Nach zwei geleerten Tellern fand er die Zeit für weitere Worte: „Ich weiß noch nicht einmal deinen Namen. Deiner Sprechweise nach musst Du auch aus Elnanbia kommen, oder?“
„Mmmh“ war zunächst die einzige Antwort. Nach einem langen Augenblick, in dem der Fremde seinen Gastgeber weiterhin mit fragender Miene musterte, fuhr dieser fort: "Mein Name ist Mulheg."
„Mulheg? Aha. Und du kommst aus Elnanbia. Daher stamme ich auch, genauer gesagt aus Damaham. Na ja, was davon übrig ist.“
Der Mann, der sich Mulheg nannte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Euch hat's auch übel erwischt, was? Ich stamme aus Besva. Verdammtes Drecksnest, bin froh, dass ich da raus bin.“ Ein kurzer, zufriedener Rülpser entwich seinem Mund. Er war offenbar um eine Fortsetzung des Gesprächs nicht sonderlich bemüht. Sein Gast übersah dies entweder, oder es war ihm egal. „Das wäre meine nächste Frage gewesen. Was macht ein Landsmann aus dem Norden in dieser von allen Göttern verlassenen Gegend?“ Er lehnte sich zurück. „Aber ich will nicht unhöflich sein. Zuerst sollst Du wissen, dass ich Iered heiße. Iered aus Damaham, Sohn von weiß-der-Geier.“ Es folgte ein kurzes Kichern, das jedoch keine Reaktion in der Miene seines Gegenübers hervorrief, der weiterhin entspannt und betont gleichgültig zurückgelehnt in seinem Stuhl saß.
Iered ließ sich davon nicht entmutigen. „Du hast es also mitbekommen. Ja, es stimmt, Damaham hat es übel getroffen. Die ganze Siedlung wurde mehr oder weniger dem Erdboden gleichgemacht. Es war derselbe Stamm, der schon öfter Überfälle auf die Siedlungen in Elnanbia gemacht hat. Sie nennen ihn den Heuschrecken-Stamm. Der Name ist gar nicht so falsch, besonders in letzter Zeit, als die Überfälle immer übermütiger wurden. Ist ja auch kein Wunder, denn wer soll die Wilden nach dem Zusammenbruch noch aufhalten.“ Er sah versonnen ins Leere. „In den letzten Jahrzehnten, als alles auseinander fiel, brauchten sie keinen nennenswerten Widerstand mehr zu fürchten.“
„Verdammtes Pack. Eigentlich 'ne Schande, dass wir uns das gefallen lassen.“ sagte Mulheg eher beiläufig. "Aber vielleicht haben wir's nicht anders verdient. Unsere Leute hatten noch nie viel Mumm in den Knochen.“ Er kam einer möglichen Entgegnung seines Gegenübers zuvor. „Bilden sich was drauf ein, der Wildnis Land abgetrotzt zu haben. Hah! Ein paar Burgen mit Dörfern drum herum. Gegründet von irgendwelchen Feiglingen oder Halunken, die es in den nördlichen Königreichen nicht geschafft haben.“
Der Gesichtsausdruck Iereds blieb unergründlich. „Na ja, aber wusstest Du, dass Damaham wieder aufgebaut werden sollte?“ Er machte eine kurze Pause, als wollte er die Reaktion seines Gesprächspartners abwarten. Ein Brummen, das sowohl ja als auch nein bedeuten konnte, war jedoch der einzige Kommentar.
Unvermittelt wechselte Iered das Thema. „Willst Du nicht wissen, was mich hier an das Ende der Welt getrieben hat? Du hast mir keine Fragen gestellt, seit ich hier angekommen bin.“
Mulheg sah ihm noch immer nicht ins Gesicht. „Wirst entweder ein Flüchtling oder 'n Verrückter sein.“
Iered sah ihn mit leicht amüsierten Gesichtsausdruck an. „Ein Verrückter?“
„Na ja, ist ja nicht das erste Mal, das jemand den Pass 'runterkommt. Das kommt sogar häufiger vor, als man sich das denkt. Die meisten davon kann man in zwei Gruppen einteilen: Leute, die vor irgendwas abhauen, oder Verrückte, die glauben, dass sie hier unten was finden - ihr Glück machen können. Die wegen irgendeiner irren Idee hier herkommen. Meistens Schatzsucher.“
„So? Gibt es denn hier in den Bergen Schätze zu finden? Juwelen möglicherweise?“
Mulheg schnaufte. „Einmal tauchte hier so ein Wirrkopf auf, der von irgendeinem Gelehrten einen Floh ins Ohr gesetzt bekommen hatte über einen Schatz in der Wüste. Wollte die Oase Yufana finden. Angeblich sollen sie da Reichtümer gehortet haben. Nur hat diese Oase noch nie irgendwer gesehen, und wer was anderes behauptet, den nenn' ich einen Lügner. Die Oase gibt es gar nicht, das ist nur 'ne Legende. Hab' sogar schon mal welche von den Yufani gesehen, das sind bloß hergelaufene Halsabschneider und keine reichen Leute. Die haben kein eigenes Land, ziehen bloß von Wasserloch zu Wasserloch, genau wie die ganzen anderen verdammten Nomaden. Sulcami, Zunsar, Saleru und wie sie alle heißen.“
„Oh, Du hast ja schon Einiges mitgekriegt hier unten, wie es scheint. Kommen hier oft Nomaden vorbei? Wahrscheinlich wegen der Wasserquelle.“
„Ja, unter anderem. Ist manchmal 'ne ganz gute Gelegenheit, um zu handeln, also was zu tauschen. Man muss ja sehen, dass man hier an die Sachen kommt, die man so zum Leben braucht.“
„Hast Du denn Waren, um mit den Nomaden zu handeln?“
Mulheg sah scheinbar gleichgültig zur Seite. „Mmh. Ein bisschen.“
Iered musterte den Einsiedler einen Augenblick aufmerksam. Dann ergriff er wieder das Wort. „Aber um noch einmal auf diese Schatzsucher zurückzukommen. Ich halte es gar nicht für so unwahrscheinlich, dass man hier im Süden was findet. Ich habe mich immerhin wochen-, nein, monatelang durch den Urwald von Peola gekämpft, und dabei ein paar ungewöhnliche Dinge gesehen.“
Dieses Mal war Mulheg aufmerksamer. „Du bist den ganzen Weg von Damaham durch die Wildnis bis hierher zu Fuß gekommen? Du bist zäher, als ich dachte. Ich hab' zwar schon einen ähnlichen Gewaltmarsch hingelegt, aber der hätte mich beinahe erledigt.“
Iered grinste. „Tja, Unkraut vergeht nicht, wie man so sagt. Ich war aber auch schon mehrmals drauf und dran, ins Gras zu beißen. Die Viecher hier unten sind noch das geringste Übel. Die Skarlinger-Stämme sind hier noch um Einiges wilder als in Norden, von diesen Schlangenmenschen ganz zu schweigen.“
„Da hast du recht. Die sind zehnmal schlimmer als die Skarlinger. Dieser Brut geht man am besten aus dem Weg.“
„Nun ja, darauf wollte ich auch hinaus.“ Iered fixierte seinen Gesprächspartner wieder. „Mich hätten sie beinahe erwischt, als ich in der Nähe einer dieser alten Steinbauten vorbeigekommen bin, diese Ruinen, die in Wald stehen, halb mit Pflanzen überwuchert. Genau genommen waren es zwei solcher Erlebnisse, die ziemlich ähnlich abliefen. Nur einmal eben mit Skarlingern und einmal mit diesen Echsen. Beide Male bin ich in der Nähe einer dieser alten Städte gewesen. Kaum kommen irgendwelche halb eingefallenen Mauern in Sicht, tauchen diese Wilden auf und gehen auf einen los wie tolle Hunde. Es könnte denen doch eigentlich egal sein, ob irgendein halb verhungerter Wanderer an ihrem Dorf vorbeikommt. Als wollten sie irgend etwas beschützen. Vielleicht betrachten sie die alten Steinhaufen als heilige Stätten, kann ja sein. Oder sie bewachen wirklich etwas von Wert.“
Iered machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Übrigens habe ich nicht die ganze Strecke zu Fuß zurückgelegt. Ich hatte ein Pferd, aber das habe ich bei dem ersten Überfall eingebüßt. Ich weiß nicht, wie ich geschafft habe, dass ich mit heiler Haut davonkam. Danach dachte ich, es wäre aus. Zu weit weg von irgendeiner befestigen Siedlung, und noch unzählige Tagesreisen vor mir. Ich war der Verzweiflung nahe. Das war noch im nördlichen Teil das Waldes, in dem die Ruinen mit den riesigen Kuppeln stehen. Seltsam, wie viele davon noch stehen, kaum beschädigt, nach all den Jahrhunderten.“
Während Iered noch redete, stand Mulheg auf und räumte den Tisch ab. Den Topf und die Teller stellte er in ein Regal und deckte sie mit einem Lappen ab. Diese Geste der Gleichgültigkeit gegenüber dem Gesprächsthema des Gastes brachte diesen ins Stocken. Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens setzte er seine Plauderei jedoch wieder fort, erneut das Thema wechselnd: „Du hast gesagt, du hättest einen ähnlichen Marsch hinter dir. Bist du auch allein durch die Waldebene hierher gekommen, von Besva her?“ Mulheg schwieg, während sich wieder auf den Stuhl sinken ließ. Iered fuhr fort: „Und, bist du ein Flüchtling oder ein Verrückter?“ Er wartete mit dem Anflug eines Grinsens auf dem Gesicht die Antwort seines Gastgebers ab.
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