1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Demzufolge sollte ich des Öfteren ärztlichen Anordnungen Folge leisten, die dem Patienten Schaden zugefügt hätten. Da dies mit meinem Gewissen nicht vereinbar war und ich die resultierenden Folgen aus meiner langjährigen Berufserfahrung her zur Genüge kannte, weigerte ich mich mitunter, solche Anordnungen auszuführen und versuchte, mein Verhalten den jungen, auf diesem Gebiet offensichtlich noch unerfahrenen Ärztinnen und Ärzten zu erläutern. Ich erklärte ihnen die unangenehmen und teilweise auch gefährlichen Folgen, die sich aus ihren Anordnungen für den Patienten ergeben konnten. Dass ich dadurch bei den Medizinern nicht immer auf Gegenliebe stieß, versteht sich fast von selbst.
Die Auswirkungen der diversen Behandlungsmethoden hatte ich in den dreiundzwanzig Jahren meiner Berufstätigkeit ausführlich kennengelernt und so versuchte ich, aus meiner Erfahrung heraus die Patienten optimal zu betreuen und Zwischenfälle so gut wie möglich zu vermeiden.
Ich erinnere mich an einen jungen Arzt, der sich fast wie ein trotziges Kleinkind benahm und eigensinnig stampfend im Behandlungsraum vor allen Patienten um sich schrie: „Ich bin hier der Arzt und meine Anordnungen sind uneingeschränkt zu befolgen!“ Daraufhin erwiderte ich ihm, er müsse seine Anordnung selbst durchführen, denn ich könnte seinem Therapievorschlag aus Gewissensgründen leider nicht Folge leisten. Für mich hatte das Wohl der Patienten stets oberste Priorität und ich hätte keine Behandlung durchgeführt, die einem mir anvertrauten Kranken schadete.
Nicht nur meine eigenverantwortliche Handlungsweise war einigen Ärzten ein Dorn im Auge, auch andere Gründe sorgten für ausreichend Neid und Missgunst mir gegenüber.
Außer unserem Geschäftsführer und mir besaß niemand ein eigenes Büro und ich merkte, dass so mancher Arzt, der erst später eingestellt wurde, sehr verärgert darüber war, dass er keinen eigenen Raum für sich hatte, um sich untertags zurückziehen zu können. Auch wenn dies nicht direkt geäußert wurde, kamen mir diesbezügliche unschöne Äußerungen und spitzige, neidische Bemerkungen zu Ohren.
Die Klinik war von der Fläche her knapp bemessen, deshalb konnten weitere Büros aus Platzmangel nicht errichtet werden. Da ich zahlreiche Aufgaben auszuführen hatte, brauchte ich dringend ein Büro für alle Unterlagen, sowie ein eigenes Telefon und einen eigenen Computer. In meinem Arbeitszimmer verbrachte ich sicherlich ein Drittel meiner beruflichen Tätigkeit, wenn ich nicht gerade mit Firmenvertretern, Patienten oder mit Bestellungen beschäftigt war. An meinen freien Tagen hielt ich mein Büro verschlossen, da meine vertraulichen Klinikunterlagen nicht jedem zugänglich sein sollten.
Es existierte noch ein für das Personal allgemein nutzbares, großes Nebenzimmer, in dem Ärzte oder Pflegekräfte ihre Pausen verbringen oder man ungestört Schulungen oder Besprechungen durchführen konnte. Mehrere Polstersitzgruppen mit einigen niedrigen Glastischchen, sowie ein Schreibtisch mit Laptop für die Allgemeinheit standen dort zur Verfügung.
Auch die überaus stark zu spürende Hierarchie, die sich in rücksichtslosem Machtgehabe gegenüber anscheinend niedriger einzustufendem Personal und gegenüber Patienten zeigte, empfand ich als unerträglich. Warum bildeten sich manche Ärzte so viel auf ihren anscheinend unantastbaren Berufsstand ein und zogen so eine Show ab? Obwohl auch sie nur Menschen aus Fleisch und Blut, mit Stärken und Schwächen sind, maßten sie sich ohne ersichtlichen Grund an, „Götter in Weiß“ zu sein. Wehe, wenn man eine ihrer Entscheidungen oder Feststellungen in Frage stellte!
Die Art, wie sie manchmal in unmenschlicher Weise den Patienten schwerwiegende Diagnosen ohne Vorwarnung bei der Visite buchstäblich „um die Ohren hauten“, schien mir menschenverachtend und gefühllos. Ob sie damit das Leben des Betroffenen noch gänzlich zerstörten oder ihm den letzten Funken an Hoffnung auf Genesung raubten, spielte für sie überhaupt keine Rolle. Etliche Male erlebte ich es schon, dass das Pflegepersonal die Patienten, die nach solch einer vernichtenden Aussage eines Arztes psychisch vollkommen am Boden zerstört waren, beruhigen und trösten musste. Oftmals war es wichtig, ihnen noch auf irgendeine erdenkliche Weise Hoffnung zu geben, damit sie sich nicht vollkommen aufgaben. In diesen Fällen hörte ich dann spöttische Bemerkungen von Seiten einiger Ärzte. Ich erinnere mich, wie einer der Mediziner zu mir sagte: „Du bist wohl Mutter Theresa?“
Die außerordentliche Gefühllosigkeit mancher Doktoren machte mich unsagbar wütend, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich war nur ein Rädchen in dieser Maschinerie, die sich Schulmedizin oder Klinikalltag nennt, und ich musste so funktionieren, wie es von mir erwartet wurde.
An dieser Stelle will ich auch hervorheben, dass es einige erfreuliche Gegenbeispiele unter den Ärztinnen und Ärzten gab. So möchte ich für diejenigen dieses Berufsstandes eintreten, die sich einfühlsam und mitfühlend verhielten und sich für das Wohl der Patienten in vorbildlichem Maße einsetzten. Auch sie waren oft über das unmenschliche Verhalten ihrer Kollegen entsetzt, konnten jedoch ebenfalls nichts an der Situation ändern.
So kam es häufig für mich zu sehr belastenden Situationen. An solchen Tagen verstärkte sich mein Gefühl, dass diese Art der Krankenbetreuung immer weniger zu mir und meiner inneren Einstellung passte. Patienten sollten, nach meinen Vorstellungen, nicht wie am Fließband gefühllos abgefertigt werden! Mein Wunsch wurde immer größer, erkrankte Menschen individuell und mit angemessener Zeit zu behandeln und zu betreuen, um auf ihre Bedürfnisse und Probleme eingehen zu können. Dies war aber in einer schulmedizinischen Einrichtung zeitlich anscheinend nicht möglich und angeblich nicht finanzierbar. Wie schade und wie traurig! Es deprimierte mich immer mehr, all meine Energie tagtäglich an die diversen Zwistigkeiten und Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern zu verschwenden.
Meine gesundheitlichen Probleme häuften sich. In den letzten Monaten hatte ich mir mehrmals die Fußgelenke beim Laufen verstaucht, immer wieder fiel ich über meine eigenen Füße und zog mir in der Folge eine recht heftige, schmerzhafte Bänderzerrung zu, sodass ich einige Zeit lang nur mühsam mit Krücken humpeln konnte und das Bein schonen musste.
Dies hielt mich jedoch nicht davon ab, weiterhin im Büro zu arbeiten und den angeratenen Krankenstand in den Wind zu schlagen. Trotz meines verletzten Beines konnte ich ja immer noch sitzend im Büro oder am Laptop von zu Hause aus arbeiten. Ich hatte einfach keine Zeit, deswegen die Arbeit ruhen zu lassen. Gelegentlich lagerte ich mein Bein auf einem Stuhl hoch, damit die Schmerzen erträglicher waren.
Es wunderte mich, warum ich plötzlich ständig stolperte oder stürzte, denn so etwas war mir vorher nie passiert. Im heutigen Rückblick könnte ich diese Stürze symbolisch so deuten, dass ich einfach nicht mehr auf meinem richtigen Weg war, dies aber damals nicht erkennen konnte.
Mein gesamter körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends. Bei Stress spürte ich heftig stechende Schmerzen in der Herzgegend, es kam zu Pulsrasen und plötzlichen Schweißausbrüchen. Diese Symptome begleiteten mich täglich und oft fürchtete ich, bald einen Herzinfarkt zu erleiden.
Durch meine angeschlagene Immunabwehr war ich nun auch ständig erkältet. Schließlich litt ich im Sommer unter wochenlang anhaltenden Halsschmerzen, einer quälenden Ohrenentzündung und starken Schluckbeschwerden. Eine sehr lang andauernde Heiserkeit hinderte mich daran, noch irgendeinen Ton von mir geben zu können. In der Folge brauchte ich wegen immenser Atemprobleme monatelang Asthma-Sprays.
Der aufgesuchte HNO-Arzt konnte keine plausible Ursache für meine diversen Beschwerden erkennen und fragte mich, ob mein Zustand vielleicht doch psychische Gründe haben könnte. Ohne dass er meine derzeitige berufliche Situation kannte, meinte er dann noch, ich solle mir nicht alles so sehr zu Herzen nehmen. Aber das war leichter gesagt als getan!
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