Ich liess mir auch gleich einen Band aus der Bibliothek bringen. Als ich das Buch etwas ratlos durchblätterte, fiel ein loses Blatt heraus.
Mit ungelenken Grossbuchstaben stand da: MIKROFILME! BIN NAHE DARAN! BOTSCHAFT AUFESSEN! Und dann kam die vereinfachte Darstellung einer kleinen Schere.(Scherli)
Dieser Spinner!
Er konnte mir!
Und genau dort verwendete ich dann auch seine frohe Botschaft.
Die folgende Nacht schlief ich schlecht, weil irgend so ein depperter Kerl ununterbrochen an die Heizungsrohre klopfte. Als ich dann zurückklopfte, hörte der Spuk auf. Am Morgen war ich entsprechend übelgelaunt.
Beim folgenden Verhör war auch mein Anwalt dabei ohne dass ich es verlangt hätte.
Es waren neue Indizien aufgetaucht, die zu meinen Ungunsten sprachen und als ich mich verteidigen wollte, meinte Bianchi, ich solle getrost ihn machen lassen.
Schon nach den ersten Worten merkte ich, dass der Scheisskerl von der Gegenpartei sein musste, denn er schüttete noch Öl ins Feuer, indem er, mit dem Hinweis, dass ich an einem umfassenden Geständnis arbeite, alle Beschuldigungen gegen mich als richtig befand und sogar noch neue, völlig abstruse «Verbrechen» von mir schilderte.
Ich hörte eine Weile lang seinem Gelaber zu und dann beendete ich dieses Gespräch mit einem harten Faustschlag auf die pickelige Advokatennase. Bianchi kippte hintenüber und ich setzte mich wieder ruhig hin und sagte ihm, dass sein Mandat beendet sei und sein Honorar könne er sich irgendwo hinstecken, von mir sei er jetzt bezahlt worden.
Es ging alles so schnell, dass der Untersuchungsrichter keine Zeit fand einzugreifen.
Mit diesem Übergriff hatte ich meine Lage wohl kaum verbessert, aber es hatte sein müssen, wegen der Psychohygiene. Mir war jetzt viel wohler als vorher.
In den folgenden Tagen geschah nicht mehr viel, abgesehen von den abenteuerlichen Meldungen meines Privatdetektivs, die mich auf allen möglichen und unmöglichen Wegen erreichten. Im Brot eingebacken, zwischen zwei Seiten des Kirchengesangbuches, in der Wäsche die von der Wäscherei kam, auf den kleinen Standflächen der Schachfiguren.
Seine letzte Nachricht aber verhiess nichts Gutes: SIE SIND DER MOERDER! HABE BEWEISE! Und dann wieder die rasch hingekrakelte Zeichnung einer kleinen Schere.
Na ja, da könnten die Lateiner sagen: «Et tu Scherli !»
Nun, ich würde diese verrückte Nummer nicht vermissen.
Von Sylvia hatte ich seit ihrer Freilassung nicht mehr viel gehört. Das heisst sie hat mir an jenem Tag noch zwei «Nussgipfel» geschickt, das ist so ein klebriges Gebäck in der Form von «Croissants» mit einer Füllung aus süsser Nusskreme. Aber dann war Funkstille, kein Besuch, keinen Brief und kein Telefonanruf, als hätte sie der Boden verschluckt. Hatte auch sie mich aufgegeben?
Oder hatte sie Angst mit mir zusammen in den Strudel gezogen zu werden? Bei Frauen weiss man nie so recht wie sie ticken.
Mein Fall wurde allmählich «gerichtsreif» und ich hatte mich in mein Schicksal ergeben. All die Verhöre hatten mich ermüdet und ich war bei mir selber nicht mehr sicher, ob ich nicht am Ende in einer Phase von geistiger Umnachtung den Mord an der jungen Dame begangen hatte.
Zwei Tage vor dem Prozessbeginn brachte mir ein Wärter, der für mich immer wieder geheime Botengänge unternahm, eine Schachtel mit drei Nussgipfeln. Eine Dame, Ausländerin, vielleicht Russin, habe sie ihm zugesteckt und ihn gebeten das Gebäck in meine Zelle zu bringen.
Wir öffneten die Schachtel vorsichtig. Da lagen sie, die drei süssen Hörnchen ihren herrlichen Duft verbreitend.
Als ich dem Wärter eines anbot, lehnte er dankend ab, denn die Dinger konnten ja vergiftet sein.
Ich legte sie auf den Spind und wollte Zeitung lesen, aber dieser eindeutige Geruch vom Spind herüber liess mich alle Vorsicht vergessen und ich biss herzhaft zu und hätte beinahe einen meiner Schneidezähne der Fresssucht geopfert, denn in der Nusskreme steckte ein harter Gegenstand. Eine winzig kleine Schachtel, die ebenso winzige Filmblättchen enthielt und das drei Mal.
Das mussten also die schon oft erwähnten Mikrofilme sein, (heute würde man USB Memorystick verwenden).
Und was sollte ich nun mit diesen Dingerchen tun?
Vielleicht enthielten sie meinen Freispruch?
Ich wollte den Prozess abwarten.
Am nächsten Tag, also einen Tag vor meinem wahrscheinlichen Todesurteil war plötzlich viel Unruhe im Stall. Man hatte Sylvia entführt und forderte von mir die Mikrofilme, ansonsten würde sie umgebracht.
Ich erklärte den Entführern am Telefon, dass ich nichts von Mikrofilmen wisse und dass ich ganz froh sei, die Dame losgeworden zu sein, die habe mir eh schon allerlei eingebrockt. Ende der Durchsage.
Der Polizist an meiner Seite war hell entsetzt und beschwor mich, beim nächsten Anruf mit den Entführern zu verhandeln.
Ich weigerte mich.
Am selben Abend wurde eine tote Frau unweit des Gefängnisses gefunden, erschossen.
Der Wärter erkannte sie als jene Dame, die mir die Nussgipfel gebracht hatte. Sie hatte einen russischen Diplomatenpass in ihrer Handtasche. Habe ich es mir doch gedacht. (Nein, eigentlich nicht)
Am ersten Gerichtstag wurde ich frühmorgens geweckt, zwecks Überführung ins Gerichtsgebäude in Lugano.
Mit meinem rechten Arm wurde ich per Handschellen an einen bärenstarken Polizisten gefesselt. Meine Bemerkung: «Hoffentlich werden wir vor Gericht nicht verwechselt», nahm mir der Bursche scheinbar übel und war während unserer Reise nicht ansprechbar. Ich hätte nie gedacht, dass ein Preisboxertyp dieser Art so verletzlich und feinfühlig sein konnte.
Im Gefängnishof wurden wir in ein vergittertes Polizeifahrzeug verladen. Der Sitzkomfort liess zu wünschen übrig, zumal mich die drei Schächtelchen, die ich mit Leukoplaststreifen zwischen meine Hinterbacken geklebt hatte, arg drückten.
Nun konnte die Reise losgehen.
Vorneweg zwei Motorradfahrer, dann ein vollbesetztes Streifenfahrzeug, dann meine Wenigkeit in der vergitterten Staatskarosse, dann wieder Streifenwagen und zuletzt wieder zwei Motorisierte. Ein Konvoi, der sonst nur Staatsoberhäuptern zuteil wird raste nun mit heulenden Sirenen und quietschenden Reifen durch die leeren Strassen.
An der Autobahneinfahrt stand ein Polizeiauto. Die Beamte salutierten, ich erwiderte den Gruss durchs vergitterte Fenster so gut das eben ging mit meiner Stahlmanschette und dem daran angeketteten dicken Wachtmann. Verärgert befahl er mir, mich ruhig zu verhalten, denn diese verdammten Dinger an seinem Arm schnitten ihn ins Fleisch.
Wem sagte er das. Als ob mein Armreif aus Watte wäre!
Als ich ihm den Vorschlag machte, seine Handschelle zu lösen und mich am Gitter zu befestigen ging ein heller Schimmer über seine Kulleraugen und, mir zunickend befreite er sich aus seiner Sklavenkette und kettete mich nun ans Fenstergitter.
Den Schlüssel steckte er in seine linke Rocktasche, setzte sich dann wieder neben mich und begann nach wenigen Minuten ein geräuschvolles Nickerchen zu machen.
Vor dem Ceneritunnel gerieten wir in einen Stau. Der Verkehr musste auf die Kantonsstrasse umgeleitet werden, weil im Tunnel ein Auto brannte.
Die vordersten zwei Motorradfahrer stoppten nun den Verkehr vor und hinter uns, damit wir ohne Stau die alte Passstrasse benutzen konnten. Wir hatten freie Fahrt.
Mein schlafender Bewacher lehnte sich immer mehr an mich, dass es mir schliesslich ein Leichtes war, den niedlichen kleinen Schlüssel aus seiner Rocktasche zu klauben, meinen Armreif zu lösen um endlich mein schmerzendes Handgelenk zu massieren.
Ich überlegte mir noch ob ich mit der freien Handschelle meinen knurrenden Hüterhund anschnallen sollte, aber so weit kam es nicht mehr.
Hinter dem Ceneripass bei der ersten Autobahneinfahrt, kam der vor uns fahrende Wagen irgendwie ins Schleudern und krachte frontal in die Leitplanke. Da auch unser Fahrer auf der ölverschmierten Strasse die Gewalt über sein Fahrzeug verlor, krachten wir mit Vollgas in den sich vor uns auftürmenden Schrottberg. Den Gesetzen der Physik folgend wurden wir abrupt nach vorne geschleudert, mein Beschützer vorneweg und ich, den Bruchteil einer Sekunde später hintendrein. Er krachte mit seinem Kopf an die harten Stahlstäbe, mein Kopf tauchte in sein weiches Abdomen, dann öffnete sich, wie von Geisterhand, das hintere Tor, weil der hinter uns fahrende Wagen uns noch knapp erwischt hatte, bevor er sich in den Trümmerberg bohrte. Der Schlag von hinten hatte die Wirkung, dass ich brutal hinten hinausgeschleudert wurde. Die beiden Motorfahrer am Ende des Zugs wichen aus, der eine übers Brückengeländer hinweg auf die Autobahn hinunter, der andere nach links, in die Schutzmauer.
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