Der Sonnabend, dieser schicksalhafte Sonnabend, dieser dreißigste August, entsteigt strahlend mit tiefer Bläue der Nacht. Beim Kaffee hat Lämmchen noch einmal wiederholt: „Also morgen bist du bestimmt frei. Morgen fahren wir nach Maxfelde mit der Bimmelbahn.“
„Morgen hat Lauterbach Stalldienst“, erklärt Pinneberg. „Morgen fahren wir los. Das versprech ich dir.“
„Und dann nehmen wir uns ein Ruderboot und rudern über den Maxensee, die Maxe hinauf.“ Sie lacht. „Gott, Junge, was für Namen? Ich denke immer noch, du nimmst mich auf den Arm!“
„Tät ich gern. Aber ich muß los ins Geschäft. Tjüs, Frau!“
„Tjüs, Mann!“
Dann kam Lauterbach zu Pinneberg. „Du hör mal, Pinneberg, wir haben morgen Werbemarsch und mein Gruf hat mir gesagt, ich darf bestimmt nicht fehlen. Mach du mal für mich Futterausgabe.“
„Tut mir schrecklich leid, Lauterbach, morgen kann ich unter keinen Umständen! Sonst immer gerne.“
„Tu mir doch den Gefallen, Mensch!“
„Nein, wirklich nicht. Du weißt, sonst immer gerne, aber diesmal ausgeschlossen! Vielleicht Schulz?“
„Nee, Schulz kann auch nicht. Der hat was mit 'nem Mädchen, wegen Alimente. Also sei so gut.“
„Diesmal nicht.“
„Aber du hast doch nie was vor.“
„Und diesmal habe ich eben was vor.“
„Solche Ungefälligkeit – wo du sicher nichts vorhast!“
„Diesmal doch!“
„Ich mach zwei Sonntage für dich Dienst, Pinneberg.“
„Nein, ich will gar nicht. Und nun halt den Mund davon. Ich tu's nicht.“
„Bitte, wenn du so bist. Wo es mein Gruf extra befohlen hat!“ Lauterbach ist wahnsinnig beleidigt.
Damit fing es an. Damit ging es weiter.
Zwei Stunden später sind Kleinholz und Pinneberg allein auf dem Büro. Die Fliegen summen und burren schön sommerlich. Der Chef ist heftig gerötet, sicher hat er heute schon ein paar gekippt und ist darum guter Laune.
Er sagt auch ganz friedlich: „Machen Sie mal morgen Stalldienst für Lauterbach, Pinneberg. Er hat mich um Urlaub gebeten.“
Pinneberg sieht hoch: „Tut mir schrecklich leid, Herr Kleinholz. Morgen kann ich nicht. Ich hab das Lauterbach auch schon gesagt.“
„Das wird sich bei Ihnen ja verschieben lassen. Sie haben ja noch nie was Wichtiges vorgehabt.“
„Diesmal leider doch, Herr Kleinholz.“
Herr Kleinholz sieht seinen Buchhalter sehr genau an: „Hören Sie, Pinneberg, machen Sie keine Geschichten. Ich hab dem Lauterbach Urlaub gegeben, ich kann es nicht wieder ruckgängig machen.“
Pinneberg antwortet nicht.
„Sehen Sie, Pinneberg“, erklärt Emil Kleinholz den Fall ganz menschlich, „der Lauterbach ist ja 'ne doofe Nuß. Aber er ist nun mal Nazi und sein Gruppenunterführer ist der Müller Rothsprack. Mit dem möchte ich es auch nicht verderben, der hilft uns immer mal aus, wenn wir schnell was zu mahlen haben.“
„Aber ich kann wirklich nicht, Herr Kleinholz“, beteuert Pinneberg.
„Nun könnte ja mal der Schulz einspringen“, klamüsert Emil nachdenklich den Fall auseinander, „aber der kann auch nicht. Der hat morgen ein Familienbegräbnis, wo er was erben will. Da muß er hin, das sehen Sie ein, sonst nehmen die andern Verwandten sich doch alles.“
›So ein Aas!‹ denkt Pinneberg. ›Seine Weibergeschichten.‹
„Ja, Herr Kleinholz ...“, fängt er an.
Aber Kleinholz ist aufgezogen. „Und was mich angeht, Herr Pinneberg, ich würde ja gerne Dienst machen, ich bin nicht so, das wissen Sie ...“
Pinneberg bestätigt es: „Sie sind nicht so, Herr Kleinholz.“
„Aber wissen Sie, Pinneberg, morgen kann ich auch nicht. Morgen muß ich nun wirklich über Land und sehen, daß wir Kleebestellungen reinkriegen. Wir haben dies Jahr noch gar nichts verkauft.“
Er sieht Pinneberg erwartungsvoll an.
„Sonntags muß ich fahren, Pinneberg, sonntags treffe ich die Bauern zu Haus.“
Pinneberg nickt: „Und wenn der olle Kube mal das Futter rausgibt, Herr Kleinholz?“
Kleinholz ist entsetzt. „Der olle Kube?! Dem soll ich die Bodenschlüssel in die Hand geben? Der Kube ist schon seit Vatern da, aber den Bodenschlüssel hat er noch nie in die Hand bekommen. Nee, nee, Herr Pinneberg, Sie sehen's ja jetzt ein, Sie sind der Mann an der Spritze. Sie machen morgen Dienst.“
„Aber ich kann nicht, Herr Kleinholz!“
Kleinholz ist aus allen Wolken gefallen: „Aber wo ich Ihnen eben erst auseinandergesetzt habe, Herr Pinneberg, daß keiner Zeit hat wie Sie.“
„Aber ich habe keine Zeit, Herr Kleinholz!“
„Herr Pinneberg, Sie werden doch nicht verlangen, daß ich morgen für Sie Dienst mache, bloß weil Sie Launen haben. Was haben Sie denn morgen vor?“
„Ich habe ...“, fängt Pinneberg an. „Ich muß ...“, sagt er weiter. Und ist still, denn es fällt ihm in der Eile nichts ein. „Na also! Sehen Sie! Ich kann mir doch mein Kleegeschäft nicht verbuttern, bloß weil Sie nicht wollen, Herr Pinneberg! Seien Sie vernünftig.“
„Ich bin vernünftig, Herr Kleinholz. Aber ich kann bestimmt nicht.“
Herr Kleinholz erhebt sich, er geht rückwärts bis zur Tür und läßt kein betrübtes Auge von seinem Buchhalter. „Ich hab mich schwer in Ihnen getäuscht, Herr Pinneberg“, sagt er. „Schwer getäuscht.“
Und schrammt die Tür zu. –
Lämmchen ist natürlich völlig der Ansicht ihres Jungen.
„Wie kommst du dazu? Und überhaupt finde ich es schrecklich gemein von den andern, dich so reinzulegen. Ich an deiner Stelle hätte es dem Chef gesagt, daß der Schulz mit seinem Begräbnis gesohlt hat.“
„So was tut man doch nicht unter Kollegen, Lämmchen.“
Sie ist reuig: „Nein, natürlich nicht, du hast ganz recht. Aber dem Schulz würde ich es gründlich sagen. Ganz gründlich.“
„Tu ich auch noch, Lämmchen, tu ich noch.“
Und nun sitzen die beiden in der Kleinbahn nach Maxfelde. Der Zug ist proppenvoll, trotzdem es der Zug ist, der schon um sechs Uhr in Ducherow abfährt. Und auch Maxfelde mit dem Maxsee und der Maxe ist eine Enttäuschung. Alles ist laut und voll und staubig. Von Platz sind Tausende gekommen, ihre Autos und Zelte stehen zu Hunderten am Strand. Und an ein Ruderboot ist gar nicht zu denken, die paar Ruderboote sind längst vergeben.
Pinneberg und seine Emma sind jung verheiratet, ihr Herz dürstet nach Einsamkeit. Sie finden den Trubel schrecklich.
„Also marschieren wir los“, schlägt Pinneberg vor. „Hier gibt's ja überall Wald und Wasser und Berge ...“
„Aber wohin?“
„Ist ja ganz egal. Nur weg von hier. Wir finden schon was.“
Und sie finden etwas. Zuerst ist der Waldweg noch ziemlich breit und eine ganze Menge Leute sind auf ihm unterwegs, aber dann behauptet Lämmchen, daß es hier unter den Buchen nach Pilzen riecht, und sie lockt ihn wegab und sie laufen immer tiefer in das Grüne, und plötzlich sind sie zwischen zwei Waldhängen auf einer Wiese. Sie klettern auf der anderen Seite, sich bei den Händen haltend, hinauf, und als sie oben sind, stoßen sie auf eine Schneise, die sich welteneinsam immer tiefer, hügelauf, hügelab, in den Wald hineinzieht, und schlendern so weiter.
Über ihnen stieg die Sonne, langsam und allmählich, und manchmal warf sich der Seewind, weit, weit drüben von der Ostsee her, in die Buchenkronen, dann rauschten sie herrlich auf. Der Seewind war auch in Platz gewesen, wo Lämmchen früher zu Hause war, lang, lang ist's her, und sie erzählte ihrem Jungen von der einzigen Sommerreise ihres Lebens: neun Tage in Oberbayern, vier Mädels.
Und er wurde auch gesprächig, und sprach davon, daß er immer allein gewesen sei, und daß er seine Mutter nicht möge, und sie hätte sich nie um ihn gekümmert, und er sei ihr bei ihren Liebhabern stets im Wege gewesen. Und sie habe einen schrecklichen Beruf, sie sei ... Nun, es dauerte eine ganze Weile, bis er mit dem Geständnis herausrückte, daß sie eine Bardame sei.
Читать дальше