„Gibt es nicht doch noch etwas Günstigeres? fragte Kerim, der keineswegs bereit war, den genannten Preis nur zur Tarnung seines Fragespiels auszugeben.
„Dann gibt es noch einen Tee. Eine Mischung verschiedener Kräuter von den Gewürzinseln und von Shomago. Kostet nur eine Muschel pro Anwendung“, sagte der Verkäufer, von dem Kerim jetzt annahm, dass er seine Geschichte nicht einmal ansatzweise glaubte. Daher beschloss Kerim, sich erst einmal zurückzuziehen. Er sagte: „Gut, dann nehme ich davon erst einmal drei Anwendungen, nur um zu sehen, wie sie wirken. Wenn es hilft, kaufe ich vielleicht noch mehr.“
Der Verkäufer wandte sich wortlos um, verschwand hinter dem Vorhang der Tür und ließ Kerim mit dem Vogel zurück, der immer noch einen gleichsam wachsamen und hinterlistigen Blick auf den Kunden warf. Kerim wollte die Gelegenheit nutzen, sich einmal gründlich in diesem Teil des Ladens umzusehen. Er erkannte außer der Tür mit dem Vorhang keine weiteren Zugänge zu diesem Raum. Die Regale enthielten nur Fläschchen und kleine Beutel, und eine Truhe oder eine Schatulle, in der vielleicht Hinweise in seiner Sache zu entdecken wären, sah er ebenfalls nicht. Es standen sonst nur Fässer und Säcke herum, die mit Sicherheit nur die üblichen verkäuflichen Waren enthielten. Einzig der Tresen könnte auf der Rückseite noch Fächer enthalten, die es zu durchsuchen lohnte. Auf jeden Fall würde dort das Geld aufbewahrt. Kerim schlenderte wie zufällig an die Seite des Tresens, die nicht mit der Wand abschloss, sondern umgangen werden konnte, um zur Tür zu gelangen. Er beugte sich etwas vor, um einen Blick auf die Rückseite des Tresens werfen zu können. Gleichzeitig bemerkte er, wie der Vogel unruhig wurde und sich aufzuplustern begann. Kerim hatte den Eindruck, dass der Grudar gleich zu einem durchdringenden Schrei ansetzen würde und zog sich eilig, aber nicht zu hektisch vom Tresen zurück. Schon bewegte sich wieder der Vorhang. Kerim war überrascht über die Schnelligkeit des Verkäufers und hoffte, seine eigene Haltung würde nicht zuviel von seiner Anspannung verraten. Aber er war schließlich auch nur ein wenig im Laden herumspaziert, und dagegen dürfte niemand etwas einzuwenden haben.
Der Verkäufer warf Kerim einen kalten Blick zu, in dem jetzt noch mehr Feindseligkeit lag als zuvor. Der Einäugige verharrte wieder für einen Augenblick, wortlos starrend, als wollte er Kerim so einschüchtern, dass dieser freiwillig ein Geständnis ablegte. Endlich sagte der Verkäufer: „Die drei Mucheln, bitte“, während er einen kleinen Beutel über den Tresen schob. Kerim stellte sich recht ungeschickt an, als er seinen Geldbeutel hervornestelte, so das sich die Bezahlung noch weiter verzögerte, bis er schließlich mit seiner Neuerwerbung an nutzloser Arznei dem Laden entkam.
Er war sich ziemlich sicher, dass der Verkäufer irgendeinen Verdacht hegte. Vielleicht war es nur eine ungewisse Ahnung, doch hatte Kerim den Eindruck, dass der Einäugige etwas zu verbergen hatte. Ihm kam in den Sinn, dass sich vielleicht eine weitere Beobachtung des Hauses lohnen könnte. Er überlegte, ob es möglicherweise einen Hintereingang über eine Gasse geben könnte. Kurz entschlossen umrundete er die Ecke der Kreuzung, an der das Geschäft stand. Schon drei Häuser weiter mündete die Gasse auf eine weitere Straße, die ebenfalls zwischen Markt und Stadtrand verlief. Er schlug den Weg in Richtung Markt ein und sah schon hinter dem nächsten Haus eine kleine Seitengasse zur Linken. Wenn er sich nicht ganz täuschte, musste die Mauer am Ende der Gasse zu Jarnekas zweistöckigem Haus gehören. Er hatte also Glück gehabt. An der Rückseite befand sich sogar eine Tür aus Holz, die geschlossen war. Da er kein Schloss sah, nahm er an, dass sie von innen verriegelt war. Auch auf dieser Seite befanden sich die Fenster nur im ersten Stock des Lehmbaus. Die Frage war nun, ob er es tatsächlich wagen sollte, in das Haus einzubrechen, um nach möglichen Hinweisen zu suchen. Die Gefahr, entdeckt zu werden, schätzte er zu groß ein, solange sich jemand im Haus befand. Es dürfte aber auch schwer sein, herauszufinden, zu welcher Zeit es leer stehen könnte. Und dann war da noch dieser verflixte Grudar.
Kerim sah sich zur Straße um, nur um sich zu vergewissern, dass er nicht als einsamer Beobachter zu viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Er zuckte zusammen, als er tatsächlich einige Männer am Eingang der Gasse sah, die sich ihm nun langsam, fast übertrieben schlendernd, näherten. Noch bevor er die Knüppel in den Händen der abgerissen aussehenden Bande bemerkte, war er sich sicher, dass ihm ernste Schwierigkeiten bevorstanden. Er hatte sich zu unbekümmert in der Lehmstadt herumgetrieben.
Schon wandte der Anführer grinsend das Wort an Kerim: „Entschuldigt, mein vornehmer Herr, habt ich euch möglicherweise verlaufen? Können wir behilflich sein?“ Die spöttischen Fragen wurde von der Handvoll Gefolgsleute mit Grinsen und Kichern quittiert.
Kerim versuchte ruhig zu bleiben. Er überlegte, ob er seinen Dolch ziehen sollte, betrachtete eine solche Geste jedoch angesichts der Überzahl als sinnlos. Er bemühte sich um Festigkeit in der Stimme, als er antwortete: „Ich will keinen Ärger. Ich will nur zum Basar zurück.“
„Wichtige Einkäufe zu erledigen, was?“ fragte der Anführer, jetzt mit einem drohenden Unterton in der Stimme. „Ein bisschen Geld verprassen, für schöne Kleider und leckeres Essen.“ Es folgte wieder überhebliches Gekicher.
Kerim musste einsehen, dass er nicht gewinnen konnte. Wenn er schrie, würde er einen Angriff herausfordern, um ihm zum Schweigen zu bringen. Außerdem durfte er in diesem Stadtteil nicht damit rechnen, dass sein Hilferuf irgendjemanden kümmern würde. Und ganz abgesehen davon wollte er keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.
„Wollt ihr meinen Geldbeutel?“ fragte er, während er in seinen Taschen herumnestelte. „Ihr könnt ihn haben!“ Die ganze Zeit über war die Gruppe langsam näher gekommen und begann nun, ihn einzukreisen. Keim bemerkte, dass er unbewusst allmählich zurückgewichen war. Es war sicher nicht das Schlechteste, die Mauer im Rücken zu haben. Als letzte Möglichkeit blieb immer noch, zu versuchen, die Hintertür des Ladens zu öffnen.
„Wollen wir seinen Geldbeutel?“ fragte nun der Wortführer. „Das ist eine gute Frage. Vielleicht wollen wir deinen stinkenden Geldbeutel gar nicht. Vielleicht doch. Vielleicht wollen wir noch ein bisschen mehr. Vielleicht wollen wir ein bisschen Spaß haben, bevor wir ihn nehmen? Was meint ihr?“
Kerim suchte fieberhaft aus einem Ausweg aus dieser Falle. Er hatte den Eindruck, dass weitere Verhandlungen nutzlos wären. Er hatte den Geldbeutel noch nicht hervorgeholt. Stattdessen wanderte seine Hand jetzt unter seinem Gewand weiter zum Griff des Dolches. Mit einem Ruck riss er den Dolch heraus und nutzte den Schwung, um mit der Klinge auf den Anführer einzustechen, der direkt vor ihm stand. Er erhoffte sich weniger, ihn tatsächlich zu verletzen, als vielmehr, dass dieser beiseite springen würde, um dem Stich auszuweichen. Damit bestünde eine geringe Wahrscheinlichkeit, durch die entstehende Bresche aus dem Kreis auszubrechen, um die Flucht nach vorn zu ergreifen. Leider wich sein Gegner nur einen Schritt zurück, gerade soweit, um außer Reichweite zu geraten. Offenbar hatte er Kerims Angriff vorhergesehen. Noch dazu war Kerims Bewegung etwas ungeschickt, so dass er durch den Schwung leicht ins Taumeln geriet. Als er sich, in leicht gebückter Haltung, wieder zu fangen versuchte und schon zum nächsten Hieb ansetzte, spürte er einen heftigen Schmerz am Hinterkopf. Er sah noch, wie ihm der staubige Erdboden entgegenkam, bevor er das Bewusstsein verlor.
Die Körper lagen schon lange Zeit reglos auf der Straße. Niemand hatte gewagt, sie anzurühren, obwohl sie schon von Scharen von Fliegen umschwirrt wurden. Sie wurden vom Geruch das Blutes angelockt, das den staubigen Straßenboden um die Leichen tränkte. Die Einwohner blieben in ihren Häusern, sofern sie nicht mit Gewalt herausgezerrt wurden, und die Fremden, die um die Mittagszeit in die Stadt geritten waren und hier nun ihr Lager aufgeschlagen hatten, kümmerten sich nicht weiter um diejenigen, die sie getötet hatten. Inzwischen wehrte sich niemand mehr gegen die Fremden. Man hoffte nur, dass sie schnell das finden würden, was sie suchten, und sich dann wieder auf den Weg machen würden. Die Neuankömmlinge waren alle in derselben Art gekleidet: dunkler Stoff und Lederharnische, die mit geschwärztem Stahl beschlagen waren, dazu Stahlhelme, ebenfalls geschwärzt. Sie mussten unter der Hitze leiden in ihrer schweren Kleidung, doch sie zeigten keine Zeichen der Erschöpfung. Sie beachteten nicht die Körper der Opfer, die hier und da verstreut lagen, sondern gingen an ihnen vorbei oder stiegen über sie hinweg, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
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