefiel aber allen. Er war sauber und am See gab es eine große Liegewiese, die von Bäumen beschattet war. Krischa führte die Frauen und Thomas zunächst durch das Gelände. Links vom Empfangsgebäude gab es einen riesigen Platz für die Dauercamper, die aus ihren Campingwagen eine Eigenheimsiedlung mit von Hecken umzäunten Grundstücken gemacht hatten, rechts war ein kleinerer Teil der Anlage für Gelegenheitscamper reserviert, geradeaus ging es zum See.
Die Dauercamper, überwiegend ältere Pärchen, lagen in ihren Liegestühlen in ihren Vorgärten und schauten etwas misstrauisch auf die Vier, die auf den frisch geharkten Kieswegen an ihnen vorbeischlenderten. Denen bot sich der Anblick von leicht geröteter bis tiefbraun gefärbter Lederhaut über dicken Bäuchen. Krischa meinte, wenn man diese Sonnenanbeter häuten würde, könnte man die Pelle direkt zu Ledertaschen verarbeiten, ohne sie vorher zu gerben. Thomas bemerkte, man könne einige von ihnen auch als Ersatzneger im Film verwenden, wenn mal ein echter am Set fehle. Die Gelegenheitscamper, eher junge Leute mit Kindern, waren dagegen sehr beschäftigt mit dem Aufbau ihrer Zelte und dem Eincremen der Kinder, die auch ohne Sonnnenschutz sofort zum See laufen wollten.
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