1 ...7 8 9 11 12 13 ...40 Gabriel nahm die winzige Kaffeetasse zur Hand, in der nur mehr der dicke Satz schwamm. Eine Geste der Verlegenheit:
»Ich bekenne, daß ich mit diesen Leuten vor Jahren zusammengesessen bin, weil ich von ihnen das Gute erwartet habe. Ich hielt sie für Idealisten, und vielleicht waren sie es damals auch. Die Jugend glaubt immer an alles Neue. Heute aber muß ich die Wahrheit leider so sehn, wie du sie siehst. Vorhin war ich im Hamam Zeuge einer Unterhaltung, die mich tief bekümmert. Sie ist der Grund, warum ich dich schon zu dieser unpassenden Stunde aufgesucht habe.«
Der Klarsinn des Agha brauchte keinen deutlicheren Hinweis:
»War von dem geheimen Heeresbefehl die Rede, der die Armenier zum Last- und Straßendienst erniedrigt?«
Gabriel Bagradian entzifferte die Blumenrätsel des Teppichs zu seinen Füßen:
»Ich habe noch an diesem Morgen die Ordre erwartet, die mich zu meinem Regiment einberuft ... Dann wurde auch noch von der Stadt Zeitun gesprochen. Hilf mir! Was geht eigentlich vor? Was hat sich ereignet?«
Mit Gleichmut liefen die Bernsteinkugeln wieder durch die Finger des Agha:
»Was Zeitun betrifft, bin ich gut unterrichtet. Es hat sich ereignet, was sich in den Bergen dort alltäglich ereignet. Irgendeine Geschichte mit Räubergesindel, Deserteuren und Saptiehs. Unter den Deserteuren waren ein paar Armenier. Niemand hat früher auf derartiges geachtet ...« Langsamer werdend fügte er hinzu:
»Aber was sind Ereignisse? Sie sind nur das, was die Auslegung aus ihnen macht.«
Gabriel drohte aufzufahren:
»Das ist es ja! In der Einsamkeit, in der ich lebe, habe ich nichts davon erfahren. Niederträchtige Auslegungen werden versucht. Welche Absichten hat die Regierung?«
Der Weise schob diese erregten Worte mit einer erschöpften Handbewegung zur Seite:
»Ich werde dir etwas sagen, Freund und Sohn meines Freundes. Uber euch schwebt ein großes karmatisches Verhängnis, denn mit einem Teil eurer Wohnsitze gehört ihr zum russischen Reich, mit dem andern Teil zu uns. Der Krieg zerschneidet euch. Ihr seid zerstreut über die Länder ... Doch weil in der Welt alles verbunden ist, so sind auch wir eurem Verhängnis unterworfen.«
»Wäre es da nicht besser, wie wir's im Jahre 1908 versucht haben, nach Ausgleich und Versöhnung zu streben?«
»Versöhnung? Auch dies ist nur ein leeres Wort der Weltklugen. Auf Erden gibt es keine Versöhnung. Wir leben hier im Zerfall und in der Selbstbehauptung.«
Um diese Anschauung zu bekräftigen, zitierte der Agha mit vorschriftsmäßigem Singsang einen Vers der sechzehnten Sure:
»Und was Er schuf auf Erden, verschieden an Farbe, siehe, ein Zeichen ist wahrlich darin für Leute, die sich warnen lassen.«
Gabriel, der es auf dem Diwan nicht länger aushielt, stand auf. Die Augen des Alten aber, die solche Willkür erstaunt rügten, zwangen ihn wieder auf seinen Sitz.
»Du willst die Absichten der Regierung erkennen? Ich weiß nur, daß die Atheisten in Stambul den nationalen Haß für ihre Zwecke brauchen. Denn das tiefste Wesen der Gottlosigkeit ist Furcht und die Ahnung des verlorenen Spieles. Und so errichten sie in jeder kleinen Stadt Nachrichtenhallen, um ihren bösen Willen zu verbreiten ... Es ist gut, daß du zu mir gekommen bist.«
Gabriels Rechte umkrampfte die Kassette mit den Münzen:
»Wenn es nur um mich ginge! ... Doch, wie dir bekannt ist, stehe ich nicht allein. Mein Bruder Awetis ist kinderlos gestorben. Folglich ist mein dreizehnjähriger Sohn der Letzte unserer Familie. Auch ich habe eine Frau aus dem französischen Volk geheiratet, die nicht unschuldig in ein Leiden gestürzt werden darf, das sie nichts angeht.«
Dieses Argument wies der Agha nicht ohne Strenge zurück:
»Da du sie geheiratet hast, gehört sie nunmehr deinem Volke an und wird von seinem Karma nicht losgesprochen.«
Es wäre ein vergebliches Beginnen gewesen, diesen verstockten Orientalen über Wesen und Selbstbestimmung der abendländischen Frau aufklären zu wollen. Bagradian überhörte daher den Einwurf:
»Ich hätte die Meinigen nach dem Ausland oder wenigstens nach Stambul bringen sollen. Nun aber hat man uns die Pässe abgenommen und vom Kaimakam habe ich nichts Gutes zu erwarten.«
Der Türke legte seine leichte Hand auf das Knie des Gastes:
»Ich möchte dich ernstlich davor warnen, mit deiner Familie nach Stambul zu reisen, auch wenn du die Möglichkeit dazu hättest.«
»Wie meinst du das? Warum? In Stambul besitze ich viele Freunde in allen Kreisen, auch unter den Regierungsleuten. Dort hat unser Handelshaus seine Zentrale. Mein Name ist sehr bekannt.«
Die Hand auf Gabriels Knie wurde schwerer:
»Gerade deshalb, weil dein Name sehr bekannt ist, möchte ich dich auch nur vor einem kurzen Aufenthalt in der Hauptstadt warnen.«
»Wegen des Dardanellenkrieges?«
»Nein, deshalb nicht!«
Das Gesicht des Agha verschloß sich. Er lauschte nach innen, ehe er wieder das Wort nahm:
»Niemand kann wissen, wie weit die Regierung gehen wird. Aber, daß zuallererst die Großen und Angesehenen eures Volkes zu leiden haben werden, das ist sicher. Und ebenso sicher ist es, daß man in einem solchen Fall mit Anklagen und Verhaftungen gerade in der Hauptstadt beginnen wird.«
»Sprichst du nur Vermutungen aus oder hast du Anhaltspunkte für deine Warnung?«
Der Agha ließ den Bernsteinkranz in seinem weiten Ärmel verschwinden:
»Ja, ich habe Anhaltspunkte.«
Nun konnte Gabriel sich nicht mehr halten und sprang auf:
»Was sollen wir tun?«
Da der Gast stand, erhob sich auch der Hausherr:
»Wenn ich dir raten darf, so kehre in dein Haus in Yoghonoluk zurück, verweile dort in Frieden und warte ab! Du hättest unter diesen Umständen für dich und deine Familie keinen angenehmeren Ort wählen können.«
»Frieden?« schrie Gabriel höhnisch auf, »das ist schon ein Gefängnis!«
Rifaat Bereket wandte sein Gesicht ab, durch die laute Stimme in dem gedämpften Selamlik verletzt:
»Du sollst deine Besonnenheit nicht verlieren. Es tut mir leid, daß ich dich durch meine aufrichtigen Worte beunruhigt habe. Du hast zu irgendeiner Sorge nicht den geringsten Grund. Wahrscheinlich wird alles im Sande verlaufen. In unserem Vilajet kann sich nichts Böses ereignen, denn Djelal Bey ist Gott sei Dank der Wali. Er duldet keinen Übergriff. Was aber auch immer geschehen mag, es ist bedingt und eingeschlossen in sich selbst wie Knospe, Blüte und Frucht im Samenkorn. In Gott ist schon geschehen, was wir erst erleben werden.«
Geärgert durch die blumigen Allgemeinheiten dieser Theologie, lief Bagradian, nun alle Form außer acht lassend, auf und ab:
»Das Schrecklichste ist: man kann es nicht greifen, man kann nicht kämpfen dagegen.«
Der Agha näherte sich dem Verstörten und hielt seine Hände fest:
»Vergiß nicht, o Freund, daß die Lästerer aus deinem Komitee nur eine kleine Minderzahl sind. Unser Volk ist ein sehr gütiges Volk. Wenn auch immer wieder im Zorn Blut vergossen wurde, so habt ihr nicht weniger Schuld daran getragen. Und dann: Es leben Gottesmänner genug in den Tekkehs, in den Klöstern, und kämpfen in heiligen Zikr-Übungen um die Reinheit der Zukunft. Entweder werden sie siegen oder alles wird untergehn. Ich verrate dir auch, daß ich meine Reise nach Anatolien und Stambul in der armenischen Sache unternehme. Ich bitte dich um Gottvertrauen.«
Die kleinen Hände des Alten hatten die Kraft, Gabriel zu beruhigen:
»Du hast recht, ich werde dir gehorchen. Am besten, wir verkriechen uns in Yoghonoluk und rühren uns nicht fort, bis der Krieg vorüber ist.«
Der Agha ließ ihn noch immer nicht los:
»Versprich mir, zu Hause bei euch über alle diese Dinge nichts zu reden! Wozu auch! Bleibt alles beim alten, wirst du die Leute nur unnötig in Schreck versetzt haben. Kommt es zu irgendwelchen Unannehmlichkeiten, hat ihnen die Besorgnis nichts genützt. Du verstehst mich. Vertraue und schweige!«
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