Mein Hausarzt empfahl mir, alle Gedanken an die Arbeit beiseite zu schieben und mich ab jetzt nur noch um meine eigenen Bedürfnisse und mein persönliches Wohlbefinden, sprich – um meine Gesundheit – zu kümmern. Das war leichter gesagt, als getan. Ich erhielt von ihm eine Krankmeldung für die nächsten drei Wochen. „Wenn du im Krankenstand bist, darfst du gar nicht arbeiten. Also akzeptiere es und geh besser nicht mehr dorthin!“
Demnächst sollte ich zudem einen Termin bei einem Psychiater vereinbaren, denn um eine längerfristige Krankmeldung zu erhalten, müsse vorerst noch ein Gutachten eines Facharztes erstellt werden.
Als ich nach einer Woche dort bereits einen Termin bekam, wurde mein Zustand vom Facharzt für Psychiatrie bestätigt. Mit anderen Worten, er teilte mir mit, dass es sich bei mir um eine „Depression und einen chronischen Erschöpfungszustand infolge beruflicher Überbelastung“ handelte, doch die Diagnose „Depression“ nahm ich nur widerwillig zur Kenntnis.
„Burnout“ ist zwar keine anerkannte Diagnose, jedoch eine etwas salonfähigere Bezeichnung für diesen Zustand. Man wird dabei nicht gleich in eine „psychiatrische Ecke“ gedrängt. Auch die Bezeichnung „Psychische Erkrankung“ wollte ich überhaupt nicht hören. Nur zu schnell urteilten die Mitmenschen womöglich negativ darüber und man wurde, vor allem, wenn man schon einmal einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik durchlaufen hatte, lebenslang in eine abschätzige „Schublade“ gesteckt und in der Gesellschaft abgestempelt. Die Furcht davor, nicht mehr als vollwertiger Mensch anerkannt zu werden, bewirkte, dass ich mich auch sofort innerlich dagegen wehrte, mich einer psychologischen oder psychiatrischen Therapie zu unterziehen. Ich und depressiv? Da sollte man doch erst mal die Mitmenschen therapieren, die andere mit ihrem grässlichen Verhalten fertig machten und tyrannisierten, so grollte ich in meinem Inneren.
Meine Krankmeldung wurde vom Facharzt bis auf weiteres verlängert und so musste ich nicht mehr an meinen Arbeitsplatz zurückkehren, was für mich eine unvorstellbare Erleichterung bedeutete.
Der Psychiater gab mir auch sogleich einen neuerlichen Termin zur Nachkontrolle und teilte mir mit, dass ich in nächster Zeit regelmäßig zu ihm kommen sollte. Darüber war ich nun überhaupt nicht erfreut. Als ich ihm mitteilte, dass ich nicht ständig in Behandlung sein wolle, weil ich mich sonst so krank fühlen würde, erwiderte er: „Sie sind ja auch krank!“
Es war kaum zu glauben. In meinem Beruf wurde ich seit Jahren mit Krankheit, Sterben und Tod konfrontiert, aber meine eigene Erkrankung wollte ich nun absolut nicht wahrhaben. Ich selbst sah meinen Zustand eher als kleine vorübergehende Unpässlichkeit.
Die Diagnose kam mir wie eine zusätzliche Bestrafung vor, zu all den Beschwerlichkeiten, die ich in den letzten Jahren schon ertragen hatte. Bei einem Herzinfarkt oder einem Beinbruch konnte man zumindest in etwa abschätzen, wie die Prognose für die Zukunft aussah und wie lange die Erkrankung ungefähr dauern würde. Doch eine Depression oder eine chronische Erschöpfung hörte sich nicht nur ziemlich unschön an, man konnte auch nicht erahnen, ob ein Ende dieser Erkrankung vorhersehbar war.
Als ich mich in den nächsten Tagen etwas gefasst hatte, beschloss ich, mich bei Klaus zu melden und ihm meine jetzige Lage zu erklären. Auch er sollte sich baldmöglichst auf die neue Situation einstellen können, damit er meine Stelle mit einer Nachfolge besetzen konnte.
Wenige Tage später, nachdem ich mit Klaus einen Termin vereinbart hatte, betrat ich sein Büro. Er begrüßte mich überaus freundlich, bot mir höflich einen Platz an und sprach sanft und liebenswürdig zu mir. Ich wünschte mir insgeheim, dass er sich doch schon früher so galant benommen hätte. Die Zusammenarbeit wäre dann viel angenehmer gewesen. Aber jetzt war es zu spät für solche Höflichkeiten, zumal ich sowieso sicher war, dass Klaus im Arbeitsalltag nur allzu schnell wieder in sein gewohntes, übellauniges Muster verfallen würde.
Als ich ihm mitteilte, dass ich nun für eine ziemlich lange Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten konnte, reagierte er schon ziemlich überrascht. Er hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass ich meine dreimonatige Kündigungsfrist nur mehr im Krankenstand absolvierte. Auf seine vorsichtige Nachfrage, an welcher Krankheit ich denn nun leiden würde, konnte ich mich nicht zum Wort „Depression“ durchringen und sagte: „Burnout“. Eigentlich ging es ihn ja überhaupt nichts an. Keinesfalls war es meine Pflicht, ihm genauere Einzelheiten über die Art meiner Erkrankung mitzuteilen. Doch sollte er schon wissen, warum er nun plötzlich von heute auf morgen nicht mehr mit mir rechnen konnte.
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