Das All um ihn herum war inzwischen ein glitzerndes Sternen-meer. Doch sie standen nicht still. Mit ungeheurer Geschwindigkeit zogen sie an ihm vorbei, immer noch schneller werdend. Jetzt konnte er schon gar keine einzelnen Lichtpunkte mehr erkennen. Wie Millionen Leuchtspurgeschosse sahen sie aus. Dann wurde es schlagartig dunkel. Eine wohltuende Müdigkeit erfasste ihn und er verlor langsam das Bewusstsein.
Rick...Rick...Als er wieder zu sich kam, hörte er seinen Namen. Erst aus weiter Ferne, dann immer lauter. Rick .... Sonst war alles wie vorher. Dieses wohlige Gefühl zu schweben, die Energie voller Liebe und Kraft. Die Geschwindigkeit schien abgenommen zu haben. War er zum Stillstand gekommen? Oder hörte jetzt der Traum auf?
Rick.....Hallo, Rick. Jetzt war die Stimme ganz nah. Er versuchte die Augen zu öffnen. Hell war es. Einfach nur hell. Schemenhaft bewegte sich etwas. Er konnte es nicht genau erkennen. Augenscheinlich regte es sich. Von dort kam auch die Stimme: »Hallo Rick«, war wieder zu hören. In der Helligkeit, die langsam abnahm, waren Konturen zu erkennen, die einer Person ähnelten. Aber irgendwie sah sie merk-würdig aus - anders. Durchsichtig war sie. Nein auch nicht. Mehr so wie ein Glas voller Rauch. Nun konnte er das Wesen erkennen. Es war bekleidet mit einer Art Mantel, der in vielen Farben schimmerte. Der Kopf war weiß. Auch das Gesicht, ja selbst die Haare. Ein Augenpaar sah ihn interessiert an. »Hallo Rick«, sagte jetzt wieder das Wesen, doch der Mund hatte sich nicht bewegt. »Rick Bender, willkommen«, war jetzt zu hören.
»Wo bin ich?«
»Du hast eine lange Reise hinter dir und musst dich noch ein wenig schonen. Aber gleich wird es dir besser gehen.«
Wieder hatte sich der Mund nicht bewegt.
»Mir geht es gut, aber wo bin ich hier?«
»Cedan heißt der Ort, aber das wird dir jetzt noch nicht viel sagen«, war die Antwort. Die Helligkeit hatte soweit nachgelassen, dass er jetzt die Umgebung wahrnehmen konnte, die einer leicht hügeligen, wüstenartigen Landschaft ähnelte. Ein Meer von wellenartigen, leichten Erhebungen breitete sich vor ihm aus. Erstaunt stellte er fest, dass es kein Sand war. Teilweise sahen die Hügel transparent aus, so als hätten sie keine feste Substanz. Ihre Farbe war wie heller Sand und ging in der Ferne in ein leichtes Blau über. Einen Horizont gab es nicht. Das leichte Blau in der Ferne wurde nach oben hin dunkler, so dass sich über ihm ein dunkelblauer Himmel ausdehnte. Die Szenerie war von erhabener Schönheit. Licht schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen, aber nicht gleichmäßig, so dass es wie Licht und Schatten aussah. Eine Sonne sah er nicht.
»Gefällt es dir?«, hörte er jetzt.
Sein Gegenüber stand auf einer leichten Erhebung und blickte auf ihn herab. Rick lag rücklings auf einer Ebene. Verblüfft stellte er fest, dass er wieder einen Körper besaß. Nur er schien schwerelos zu sein und auf eine eigenartige Weise durchsichtig. Er versuchte mit seiner Hand seinen Oberschenkel zu berühren. Doch der Griff ging ins Leere. Er konnte sich selbst nicht spüren. Auch den Griff nach unten auf den Boden spürte er nicht. Alles um ihn herum war nicht fest, er selbst auch nicht. Dass er total nackt war, nahm er gelassen hin. So etwas wie Schamgefühl kam nicht auf.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, sagte der Andere.
»Versuch mal aufzustehen. Du brauchst nur daran zu denken, aber bitte langsam und vorsichtig.«
Rick versuchte sich abzustützen, um aufzustehen. Aber der Griff ging abermals ins Leere. Dann besann er sich und stellte sich konzentriert vor aufzustehen und im gleichen Moment stand er aufrecht da. Seinen Körper hatte er für den Bewegungsablauf nicht gebraucht. Der Gedanke daran hatte genügt. Unvermittelt erfasste ihn ein Schwindelgefühl und Angst stieg in ihm hoch. Es gab nichts Festes, an dem er sich hätte anlehnen können. Er schwebte über der sandartigen Fläche und hatte das Gefühl gleich abzustürzen. Doch nichts dergleichen geschah. Er registrierte, dass er schwebend an der Stelle verweilen konnte, da er augenscheinlich kein Eigengewicht besaß.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte das Wesen.
Rick musterte jetzt seinen Gegenüber genau. Überraschend wurde ihm klar, dass er die Gedanken des Anderen lesen konnte. Deshalb hatte sich wohl auch der Mund nicht bewegt, als das Wesen ihn angesprochen hatte. Aufmerksam betrachtete er ihn. Sein weißes Haar war bürstenartig kurz geschnitten. Die schlitzartigen, dunklen Augen sahen ihn neugierig an. Sie schienen das einzige, wirklich Lebendige an ihm zu sein. Der weit geschnittene Mantel verdeckte den größten Teil seines Körpers. Nur die unbekleideten Füße schauten unten heraus. Er ist ein Mensch, ein normaler Mensch, kein Überwesen, war ihm jetzt klar. Ein verstorbener Typ aus Japan. Sein Name ist Misaki, Misaki Tendoo stellte er fest. Auch konnte er in die Lebensgeschichte dieses Mannes hineinsehen, je mehr er sich mit ihm befasste. Polizist war er gewesen und hatte eine Frau zurückgelassen, als er gestorben war. Bei einem Banküberfall hatte ihn eine verirrte Kugel getroffen. Seine Ordnungsliebe, seinen Hang zur Perfektion, seine starke Disziplin und Selbstbeherrschung traten offen hervor. Weder Zuneigung, noch Ablehnung konnte Rick herauslesen. Es war eher gleichgültige Freundlichkeit, die ihm entgegengebracht wurde.
Doch dann wurde ihm bewusst, dass der Andere ja auch in ihn und in sein Leben hineinsehen konnte. Er schämte sich seiner Begierde, die zu einer Katastrophe geführt hatte. Sofort musste er wieder an Anna denken.
»Hat sie überlebt?«, fragte er mit seinen Gedanken.
»Das weiß ich nicht, dazu kommen wir später«, sagte Misaki. »Folge mir bitte und versuche einfach mit Hilfe deiner Gedanken, dich zu bewegen. Erst mal musst du wieder laufen lernen.«
»Wohin gehen wir?«, wollte Rick wissen.
»Folge mir einfach«, entgegnete Misaki, »und versuche dich nur auf deine Bewegung zu konzentrieren.«
Er drehte sich um und schwebte davon. Rick beobachtete wie der Andere langsam über die Landschaft glitt, ohne die Arme oder Beine zu bewegen. Vorsichtig wollte er loslaufen, merkte aber schnell, dass das Bewegen der Beine keinen Erfolg hatte. Er ruderte nur auf der Stelle. Misaki sah sich zu ihm um und grinste. Rick konzentrierte sich jetzt auf seine Gedanken und auf die Strecke, die er zurückzulegen hatte. Er stieg etwas an und konnte sich leicht vorwärts bewegen. Dann geriet er in eine Schieflage und versuchte mit Armen und Beinen wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ohne Erfolg.
»Bleib erst mal stehen und richte dich wieder auf«, hörte er Misaki sagen.
In Ruhestellung gelang es Rick mit Hilfe seiner Gedanken sich wieder gerade zu richten. Dann, ganz langsam, bewegte er sich nach vorn und achtete jetzt darauf aufrecht zu bleiben.
So schwebten beide langsam über die Landschaft dahin. Rick hatte jedoch alle Mühe Misaki zu folgen. Es war nicht einfach, die Geschwindigkeit konstant, die Richtung einzuhalten und auch noch gerade aufgerichtet zu bleiben. Sobald er versuchte sich die Umgebung anzusehen, fing er an zu trudeln, oder driftete ab. Mitunter vergaß er die Höhe einzuschätzen und geriet mit seinen Beinen in den Untergrund. Erstaunt stellte er fest, dass der Boden keinen Widerstand darstellte. Er konnte genauso gut durch den Boden wie über ihm schweben. Ihm fiel ein, dass er sich vorhin ja auch nicht abstützen konnte, als er sich aufrichten wollte. Die Landschaft schien eine Art Projektion zu sein.
»Nur auf die Bewegung achten«, mahnte Misaki.
Nach einiger Zeit hatte Rick sich an die Art, sich fort-zubewegen, gewöhnt. Es fing sogar an Spaß zu machen. Gern hätte er die Geschwindigkeit erhöht. Misaki schwebte jedoch konstant, ohne sich um ihn zu kümmern, vor ihm her. Wie lange sie unterwegs waren, konnte Rick nicht einschätzen. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Überhaupt hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war er jetzt schon tot? Gerade erst, oder schon hundert Jahre? Wie viel Zeit hatte er gebraucht um an diesen Ort zu kommen? Er wusste es nicht.
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