Tatsächlich hörte er das erwartete Knacken der Zweige und das Rascheln des von Hufen niedergetretenen Laubes. Doch viel zu weit entfernt! Wenn sein Gegner versuchen sollte, ihn zu umkreisen, war das ein dummer Fehler. Sollte er die Spur verloren haben und nun ziellos durch das Gehölz irren, hatte Churon sogar noch leichteres Spiel. Als er den Schatten des langsam dahintrabenden Pferdes zwischen den Zweigen auszumachen meinte, verließ er vorsichtig seine Lauerstellung und setzte, verbissen den pochenden Schmerz im linken Arm ignorierend, zur Verfolgung an. Kaum hatte er die ersten Schritte getan, als ihn eine plötzliche Erkenntnis wie ein Keulenschlag traf: Das Pferd war reiterlos! Hastig wirbelte Churon herum, eher ahnend als wirklich hörend, was nur zwei oder drei Schritte hinter ihm herankam. Es war zu wenig Zeit, um den Gegner als etwas anderes als eine vage, wirbelnde Masse in den umgebenden Schattierungen von Nachtblau und Schwarz zu erkennen. Churon wagte einen weit ausholenden Schwertstreich, der einen waagerechten Halbkreis vor ihm beschrieb. Offenbar war dies genug, um den zu Fuß heranstürmenden Gegner zurückschrecken zu lassen, doch nicht genug, um mehr als ein wenig Zeit zu gewinnen.
Nun begann ein Zweikampf, den Churon zu seinem Bedauern nicht nach den ersten Hieben beenden konnte. Er schätzte die Kamperfahrung des nur schemenhaft zu erkennenden Gegners geringer ein als seine eigene, doch forderten Schmerz, Erschöpfung und die mehr als schlechte Sicht ihren Tribut. Zudem trug das schwierige Gelände im Wald dazu bei, dass er ständig fürchten musste, durch einen dummen Zufall außer Gefecht gesetzt zu werden. Ein Sturz über eine Wurzel oder einen Ast konnte ausreichen, den Kampf endgültig zu entscheiden, zum guten oder zum schlechten.
Churon bemerkte bald, dass sie sich während dieses Kampfes wieder der Bachsenke genähert hatten, aus der noch der rötliche Fackelschein drang. Es war ihm zunächst jedoch nicht möglich zu erkennen, wie sich das Gefecht entwickelt hatte. Es drang immer noch Kampflärm aus dem Flussbett. Sobald einer der beiden Kämpfer an den Rand der Böschung gedrängt würde, wäre er in einer denkbar schlechten Verteidigungsstellung. Churon setzte alles daran, dass sein Gegner dieser Kämpfer sein würde.
Es gelang nicht wie geplant. Als die zunehmend erschöpften Gegner immer verzweifelter und verbissener aufeinander eindrangen, sah es für einen Augenblick danach aus, als könnte Churon die Oberhand gewinnen. Doch als plötzlich ein weiterer Angreifer hinter ihm auftauchte, musste er einen Ausfall wagen und in Kauf nehmen, zusammen mit seinen Gegner das Ufer hinabzustürzen. Der neu aufflammende Schmerz trieb die Müdigkeit zwar wieder zurück, doch hatte Churon nun eine Übermacht gegen sich. Denn offenkundig war es seinen Gefolgsleuten schlecht ergangen. Nur ein Kämpfer – Churon konnte nicht erkennen, wer es war – hielt sich noch auf den Beinen. Doch auch er selbst wurde hart bedrängt. An Flucht war nun endgültig nicht mehr zu denken, und ein Sieg so gut wie aussichtslos. Mit dem Entschluss, seine Haut wenigstens so teuer wie möglich zu verkaufen, stürmte er mit verzweifelter Wut auf die noch übrig gebliebenen Jäger ein. Tatsächlich konnte er sie zunächst einige Schritte zurückdrängen, doch schon bald ergriff erneut bleierne Müdigkeit von ihm Besitz, die den Kampfrausch allmählich abschwächte. Nur vage bekam Churon mit, dass nun auch der letzte seiner Mitstreiter gefallen war.
Doch dann bemerkte er eine neue Entwicklung, die ihn so überraschte, dass er es ihn aus Unachtsamkeit fast das Leben gekostet hätte. Es gab einen neuen Mitstreiter! Trotz des fahlen Fackelscheins war deutlich genug zu erkennen, dass eine fremde Gestalt Churons Verfolger bedrängte. Viel mehr als ein dunkler Mantel und eine Kapuze waren nicht zu erkennen, doch der Fremde führte sein Schwert geschickt, fast anmutig, gegen die Jäger. Denjenigen, der Churons letztem Gefährten ein Ende gesetzt hatte, schickte der Neuankömmling nun ebenso schnell zu Boden. Da Churon ebenso verblüfft war wie seine Gegner, gelang es ihm zunächst nicht, einen Vorteil aus dieser unerwarteten Wendung zu ziehen, sondern nur, seine Verteidigung aufrecht zu halten. Nun waren die Feinde gezwungen, ihr gemeinsames Vorgehen gegen Churon aufzugeben und sich aufzuteilen. Mit neuer Hoffnung und einer grimmigen Entschlossenheit setzte Churon nun seine ganze Kampferfahrung gegen den einen verbliebenen Gegner ein, dem er keine Blöße gab, während er auf dessen ersten und alles entscheidenden Fehler lauerte.
Dieser Moment kam früher als erwartet. Fast zur gleichen Zeit durchbrachen Churon und sein neuer Kampfgefährte die Deckung des jeweiligen Gegners und entschieden damit den Kampf für sich. Churon tötete seinen Widersacher mit einem einzigen Stoß, der das Schwert tief in den Körper trieb. Der zusammenbrechende Mann starb, ohne einen Laut von sich zu geben. Mühsam zog Churon das Schwert aus dem Körper. Nachdem die Überlebenden einige Atemzüge lang die Toten betrachtet hatten, traf sich ihr Blick fast gleichzeitig. Genau genommen konnte Churon den Blick des Fremden nur ahnen, als der Kopf unter der Kapuze sich ihm zuwandte. Zwei der am Boden liegenden Fackeln waren bereits verloschen. Der nachlassende Feuerschein beleuchtete den Ort des furchtbaren Gemetzels nur zum Teil.
Churon ließ den Fremden nicht aus den Augen, erlaubte es sich aber, sein Schwert hängen zu lassen und eine entspanntere Körperhaltung einzunehmen. Er wusste, dass der Schmerz und die Erschöpfung, die der Kampfrausch für kurze Zeit zurückgedrängt hatte, sich bald wieder bemerkbar machen würden, und zwar zehnfach verstärkt. Er selbst atmete heftig und stoßweise, konnte aber bei seinem Gegenüber kein solches Zeichen der Verausgabung feststellen. Allerdings hatte sein unerwarteter Retter wohl auch erst spät in den Kampf eingegriffen.
Schließlich war es der Fremde, der das Schweigen brach. „Du brauchst mir nicht zu danken.“ Die Stimme war dunkel und ohne die Spur einer Gefühlsregung. „Das wäre angesichts der Verluste wohl auch etwas unangebracht“, fuhr er fort. Churon meinte nun, in dem Elnanbisch, das der Fremde sprach, einen kleinen Unterschied zur Sprechweise seiner verblichenen Gefährten zu erkennen, die Spur eines Akzents.
„Um diese Schakale tut es mir nicht leid“, erwiderte nun Churon, während er mit dem Fuß die Leiche des Mannes vor ihm umdrehte, „aber um meine Leute ist es schade. Es waren zwar nur Halsabschneider, die ich noch nicht lange kannte, dennoch war dies hier unnötig.“ Zumal dies seine Pläne wieder ein Stück weit zurückgeworfen hatte. Zumindest brauchte er sich jetzt keine Gedanken mehr darum zu machen, wie er sie später los werden sollte. Er ging langsam über den Kampfschauplatz und musterte die Leichen der Kopfgeldjäger sorgfältig. Er spürte Erschöpfung, Übelkeit und einen pochenden Schmerz im Arm, doch noch war keine dieser Empfindungen überwältigend.
Der Fremde ergriff wieder das Wort. „Ich bedaure, dass ich euch nicht früher geholfen habe. Ich wollte erst abwarten, wie das Gespräch verlaufen würde.“ Gebildete Ausdrucksweise, bemerkte Churon. Der Fremde fuhr fort: „Dass es so enden musste ist schrecklich.“ Churon erwiderte: „Ist vielleicht besser, als wenn man sie hingerichtet hätte. Das wäre eine größere Demütigung gewesen.“ Zumindest, wenn die Hinrichtungen mit denen in Korva vergleichbar wären, dachte er.
Der Fremde fuhr fort, als hätte er Churon nicht gehört. „Um so bedauerlicher ist es, dass ich es wohl bin, dem ihr diese tragische Begegnung zu verdanken habt.“ Bei dieser Bemerkung hielt Churon inne und sah in die Richtung des Sprechers, der immer noch am Rand des Kampfplatzes stand, sein Schwert aber inzwischen wieder in die Scheide gesteckt hatte. Churon erinnerte sich, dass es sich dabei um eine gebogene Klinge handelte, in einer Form, wie er sie bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Einige der Waffen der Gegner waren ähnlich beschaffen. Er schwieg weiterhin.
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