Der grimmig dreinblickende bewaffnete Posten vor dem Pfandleihhaus musterte Hermann skeptisch, hatte aber keine Einwände, als dieser mit einem kräftigen Ruck die Glastür öffnete.
Mit Ausnahme einer älteren Kundin war der lang gestreckte Geschäftsraum leer. Eine junge Angestellte hielt eine dünne Silberkette prüfend in der Hand und blickte fragend zu Hermann hinüber. Dieser trat näher.
„Ich möchte gerne den Chef sprechen!“
Seine Stimme war wieder ungeduldig und die Angestellte merkte es.
Sie wandte den Kopf zur Seite und rief einen Namen. Sofort erschien am Ende des Raumes ein älterer, kleiner Herr. Das schlohweiße, schütterne Haar fiel ihm fast auf die Schultern. Mit einer dünnen Lesebrille in der Hand und einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht kam er auf den neuen Kunden zu.
„Sir, kann ich etwas für Sie tun?“
Seine Fistelstimme reichte gerade bis an Hermanns Ohr.
„Oh ja, Sie können sehr viel für mich tun!“
Dabei schob er die Hand in die rechte Tasche und zog das Foto des Halsbandes hervor.
„Könnte es sein“, fuhr Hermann fort und hielt dem kleinen Mann das Foto vor die Augen, „dass Ihnen heute dieses Halsband angeboten wurde?“
Der Weißhaarige setzte sich die Brille auf den unteren Nasenrücken, lehnte den Kopf etwas zurück und besah sich sorgfältig das Foto. Dann fixierte er den Besucher.
„Ja, Sir, vor nicht einmal zwei Stunden wurde uns ein identisches Halsband überlassen. Es ist ein wundervolles Stück!“
Hermann atmete auf. Er war seiner Preziose ein gutes Stück näher gekommen und es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie wieder sein eigen nennen konnte.
„Hören Sie mir gut zu! Dieses Schmuckstück ist mir in der letzten Nacht gestohlen worden. Es ist mein Eigentum!“
Und schon wieder begann er, in der Seitentasche zu wühlen. Dann hielt er das Gutachten in der Hand und reichte es dem Alten.
„Hier, bitte, überzeugen Sie sich!“
Zögernd nahm der Filialleiter das Papier entgegen, seine Augen wechselten vom Foto zum Zertifikat und umgekehrt und er schüttelte immer wieder den Kopf. Dann endlich sagte er mit seiner Fistelstimme: „Sir, es muss sich trotzdem um einen Irrtum handeln.“ Dabei legte er die Papiere auf die gläserne Vitrine vor sich, setzte die Brille ab und wischte sich über die Augen. „Eine identische Kette, ich sagte es schon, ist mir vor etwa zwei Stunden von Signora de Guzman übergeben worden. Ich kenne sie seit langem. Sie gehört einer der bekanntesten spanischen Familien hier an und ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sie nichts Unrechtes tun würde. Es muss sich um eine andere Kette handeln.“
„Signora de Guzman?“ Laut wiederholte Hermann den Namen. „Brünette Haare, gut gekleidet, wie eine Europäerin aussehend?“
Plötzlich hatte er eine Eingebung. Mit einem Ruck schob er seine Hand erst in die linke, dann in die rechte Brusttasche seines Jacketts. Er fühlte das feste Papier und zog es hervor. Es war das Foto, das ihn zusammen mit Elvira vor dem Eingang zum Restaurant „Guernica“ zeigte.
Erneut setzte der kleine Herr seine Brille auf und besah sich das Foto. Seine Antwort kam umgehend.
„Jawohl, Sir, das ist Signora de Guzman! Eine vom Schicksal getroffene, gute Frau. Sie hat zurzeit viele Probleme. Sie kennen Signora?“
„Natürlich kenne ich Sie, oder warum stehe ich da auf dem Foto neben ihr?“
Hermann war verärgert über diese überflüssige Frage und kam zum Kern der Angelegenheit.
„Dies, mein Herr, ist nicht Signora de Guzman. Diese Dame heißt Elvira Gonzalez, sofern es ihr richtiger Name ist. Auf jeden Fall ist sie eine Diebin, nichts anderes!“ Hermann wurde wieder laut.
Und nach einer kurzen Pause, die er nutzte, mit einem Gefühl des Sieges, das verdutzte Gesicht des Alten zu beobachten: „Ich verlange, dass ich mein Eigentum zurück erhalte!“
Der Geschäftsführer überlegte angestrengt, man sah es ihm an, dann erklang seine helle Stimme.
„Sir, es hört sich fürwahr überzeugend an, was Sie soeben sagten und auch, was Sie mir zeigten. Aber lassen Sie mich bitte noch eine Kleinigkeit überprüfen.“
Damit wandte er sich ab und begab sich wieder in den hinteren Raum.
Hermann wurde unruhig, alles erschien ihm zu langsam. Er blickte auf seine Uhr, zählte die Stunden bis zum Abflug und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Endlich kehrte der kleine Alte zurück.
„Sir, es stimmt, was Sie soeben sagten. Signora, äh, diese Dame, gab mir ihre Anschrift und Telefonnummer. Ich hatte nie einen Grund, sie zu kontaktieren. Aber offensichtlich ist alles falsch. Mein Gott!“
Dabei schüttelte er sein langes, schlohweißes Haar, „wie konnte ich...“
Hermann unterbrach die einsetzenden Selbstvorwürfe mit barscher Stimme.
„Mich interessiert jetzt überhaupt nicht, wie Sie beschwindelt wurden! Was ist mit meinem Halsband?"
Das Männchen sah ihn ganz ruhig an.
„Sir, natürlich bin ich bereit, Ihnen das Halsband zu übergeben. Allerdings erwarte ich dafür den Betrag, den ich Signora, entschuldigen Sie, dieser Dame, übergeben habe.“
Dieses überraschende Angebot, diese Wendung des Falles, versetzte Hermann einen Schock. Obwohl er damit im Grunde hätte rechnen müssen. Denn im vorliegenden Fall wurden ja beide, er und der Leiter dieses Pfandleihhauses, betrogen.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“
Seine Stimme wurde noch lauter, schwang voll Empörung, und die Köpfe der inzwischen neu eingetretenen Kunden wandten sich ihm zu.
„Es ist mein Eigentum, über das Sie im Augenblick widerrechtlich verfügen. Ich habe es Ihnen bewiesen und verlange die sofortige Herausgabe. Oder ich erstatte Anzeige!“
Den letzten Satz sprach er wieder leiser, er war als Warnung gedacht. Warnungen spricht man leise aus, der Wirkung wegen. Sie klingen in dieser Tonlage eindringlicher. Dabei kam Hermann dem Gesicht des Filialleiters näher und stemmte zusätzlich die Arme auf die Glasvitrine.
„Sir“, der alte Herr blieb trotz allem ruhig „ich habe absolut nichts dagegen, wenn Sie mich anzeigen. Ganz im Gegenteil. Ich hätte damit Gelegenheit, meine Unschuld zu beweisen.“
Hermann seufzte und lehnte sich wieder zurück. Diese Runde ging an den Weißhaarigen!
Selbst wenn er ihn anzeigte, weder hätte er Gelegenheit, das Verfahren zu verfolgen, noch wäre er in absehbarer Zeit im Besitz der Halskette. Und morgen würde er sie brauchen. Er fühlte sich geschlagen.
„Wieviel?“
Die Frage klang sehr resignierend.
„Sir, da ich Signora... ach entschuldigen Sie mich bitte noch einmal! Ich hatte mich so an diesen Namen gewöhnt, ihr vollkommen vertraut. Sie kam oft, und wir besprachen ihre Schwierigkeiten.“
Der Alte schien sie wirklich zu vermissen.
„Aber zurück zur Kette beziehungsweise zum Halsband. Da ich also Anteil an ihrem Schicksal nahm und sie in großer Not glaubte, gab ich ihr mehr als ich Fremden gewöhnlichen für das Stück gegeben hätte."
Hermann wurde bei diesen Worten ganz schwindelig. Verfolgte ihn den nichts als Unglück?
„Wieviel also?“
Es klang schon gar nicht mehr wie eine Frage, eher wie ein verzweifelter Einwand.
Der Geschäftsführer verschwand erneut im hinteren Raum, kam aber umgehend, mit einem Zettel in der Hand, zurück. Hermann nahm das Papier unwirsch entgegen, prüfte es und blickte ganz ungläubig auf die Endsumme. Langsam hob er die rechte Hand und bedeckte damit seine Stirn. Eine lange Minute blieb er in dieser Pose stehen, rührte sich nicht, nur die Augen bewegten sich. Sie wanderten abwechselnd vom Zettel zum Gesicht des Alten und zurück.
„Wie lange ist das Geschäft geöffnet?“
Es war eine klare Kapitulation, aber Hermanns Stimme klang trotzdem wieder entschlossener.
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