Im Textteil der Zeitung war eine total verrückte Geschichte zu lesen über meinen verwegenen Ausbruch (der nette Kerl am Tor hatte ein blaues Auge und der Direktor des Etablissements zeigte die Handschellen, die ich einfach so aufgerissen hatte, die eiserne Zellentür war völlig verbogen und zerbeult und das Eingangstor war offensichtlich aufgesprengt worden und überall im Vorhof lagen leere Patronenhülsen von der wilden Schiesserei).
Vom Flüchtigen fehle jede Spur. Sachdienliche Mitteilungen bitte an …
Sylvias Bewunderung für mich war grenzenlos: «Du bist ja wirklich ein toller Kerl. Man würde es dir gar nicht zutrauen.»
«Wenn du das sagst wird es wohl so sein, aber die Bescheidenheit verbietet uns Männern sich als Superhelden aufzuspielen, aber ohne Scherz, meine liebe Sylvia, diese Geschichte beginnt mich zu beunruhigen und ich spüre manchmal so ein unangenehmes Kribbeln aussen am Hals,»
«Wen wundert’s», meinte meine Begleiterin, «das sind Vorahnungen. Das hatten alle, die hingerichtet wurden in Frankreich, seit der Revolution, habe ich neulich in der Annabelle gelesen.»
Nach einem langen Seufzer und einer Schweigeminute wollte sie noch wissen ob man hier gehängt, geköpft oder vergast werde.
Wusste ich auch nicht, ich wusste nur, dass in diesem idyllischen Land, mitten in Europa, kürzlich per Volksentscheid die Todesstrafe wieder eingeführt worden war und seither eifrig praktiziert wurde.
Ich fühlte mich allmählich unwohl bei diesen makabren Zukunftsperspektiven, vor allem weil ich der einzige war, der an meine Unschuld glaubte und das sind schlechte Voraussetzungen im Gerichtssaal. Ich musste so rasch wie möglich verschwinden.
Einfach gesagt, aber mein ganzer Besitz war eine Fahrkarte nach Milano und damit über die Grenze zu wollen ohne Ausweispapiere, ohne Geld, das schien mir doch etwas gewagt. Vor allem weil die ganze Tessiner Polizei hinter mir her war, konnte ich diesen Plan vergessen, die schnappten mich, bevor ich nur am Bahnhof war.
Und Sylvia? Wie kam die überhaupt hierher? Warum sass sie nicht mehr im Knast?
Ihre Befreiung geschah ebenso rätselhaft wie meine, etwas abenteuerlicher zwar, aber das ist wohl Sylvias überbordenden Fantasie zuzuschreiben.
Bei ihr kam eine Wärterin in die Zelle mit den Kleidern einer frommen Schwester. Als Nonne verkleidet konnte sie problemlos das Gefängnis verlassen. Draussen warteten zwei weitere fromme Schwestern auf sie, brachten sie nach Lugano ins Hotel und gaben ihr den Auftrag mich nachts am Bahnhof abzuholen. Als Gegenleistung sollte sie mir ein Schächtelchen mit Mikrofilmen klauen. Alles Weitere werde sie später erfahren.
Fragend schaute mir Sylvia in die Augen.
Mikrofilme? Ich weiss nicht einmal wie die aussehen.
Sie glaubte mir nicht. Ich hatte wohl schon zu oft und zu viel gelogen.
In diesem Moment summte das Telefon und eh ich es verhindern konnte, hatte Sylvia den Hörer in der Hand und lauschte gespannt. Dann sagte sie, mit betont gelangweilter Stimme: «Ah, doch, der ist auch da, gleich neben mir, aber er hat jetzt keine Zeit für Sie.
Ja, ich werde es ausrichten, bitte sehr, sagen wir in etwa einer Stunde im Foyer des Hotels. Bis gleich.»
Das Wort «blöde Reporterhyäne», kam nach dem Aufhängen des Hörers.
«Wer war das?» wollte ich wissen.
«Ach, so ein Zeitungsreporter, der wieder ein Exklusivinterview will. Ich habe den Preis mit ihm schon ausgemacht, wie letztes Mal: 5000 in bar, sofort und auf die Hand, jedes Foto einen zusätzlichen Tausender. Dauer der Reportage maximal 15 Minuten. Absolute Geheimhaltung des Ortes des Treffens.»
Also eines muss man der Kleinen lassen, die ist wirklich geschäftstüchtig und für uns war es lebenswichtig an etwas Geld heranzukommen.
Zwei Stunden später trafen wir den Aasgeier in einem Hinterzimmer des Hotels. Zuerst musste er das Geld herausrücken, dann durfte er seine Fotos knipsen.
Eine von mir mit heutiger Tageszeitung vor der Brust, dann eine von uns beiden und dann eine von Sylvia, die anschliessend sofort drei Riesen kassierte.
Beim Interview kam ich überhaupt nicht zum Reden, das besorgte Sylvia alleine, ich durfte nur hie und da beifällig und affirmativ nicken.
Der Kerl hatte ein Aufnahmegerät bei sich und nach einer Viertelstunde hatte er eine fantastische, schwer nachvollziehbare Gangstergeschichte auf dem Band.
Die Story war gut, aber sie hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun, rein gar nichts.
Der bleiche Jüngling war hinter seinen Bartstoppeln noch eine Spur bleicher geworden und hatte es plötzlich sehr eilig, denn er hatte noch nie einen eiskalten Killer, der auch noch Mafiaboss war, so nah und lebendig vor sich gesehen.
Als er weg war, nahm Sylvia die dickrandige schwarze Brille aus meinem Gesicht und meinte, sie würde mir ganz gut stehen, hätte aber vor allem gut zu ihrer Geschichte gepasst, dann steckte sie mir die Hälfte der Gage in meine Tasche und meinte, es hätte sich auf jeden Fall gelohnt. Anschliessend gingen wir in die Hotelbar, denn wir waren ja wieder zahlungsfähig.
Wir hatten kaum unsere Martinis bestellt, machte sich ein junge Mann an uns heran. Sein rundes Gesicht und die krausen Haare unter seiner Schiebermütze deuteten auf einen Bewohner der Alpen hin, was auch sogleich bestätigt wurde durch seinen Urner-Dialekt.
Er stellte sich vor als Kaspar Scherli, oder so ähnlich, seines Zeichens Privatdetektiv.
«Auch das noch,» entfuhr es mir willkürlich, «der hat uns ja gerade noch gefehlt!»
Genau das hätte er sich auch gedacht, dass wir beide unbedingt einen versierten und weit herum bekannten (weil erfolgreichen) Detektiv brauchen könnten, denn unsere Lage sei nicht nur verworren und verzwickt, sondern gelinde gesagt hoffnungslos. Unsere Köpfe lägen theoretisch schon im Weidenkorb hinter der Guillotine. Aber er, der berühmte Scherli, kenne keine Vorverurteilung, bevor ein Fall nicht bis ins hinterste Ecklein beleuchtet worden sei, gebe er die Hoffnung nie auf, den Schuldigen oder den Unschuldigen entlarvt oder völlig entlastet zu haben.
Dazu verwende er die modernsten Erkenntnisse der Kriminalistik und der Forensik.
Er wollte nun von mir nicht wissen ob ich schuldig oder unschuldig sei, denn das werde er herausfinden und dann je nachdem, meine Unschuld beweisen oder andernfalls dem Gericht meine Verfehlung nachweisen.
«Und dafür sollte ich am Ende dann noch bezahlen, Herr Kerli?» fragte ich lachend.
«Scherli, Scherli ist mein Name,» korrigierte er mich, «Scherli ist mein Name, oder sagen wir mal Künstlername. Scherli, das ist der Diminutiv von Sherlock, haben Sie begriffen?»
Ja, ich hatte und auch Sylvia hatte kapiert, dass da ein weltberühmter Mann (eventuell) auf unserer Seite stand und sie mochte es gar nicht, dass ich den grossen Macher immer wieder abschätzig «Bonsai-Sherlock» nannte. Jedenfalls betonte er immer wieder, dass er kompromisslos auf der Seite des Rechts und der Wahrheit sei.
Sylvia stand völlig im Bann dieses pfeifenrauchenden Burschen und er hatte auch nur noch Augen für die hübsche Gangsterbraut.
Sollte ich am Ende eifersüchtig sein?
Ist eigentlich nicht mein Problem.
Wir setzten uns im Restaurant hinter einen Boccalino Merlot und ich liess nun den Scherli von der Leine.
Das war wirklich eine tolle Type, dieser Kerl. Seine Theorie, meinen Fall betreffend, war total verrückt und absurd, aber nach all dem, was bisher geschehen war, lag er vielleicht gar nicht so falsch.
Er sprach von Freunden und Bekannten, die ich weder kannte noch je gesehen haben konnte. Da war der Mafiaboss Armando in Palermo, angeblich ein alter Freund von mir mit dem ich in Milano eine Woche vor dem Mord, gefrühstückt haben sollte, da war der Waffenhändler Heusler, mit dem zusammen ich letztes Jahr in Oman war (ich weiss nicht mal wo dieses Kaff liegt) und schliesslich meine engen Beziehungen zur CIA
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