»Wieso bin ich hier auf Cedan gelandet?«, wollte Rick jetzt von ihm wissen.
»Das ist reiner Zufall. So, wie du den Geburtsort auf der Erde nicht bestimmen kannst, so ist es auch nicht möglich, seinen Ankunftsort in dieser Welt zu bestimmen. Du hättest ebenso gut auf einem der anderen Planeten ankommen können. Ein Ordnungsprinzip oder ein System konnten wir diesbezüglich nicht feststellen. Deshalb nehmen wir an, dass der Ankunftsort dem Zufall überlassen bleibt. Wie du auch feststellen konntest, hat jeder Ankömmling anfangs Probleme, in der neuen Welt zurechtzukommen. Nach ihrer Ankunft kümmern wir uns deshalb um sie.«
»Was muss ich tun, um bleiben zu können?«, fragte Rick irritiert.
»Darauf hast du keinen Einfluss«, entgegnete Callum.
Er hatte Rick die ganze Zeit beobachtet, während er sprach. Jetzt drehte er sich zu seinen Begleitern um. Eine kurze Pause entstand. Nach einiger Zeit nickten Misaki und die neben ihm Stehenden Callum zu. Worauf sich dieser wieder an Rick wandte.
»Du kannst jetzt mit hinein kommen. Heute Abend werden wir darüber befinden, ob du bleiben kannst, oder nicht. Bis dahin bist du unser Gast. Misaki wird dir eine Unterkunft zuweisen, damit du etwas ruhen kannst.«
Bis auf Misaki verschwanden alle im Schatten der Kuppel. Er lächelte ihm aufmunternd zu. »Na, dann komm mal mit.«
Er glitt in die Kuppel hinein und Rick folgte ihm. Was er jetzt sah, war so unbegreiflich schön, dass er erstaunt seine Umgebung betrachtete. Die schwarze Kuppel war mit Tausenden kleinen Lichtern bestückt, so dass die gigantische Illusion eines Sternenhimmels zu sehen war. Nur dieser hatte mehr Sterne, als er es von der Erde her kannte. Und sie bewegten sich auf scheinbar elliptischen Bahnen, bildeten Sternhaufen, Sonnensysteme und Galaxien. Rick war stehen geblieben und sah fassungslos den Bahnen der Gestirne nach. Erst als Misaki ihn ansprach, folgte er ihm tiefer in die Kuppel hinein. Kleine, schwarzglänzende Objekte, die in geringer Höhe über der Lichtscheibe schwebten, traten in sein Blickfeld. Sie sahen aus wie kleine, fliegende Untertassen. Misaki wies auf eines der Objekte und sagte:
»Bitte hier herein.«
Ohne eine Tür zu öffnen, schwebten sie durch die Hülle in das Innere des Objektes. Rick empfing ein angenehmes Halbdunkel. Durch die abgedunkelte Außenwand hatte man einen herrlichen Blick in die Kuppel, auf die Plattform hinaus und den tief darunter liegenden flachen See. Der Raum war sonst leer.
»Versuch erst mal etwas zu schlafen, damit du gleich ausgeruht bist. Du musst wissen, dass man auch hier, wie auf der Erde, nur über ein gewisses Maß an Energie verfügen kann. Die verbrauchte Energie kannst du nur durch Schlaf wieder ersetzen. Warte hier bitte , bis man dich ruft«, sagte Misaki.
»Darf ich dir noch einige Fragen stellen?«, beeilte sich Rick, da Misaki sich schon wieder abgewandt hatte.
»Das hier ist alles schwer zu begreifen«, sagte er. » Es ist so unbegreiflich, dass ich immer noch vermute, ich träume dies alles.«
»Es wird einige Zeit dauern, bis es für dich Realität ist. Das ging uns allen so.«
Am liebsten hätte Rick hundert Fragen auf einmal gestellt. Alles um ihn herum war rätselhaft. Als er jetzt an sich heruntersah, fragte er:
»Wieso habe ich wieder einen Körper? Ich kann ihn sehen, aber nicht fühlen!«
»Dein Körper ist eine Art Hologramm, das hier auf Cedan entstanden ist. Es geschieht ohne unser Zutun und es entspricht exakt dem Bild, wie du dich gesehen hast. Wir können es nicht erklären, aber dein Körper wird mit dir, im Laufe der Zeit, zusammenwachsen, Alles was du hier vorfindest, Häuser, Pflanzen und teilweise sogar Landschaften sind Vorstellungen von bestimmten Personen, die in Hologramme umgewandelt wurden.«
»Das geht so einfach?«, fragte Rick.
»So einfach auch wieder nicht. Unser Geist ist in dieser Welt unendlich leistungsstark. Aber das muss man auch erst lernen, da nur bestimmte Dinge möglich sind. Versuch aber jetzt erstmal zu schlafen.«
Misaki wandte sich ab und verschwand. Alleingelassen kam sich Rick verloren vor. Doch dann spürte er wieder diese positive Energie in sich, die voller Liebe war und von der er annahm, dass sie ihn am Leben erhielt. Die letzten Geschehnisse waren so ungewöhnlich gewesen, dass sie dieses Gefühl überlagert hatten. Wohltuende Müdigkeit erfasste ihn. Er versuchte sich in eine horizontale Lage zu bringen, was ihm auch gelang. Eigenartig, obwohl er seinen Körper nicht spürte, konnte er dessen Lage und Position im Raum wahrnehmen. Er versuchte in sich hineinzuhorchen, doch da war nichts. Atmen brauchte er nicht, fiel ihm jetzt auf. Er existierte einfach, ohne es zu spüren. Durch das dunkle Glas seiner Behausung sah er den Sternenhimmel der Kuppel über sich, dessen Licht schwach durch die Außenwand drang. Seine Gedanken glitten ab und er erinnerte sich an seine letzten Stunden auf der Erde. Welcher Teufel hatte ihn geritten, sich mit Anna in einem einsamen Wald zu treffen? Hatte sie inzwischen schon so einen starken Einfluss auf ihn gehabt? Die Ereignisse schienen endlos zurück zu liegen, als wären sie vor hundert Jahren passiert. Aber das Unglück war doch eben erst geschehen. Seltsam, jetzt, da er intensiv daran dachte, war der Ablauf wieder ganz nah. Was war mit Anna? Lebte sie noch? Bestimmt würde sie heute noch leben, wenn er sich besser unter Kontrolle gehabt hätte! Verdammt, wie hatte er sich nur so verantwortungslos verhalten können?
Kevin kam ihn in den Sinn. Was hatte er seinem Bruder nur angetan. Jeder Versuch, das Geschehen zu erklären wäre doch sinnlos gewesen. Dass Anna ihn verführen wollte, wäre doch nur die halbe Wahrheit gewesen. Welche Schuld lag jetzt auf ihm!!! Herrgott, was hatte er da angestellt. Bei dem Gedanken befiel Rick eine schwere Last, die ihn zu ersticken drohte. Was musste Kevin jetzt durchmachen. Inzwischen würde er es erfahren haben, dass Anna und auch er verunglückt waren. Er hatte alles zerstört. Sicher auch die Unbekümmertheit seines Bruders, die würde es auch nicht mehr geben. Das war das Schlimmste.
Die Müdigkeit hatte Rick jetzt so erfasst, dass ihm die Gedanken langsam entglitten, und er in einen unruhigen Schlaf verfiel.
Als er erwachte, wusste er im ersten Moment nicht wo er war. Langsam kam die Erinnerung wieder und das Erstaunen über seine jetzige Situation. Er versuchte sich in eine senkrechte Lage zu bringen. Irgendetwas war anders. Inzwischen war es dunkel draußen, bemerkte er. Eine Nachtphase gab es hier also auch. Die Lichtplattform strahlte jetzt viel intensiver und die darunter liegende Wasserfläche hatte eine hell türkise Farbe angenommen, einem beleuchteten Swimmingpool ähnlich. Den Himmel konnte Rick nicht sehen, da sich über ihm die Sternenkuppel befand, die nach wie vor einen berauschenden Anblick bot. Er war unschlüssig was er jetzt tun sollte. Auf Misaki warten? Was war das nur für eine eigenartige Hülle, in der er da steckte. Kam er hier überhaupt wieder raus? Er versuchte die Glaswand anzufassen, doch seine Hand ging einfach hindurch. Jetzt schwebte er ganz hinaus. Interessiert sah er sich um. Einige Personen kamen vorbei. Auch sie steckten in langen, farbigen Umhängen, betrachteten ihn kurz, kümmerten sich dann aber nicht weiter um ihn. Als er sich gerade auf die Plattform begeben wollte, sah er Misaki aus der Lichtscheibe auftauchen. Er führte etwas mit sich, das wie eine Person ohne Kopf aussah. Ein Umhang schwebte leer neben ihm her.
»Ausgeschlafen?«, fragte er. »Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht, damit du vor dem Gremium nicht nackt erscheinen musst.«
»Danke«, entgegnete Rick. Seiner Nacktheit war er sich gar nicht mehr bewusst gewesen. Wie von Geisterhand legte sich der Umhang um Ricks Schultern. Spüren konnte er ihn jedoch nicht.
Misaki führte ihn jetzt tiefer in den Kuppelbau hinein. Dann sah Rick ihn langsam im Lichtboden verschwinden. Er folgte ihm nach. Was Rick jetzt zu sehen bekam, hatte große Ähnlichkeit mit einem Fußballstadion. Es war nur exakt kreisförmig. Ihm fiel ein, dass der Baukörper ja die Form eines großen Diskus hatte. Dieses Stadion war das untere Gegenstück des oberen Kuppelbaus. Misaki war, hoch oben, auf einer Art Ebene stehen geblieben. Die Ränge ringsum treppten sich nach unten ab, bis zu einer riesigen, runden Öffnung, durch die man den türkisfarbenen See erkennen konnte. Über diese Öffnung spannte sich eine geländerlose Brücke. Sie diente wohl als Bühne, mutmaßte Rick. In Gruppen, aber auch vereinzelt, strebten Leute durch die untere Öffnung in das Stadion hinein. Es herrschte eine Stimmung, wie vor einem Länderspiel. Da sich das Rund schon halb gefüllt hatte, drangen unzählige Stimmen, einem Bienenschwarm gleich, zu ihnen hinauf. Die Lichtplattform über ihnen beleuchtete die gesamte Szenerie.
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