»Musste noch ein Telefonat annehmen«, sagte sie und deutete auf ihr Handy. »Werde das Ding aber jetzt abstellen, damit wir Ruhe haben.«
Sie fingerte an der Tastatur des Handys herum, als Rick sie fragte:
»Sag mal, wer ist denn dieser Franco? Ich hab den Namen eben unfreiwillig gehört. Du hast nie von ihm gesprochen.«
»Franco? – Der ist in meiner Laufgruppe in Detmold. Der Kerl nervt mich ständig. Fragt mich andauernd ob ich mit ihm laufe.«
Sie hatte ihn bei der Antwort nicht angesehen, war auf die Gartenmöbel zugegangen und hatte ihr Handy auf den Tisch abgelegt. Jetzt drehte sie sich zu Rick um, grinste ihn frech an und fragte:
»Sag mal, hast < du > denn keine Lust mal mit mir zu laufen?«, während ihr Blick prüfend an ihm herunterglitt.
»Laufen?«, echote Rick irritiert.
»Ja, nur wir beide, wäre doch schön.«
Anna hatte sich lässig an die Tischkante gelehnt und ihre langen Beine übereinander geschlagen. Rick registrierte, dass er sie anstarrte.
»Du weißt doch, dass ich nicht trainiert bin. Ich hätte doch keine Chance mitzuhalten«, antwortete er zögernd.
»Du sollst ja nicht gegen mich laufen, sondern mit mir«, grinste sie. »Die Strecke oben am Steinbruch ist meistens menschenleer, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, dass dich jemand sieht, wenn dir die Puste ausgeht. - Dort wären wir bestimmt allein - .«
Anna sah Rick vielsagend an und der Tonfall ihrer Stimme ging Rick unter die Haut. Der Gedanke mit ihr allein zu sein, beflügelte intuitiv seine Phantasie. Er hatte große Mühe sein Befinden zu verbergen und versuchte möglichst gelassen zu antworten:
»Na ja, es wäre bestimmt gut, wenn ich etwas für meine Kondition tun würde.«
Seine eigene Stimme kam ihm plötzlich fremd vor.
»Heißt das, du kommst mit?«
»Wenn du mir versprichst, dein Tempo meinen Fähigkeiten anzupassen – ja.«
»Da mach dir mal keine Sorgen, deinen Wünschen komme ich bestimmt entgegen«, lachte Anna ungeniert.
Verdammt, ihre Art sich auszudrücken, konnte man nur missverstehen. Oder war alles nur Einbildung? Rick versuchte in ihren Augen eine Antwort zu finden. Wie immer blieben sie unergründlich.
»Wann sollen wir denn los?«, fragte er, um nicht auf ihre Doppeldeutigkeit einzugehen.
»Passt es dir morgenfrüh?«
»So gegen elf würde gehen, ich habe vorher noch einen Be-sichtigungstermin«, antwortete Rick.
Sein Puls überschlug sich inzwischen.
»Okay, sagen wir elf Uhr am Parkplatz oben im Wald.« Anna löste sich mit einem Lächeln auf ihren Lippen vom Tisch und kam auf ihn zu. Doch dann sah sie an ihm vorbei und ihr Lächeln erstarb.
»Ihr wollt euch im Wald treffen?«, hörte Rick plötzlich Kevins Stimme hinter sich. »Was soll ich denn davon halten!?«
Kevin stand in der offenen Bürotür und starrte sie an. Eine Schrecksekunde lang gefror das Blut in Ricks Adern. Dann nahm er wahr, wie Anna in ein helles, unbekümmertes Lachen verfiel, auf Kevin zusteuerte, ihn in den Arm nahm und mit ihren Händen sein langes Haar durchwühlte.
»Mein Lieber, da bist du ja endlich. Ich hab schon gedacht du hast nur noch dein Studium im Kopf. Dein Schatz geht morgen mit dem alten Mann da laufen, damit er nicht ganz verrostet.«
Ohne sich umzudrehen, deutete sie mit dem Daumen über ihre Schulter, küsste Kevin leidenschaftlich auf den Mund und kicherte dann belustigt auf. Rick konnte jedoch an Kevins Miene ablesen, dass er die Sache nicht so lustig fand, denn er sah ihn skeptisch mit hochgezogenen Brauen an.
»Bist du mit der Planung fertig? Ich bin schon ganz gespannt, welche Grundrisslösung du erarbeitet hast«,
hörte Rick Anna mit kindlicher Neugierde sagen.
Sie will ihn ablenken, schoss es Rick durch den Kopf. Ohne jedoch auf Annas Frage zu antworten, löste Kevin sich von ihr und sagte vorwurfsvoll an Rick gewandt:
»Wie bist du nur auf die verrückte Idee gekommen, mit Anna laufen zu wollen?«
»Das war meine Idee«, schaltete sich Anna ein. »Ich hab ihm versprochen, mein Tempo seinen Möglichkeiten anzupassen. Ich will ja nicht, dass er mir unterwegs zusammenbricht.«
»Komm doch mit, ein bisschen Bewegung würde dir bestimmt nicht schaden«, sagte Rick mit belegter Stimme.
Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Das Misstrauen seines Bruders war allzu deutlich. Kevin schien über den Vorschlag nachzudenken. Er stand barfuss auf der Terrasse, seine Hände in den Gesäßtaschen seiner Jeans vergraben und sah abwechselnd Rick und Anna an.
»Lasst mich mal da raus. Ihr wisst, dass ich dazu keine Lust habe. Außerdem möchte ich an dem Projekt weiter arbeiten.«
»Jetzt zeig mir erst mal den Grundriss!« Anna zog Kevin ins Haus, doch an der Tür drehte er sich noch mal zu Rick um:
»Hast du mir die Kopien gemacht? – du weißt, wegen meiner Umbauabsichten.«
»Sie liegen auf meinem Schreibtisch«, antwortete Rick, froh darüber, dass man vom Thema Laufen abgekommen war.
»Ich will jetzt erst mal den Rasen mähen, danach komme ich vielleicht noch rauf.«
»Wir können auch morgen über die Sache sprechen«, sagte Kevin bestimmt. Er sah Rick ernst an und ging an Anna vorbei ins Haus. Einen kurzen Moment schaute Anna Rick ver-schwörerisch an, dann verschwand auch sie.
Rick hatte Kevins Blick aufgefangen. Er kannte diesen Ausdruck genau. Eine Mischung aus vorwurfsvollem Nichtverstehen, Trotz und Traurigkeit. Er hatte seinen Bruder getäuscht. Soviel war klar. Den gleichen Ausdruck in den Augen hatte Kevin als Kind gehabt, wenn er ihn angelogen oder hintergangen hatte. Ahnte Kevin, dass er nicht am Laufen, sondern mehr an Anna interessiert war? Sicher, sonst hätte er ihn nicht so angesehen. Verflucht, warum hatte er sich auf Annas Spiel eingelassen? Wie war es überhaupt dazu gekommen? Jetzt fiel ihm dieser Franco wieder ein. Schuldete Anna ihm nicht Geld, dass sie ihm am Montag bringen wollte? Welches Geld? Langsam kam ihm der Verdacht, dass sie ihn nur von Franco ablenken wollte, als sie den Vorschlag machte, mit ihm zu laufen. So wie sie eben Kevin abgelenkt hatte. Aber das war nur eine Vermutung. Sicher war nur, dass Kevin sauer war. Er wird es verkraften, sann Rick nach. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem gehässigen Grinsen. Die Chance, mit Anna allein zu sein, war zu verführerisch.
Beim Rasenmähen überlegte Rick, wie er den Rest des Abends verbringen sollte. Er hatte mehrmals verstohlen zum Haus hinüber gesehen, um von Anna einen Blick zu erhaschen. Sie war aber weder am Fenster, noch auf der Terrasse des Garagendaches aufgetaucht. Nur Kevin hatte ihn beim Schließen des Fensters kurz beobachtet, sich aber sofort abgewandt, als er zu ihm hinauf sah. Den Abend würde er mit den Beiden nicht verbringen können. Er beschloss ins Dorf zu gehen und ein Bier im Movie zu trinken. In der Kneipe war immer was los. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt. Rick sah mit gewissem Stolz über das Anwesen. Nachdem er mit einem Rechen die dicht bewachsenen Randzonen gesäubert hatte, machte der Garten wieder einen gepflegten Eindruck. Das Elternhaus, ein einfacher Bau mit einem roten Satteldach, war im letzten Herbst neu gestrichen worden. Um dem schlichten Haus mehr Charakter zu verleihen, hatte Rick weiße Fensterläden anbringen lassen, die sich vom hellgelben Anstrich wohltuend absetzten. Kevin hatte das als Zuckerbäcker-Architektur bezeichnet, aber ihm gefiel es. Zufrieden ging Rick ins Haus zurück. Der elterliche Besitz gab ihm ein Gefühl der Sicherheit und ein Stück Selbstvertrauen.
Der Abend verlief anders, als Rick es sich vorgestellt hatte. Eine innere Unruhe hatte ihn ergriffen, die auch nicht weichen wollte, als er im Movie Bekannte traf. Er hatte Mühe, sich auf die Gespräche zu konzentrieren. Das Bier schmeckte nicht und die gelöste Stimmung an der Theke nervte. Eigentlich hatte er auch eine Kleinigkeit essen wollen, aber sein Magen schien wie zugeschnürt zu sein. Schließlich verließ er das Lokal, in der Hoffnung an der frischen Luft Ruhe zu finden.
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