„Lass das mal meine Sorge sein“, unterbrach ihn Anduri. „Noch bin ich das Oberhaupt der Familie. Mir wird schon eine Lösung einfallen. Ich bin dafür, den Tenarsons unter einem Vorwand abzusagen, damit sie ihr Gesicht wahren können und die Angelegenheit ohne böses Blut geregelt wird. Den Vertrag mit den Kjelbings haben wir sicher. Um das seltsame Anliegen der Khadris-Familie sollten wir uns als nächstes kümmern. Immerhin ist Shezas älterer Bruder auch noch nicht verheiratet“, sagte er mit einem Blick auf Kerim. „Wenn sich die Sache klären lässt und Seáras Angebot ernst gemeint ist, sollten wir einschlagen. Vielleicht können wir den ursprünglichen Plan dahingehend ändern, dass statt des Sohnes die Tochter Teil der Familie Kjelbing wird. Ich muss aber auch zugeben, dass mir die Sache ebenfalls nicht so ganz geheuer ist. Ich wünschte auch, wir hätten mehr Zeit, aber die haben wir nicht.“
„Dann gehen wir also auf die Suche nach der verlorenen Tochter, wie in einem blöden Märchen“, sagte Khamir resignierend.
„Nicht wir, ich“, entgegnete Kerim mit einem leicht spöttischen Unterton. „Die alte Frau hat sich ausdrücklich nur an mich gewandt.“
Kerim hatte sich von Anduri beschreiben lassen, in welcher Gegend der Laden des Farul Jarneka ungefähr befinden sollte. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, zunächst einmal auf eigene Faust Erkundigungen einzuziehen. Es war ihm ganz recht, dass seine Verwandten die politische Arbeit übernahmen. Es musste sich eingestehen, dass er bei dieser ungewöhnlichen Beschäftigung weit weniger Widerwillen empfand, als er eigentlich sollte. Die, wie es Khamir angedeutet hatte, kindische Suche hatte Kerim aus seiner dunklen Stimmung gerissen und mit neuer Tatkraft erfüllt. Vielleicht war es der Reiz des Verbotenen, der dabei mitschwang, wenn er einer Tätigkeit nachging, die sich für einen Kaufmann nicht ziemte.
Die Straße, die Anduri ihm genannt hatte, lag nicht einmal so weit entfernt von der Gegend, in der er sich in der Sturmnacht herumgetrieben hatte. Die Straße führte ebenfalls vom Bazar fort, verlief jedoch weiter südlich. Kerim hatte beschlossen, zunächst einmal tagsüber da Geschäft aufzusuchen und sich als gewöhnlicher Kunde auszugeben. Selbst wenn der Händler ihn kennen sollte, dürfte er kaum etwas über das Gespräch mit Seára wissen, und selbst wenn: Was könnte er ihm jetzt schon anhaben?
Als er die Straße ein Stück weit hinuntergegangen war, verzweigte sich diese schon bald, sodass er eine Weile unschlüssig an der Gabelung stand und sich umsah. Weiter im Süden war ein kleiner Platz und offenbar eine weitere Gabelung, während die Straße zur linken neben dem Basar herlief. Es befanden sich mehrere Geschäfte und auch Schenken und Teehäuser in der Nähe, und die Straße war demzufolge recht belebt. Plötzlich hörte er von der Seite den Ruf „Kerim!“, worauf er sich verblüfft und etwas gehetzt umwandte. Während er dies tat, schoss ihm schon der Gedanke durch den Kopf, dass ein Namensvetter gemeint sein müsste, weil er hier keine Bekannten hatte. Doch die Stimme weckte eine Erinnerung, die er noch nicht einordnen konnte. Dann sah er einen Mann direkt auf ihn zukommen, den er für den Bruchteil eines Lidschlags für einen Bettler hielt, bevor er die hellen Haare und die fremdartige Kleidung zuordnen konnte.
„Gereth!“ Das ist einmal eine freudige Überraschung"
„Freut mich auch, dich wiederzusehen, kleiner Mann“, sagte der Seefahrer. „Du siehst gut aus.“
Kerim wünschte, er könnte ehrlich dasselbe über seinen ehemaligen Reisegefährten sagen. Doch dieser sah ziemlich verwahrlost aus. Seine Kleidung war noch abgerissener als zuvor, und Kerim war sich sicher, dass unter all den üblen Gerüchen hier auf der Straße sein Gegenüber einer der Ursprünge war. Doch am schlimmsten sah das Gesicht des Seemanns aus. Sein Lächeln war schadhaft, und mehrere Blutergüsse, verschieden alt, verunzierten seine Haut, die alles andere als sauber war.
„Danke“, sagte Kerim, „Und wie ist es Dir ergangen?“
„Ach“, lächelte der Seemann verschmitzt, so gut es seine übrig geblieben Zähne zuließen, „man schlägt sich so durch, im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt gute und schlechte Tage, und von den letzteren habe ich inzwischen genug erlebt.“
Kerim wusste nicht, wie er die Bemerkung aufnehmen sollte. „Du wirst Dich schon noch eingewöhnen", sagte er, um überhaupt etwas zu entgegnen, doch klangen die Worte für ihn im nachhinein ziemlich unangebracht. Gereth hatte ihn auf elurnisch angesprochen, und Kerim wunderte sich, wie flüssig er Urdländer die Sprache schon beherrschte
„Hast Du nicht Zeit, um uns ein Weilchen in einer Schenke zusammenzusetzen?“ fragte Gereth. „Etwas trinken und plaudern?“
Kerim setzte schon zu einer Entschuldigung an, um sich dann plötzlich zu besinnen. Eigentlich kam ihm der Gedanke gar nicht so unangenehm vor. Außerdem wollte er erfahren, was dem Seemann zugestoßen war. „Gern“, antwortete er, „Wollen wir uns gleich hier einen Platz suchen?“ In der Nähe befand sich ein kleines, billig aussehendes Teehaus, vor dessen düsterem Eingang einige Stühle aufgestellt waren. Gereth willigte ein, und so betraten sie den Innenraum, denn trotz der noch frühen Tageszeit waren die Pätze im Freien schon belegt von einigen Männern, die sich unterhielten oder einfach träge die vorbeiziehende Menge betrachteten.
Der Schankraum befand sich etwas unterhalb der Straßenebene, weshalb die Gäste einige Stufen hinabsteigen mussten. Es war dort zwar recht kühl, doch wegen der abgestandenen Luft dennoch nicht besonders angenehm. Von draußen fiel nur wenig Licht herein. Mehrere Tische waren frei, so dass sie am erstbesten Platz nahmen.
Als sie ihre Teebecher vor sich stehen hatten, fragte Kerim: „Nun erzähl mal, wie du dir die Zeit in Pavat vertreibst.“
„Wie ich es dir schon sagte: Meine Heuer durchbringen und dann weitersehen. Leider fließt das Geld schneller aus meinem Geldbeutel als ich dachte. Hier werden ja keine vernünftigen Glücksspiele gespielt. Nur dieses verrückte Sigeca. Kaum begreift man die eine Regel, kommen sie schon mit einer neuen. Auf wie viele Arten kann man das eigentlich spielen?“
„Das sind so viele, dass ich es auch nicht sagen kann. Sei lieber vorsichtig, das ist hier eine regelrechte Kunst.“
„Das habe ich gemerkt. Manchmal habe ich das Gefühl, die erfinden das alles nur, um den dummen Mann aus dem Norden auszunehmen. Und wenn der seltene Fall eintritt, dass sich doch mal Glück habe, werden sie gleich ungemütlich.“
„Hast du daher deine bunten Andenken im Gesicht?“
„Das kannst du annehmen. Leute wie ich sind hier unten wohl nicht besonders beliebt. Da halte ich mich lieber an den Anhang der Tenarsons. Deren Leute haben ihre bevorzugte Schenke, wo man ab und zu auch mal ein anständiges Würfelspiel spielen kann, ohne irgendwelche kleinen Bildchen auf den Würfeln. Dummerweise habe ich inzwischen nicht mehr viel Geld in der Tasche, jetzt, wo ich endlich Leute aus der Heimat gefunden habe. Ich hatte sogar schon versucht, wieder anzuheuern, aber entweder können sie mich nicht gebrauchen oder nicht leiden. Käpt’n Yandrol habe ich schon gefragt, aber der läuft zurzeit nicht aus.“
„Und was machst du jetzt?“ fragte Kerim, während Gereth geräuschvoll den süßen Tee schlürfte.
„Schlage mich im Hafen als Träger oder Laufbursche durch“, antwortete der Seemann, als er die Tasse wieder absetzte. „Das reicht aber kaum zum Leben. Neulich wollte mich doch allen ernstes so einer mit Muscheln bezahlen. Stinkende Muscheln! Ist das zu glauben? Es waren sogar nur Muschelschalen, nicht mal ausschlürfen konnte man die noch! Ihr seid schon ein seltsames Völkchen, ihr Inselleute.“
Kerim schmunzelte. „Die Kahri-Muscheln sind eine verbreitete Währung auf den Inseln, weiter im Westen noch mehr als bei uns auf Elurna. Aber du kannst hier dein Essen auch damit zahlen. Also wirf sie bloß nicht weg, sofern Du sie überhaupt angenommen hast.“
Читать дальше