„Hallo!“ Malawi trat zu ihm und küsste ihn sanft auf den Mund.
„Hey!“ Kendig lächelte sie offen an.
„Na, hast du auch alles im Griff?“ Sie schmiegte sich seitlich an ihn.
Als er ihre Körperformen spüren konnte, kroch eine erregende Gänsehaut über seinen Rücken. Er nickte. „Es ist alles ruhig. Aber...!“ Er stockte und warf seinen Kopf wieder zum hinteren Ende des Raumes herum, weil er dort erneut eine kurze, abrupte Bewegung zu sehen glaubte. Aber wieder konnte er nichts erkennen, doch er hätte schwören können, dass er auch ein kurzes, schabendes Geräusch gehört hatte.
„Was ist?“ In Malawis Gesicht zeigte sich sofort Sorge.
„Ich...weiß nicht?“ Sein Blick war unschlüssig. „Vielleicht sollten wir unser Glück nicht überstrapazieren!“ Er wandte sich nach vorn. „Shamos!“ rief er halblaut, doch der Wissenschaftler war viel zu sehr beschäftigt, als dass er reagierte. „Pater!“ versuchte es Kendig daher mit der anderen Person, doch auch hier erntete er keinerlei Reaktion.
„Esha!“ Malawi wartete, bis Shamos Frau sie ansah. Dann deutete sie auf den Wissenschaftler und den Geistlichen. Esha nickte, huschte zu den beiden und machte sie auf Malawi und Kendig aufmerksam.
In der Zwischenzeit hörte Kendig ein weiteres Schaben. „Hast du das gehört?“ fragte er seine Frau.
„Ja, habe ich!“ Sie nickte mit ernstem Gesicht. „Und da hinten...!“ Sie deutete mit dem Kopf auf die Glaskuppel am hinteren Ende des Raumes. „...hat sich auch etwas bewegt!“
Kendig stieß sich ohne zu zögern von der Brüstung ab, rannte zur Treppe und flitzte nach unten zu Shamos und den anderen. Dort erwarteten ihn bereits besorgte Blicke.
„Was ist los?“ fragte Matu.
„Sind sie fertig?“ erwiderte Kendig. „Haben sie, was sie brauchen?“
Shamos war sofort nervös. „Ich...ähm...also eigentlich...nicht. Wir müssten noch...hier und da...!“
Doch Kendig schüttelte den Kopf. „Vergessen sie es!“ Im selben Moment ertönte von außerhalb des Raumes ein schrilles Kreischen, dass sie alle nur zu Genüge kannten. Er schaute Shamos direkt in die Augen. „Die Besuchszeit...!“ Er hielt inne, weil über ihnen ein dumpfer Schlag zu hören war, auf den lautes Scheppern zu hören war. Einen Wimpernschlag später rauschten einige Quadratmeter geborstenes Glas aus der Kuppel in die Tiefe und donnerten auf die Tische, die unter dem immensen Gewicht zusammenkrachten. Gleichzeitig ertönte erneut schrilles Quieken und ein großer, schwarzer Schatten rauschte nur wenig nach dem Glas zu Boden. Bei seinem Anblick stieß Esha einen kurzen, entsetzten Schrei aus. Kendig wirbelte zurück zu Shamos. „...ist vorbei!“ vervollständigte er seinen Satz, dann riss er seine Waffe in die Höhe und zusammen mit Malawi stürmte er auf das grauenhafte Insektenmonster zu.
„Los!“ rief Matu, während er seine Ledertasche in die Höhe riss. Dabei schaute er Shamos mit großen Augen an. „Rein damit!“
Der Wissenschaftler war noch immer nervös, aber auch angesichts der Bestie nur wenige Meter vor ihnen zutiefst entsetzt. Entsprechend starrte er den Priester einfach nur an.
„Nun mach schon!“ brüllte Esha und stieß ihm in die Seite.
„Aber...!“ mehr brachte Shamos nicht heraus.
„Wir nehmen, was wir tragen können!“ rief Matu.
„Aber wir haben doch noch gar nicht...!“ hob Shamos erneut an. Dann schreckte er zusammen, weil die ersten Schüsse fielen und das Monster aufbrüllte.
„Wir werden aber keine zweite Chance mehr bekommen!“ erwiderte Matu. „Und jetzt rein damit!“
Shamos war noch für eine Sekunde wie erstarrt, dann jedoch zuckten seine Hände auf den Tisch und mit einem großen Griff zog er alle dort befindlichen Seiten und Bücher in Matus Tasche, die daraufhin randvoll war.
Wenige Meter vor ihnen war es Kendig und Malawi gelungen, das Monster zu töten. Offensichtlich hatte es sich bei dem Sturz vom Glasdach eine Klaue verletzt und konnte daher nicht mehr richtig laufen. Dass hatten die beiden gnadenlos ausgenutzt und ihm den Schädel zu Brei geschossen. Doch Grund zur Freude hatten sie nicht, denn schon konnten sie auf dem Glasdach weitere Bewegungen erkennen. „Wir müssen hier raus!“ brüllte Kendig und riss den Lauf schussbereit in die Höhe.
Matu ließ sich das auch nicht zweimal sagen und stürmte los. Esha wollte ihm nach, doch sah sie, dass Shamos sich nicht rührte. „Oh, nun komm schon!“ brüllte sie und riss rüde an seinem linken Arm. Es gelang ihr auch, ihn mit sich zu ziehen, doch nur eine Sekunde später riss er sich wieder los und rannte zurück zu der Stelle, wo er gestanden hatte. Er machte sich ganz lang und streckte seinen rechten Arm über den Tisch, bis er ein kleines, schwarzes in dickes, weiches Leder gebundenes Buch ergreifen konnte. Er packte es fest, riss es an sich, richtete sich wieder auf und stürmte zurück zu Esha. „Ich...!“ Er grinste entschuldigend. „...hatte etwas vergessen!“
„Idiot!“ zischte seine Frau jedoch nur, griff wieder seinen linken Arm und zog ihn mit sich.
Hinter Matu gelang es ihnen, seitlich an der toten Bestie vorbeizukommen. Kendig und Malawi kamen von der anderen Seite auf sie zu.
„Hier, nimm du das!“ Matu reichte Shamos seine randvoll gefüllte Umhängetasche.
Der Wissenschaftler war im ersten Moment unschlüssig, dann aber stopfte er das kleine, schwarze Buch schnell in seine Jacke und nahm dem Priester die Tasche ab.
Matu war zufrieden. „Und jetzt raus hier!“ Er stürmte mit der Waffe im Anschlag auf den Ausgang zu. Esha und Shamos folgten ihm. Kendig und Malawi bildeten die Nachhut. In dem Moment, da der Pater die Eingangstüren nach außen aufstieß, konnten sie hinter sich weiteres Glas zerspringen hören, gefolgt von den quiekenden Schreien mehrerer Monster.
Kendig und Malawi drehten sich sofort um und donnerten ihren Feinden im Rückwärtslaufen einige Salven entgegen, die zwar auch ihr Ziel fanden, jedoch keine der Bestien zu töten vermochten. Dann hatten auch sie die Türen erreicht und rannten hindurch.
Hinter ihnen drückten Shamos und Matu die beiden Flügel sofort zu. Als sie mit einem dumpfen Knarren ins Schloss fielen, sprang Esha in der Mitte in die Höhe und drehte den schweren Riegel, der an der linken Tür befestigt war, zur Seite. Matu sprang ihr sofort zur Hilfe und gemeinsam gelang es ihnen, ihn einzurasten, bevor die Monster die andere Seite erreichen konnten. Doch kaum war der schwere, metallische Riegel in Position, da donnerten die Insektenbestien auch schon mit unbändiger Wucht gegen die beiden Türflügel. Während Matu hiervon ruckartig nach hinten gedrückt wurde und sich gerade noch taumelnd auf den Beinen halten konnte, wurde Esha förmlich abgeschossen. Wie eine Kanonenkugel rauschte sie schreiend einige Meter durch die Luft, bevor sie unsanft zu Boden schlug und sich einige Male überschlug.
Shamos und Malawi eilten ihr sofort zur Hilfe, während sich Matu und Kendig einen besorgten Blick zuwarfen, denn die Bestien hatten die beiden Flügel schon bedrohlich weit auseinander gedrückt. Länger als eine Minute würde der Riegel der gewaltigen Kraft der blutrünstigen Monster nicht standhalten können.
Entsprechend verloren sie keine Zeit, hetzten zu den anderen.
„Okay?“ fragte Kendig Esha, die sich gerade wieder aufrappelte.
Die junge Frau nickte. „Halb so wild!“ Sie grinste kurz.
„Dann ab!“ Kendig schaute Matu an, der wieder die Führung übernahm. Esha und Shamos bildeten die Mitte ihrer Gruppe, Kendig und Malawi die Nachhut.
Mit allem, was ihre Lungen noch zu bieten hatten, hetzten sie die gläsernen Gänge durch die Höhlen zurück zum großen Lesesaal der Bibliothek.
Sie hatten kaum das Ende des zweiten Ganges hinter sich gebracht, als sie hinter sich ein lautes Scheppern hören konnten. Der Riegel war aufgebrochen worden und schon konnten sie anhand der zunehmenden Vibration des Bodens erkennen, dass ihre Feinde schnell aufholten.
Читать дальше