„Ich mein ja nur! Also ich, würde mich erstmal an einem neutralen Ort verabreden, zum ersten Date! Ins Kino, zum Essen oder so, halt unverfänglich! Was, wenn sie dir doch nicht gefällt? Oder sie die volle Nervensäge ist? Dann kannst du wenigstens danach abhauen“, meinte Jerry.
„So `n Quatsch! Wieso sollte sie mir nicht gefallen? Wir schreiben uns schon seit ein paar Wochen und ich finde sie echt geil! Ins Kino“, raunte Niklas kopfschüttelnd. „Mit so einer, geht ma nicht ins Kino, sondern in die Kiste! Ich will die flachlegen und nicht heiraten!“
„Wo lebt sie? Und wie heißt sie?“, bohrte Jerry dennoch nach.
„Irgendwo in Niederbayern, hinter Passau, in der Nähe der Grenze zu Österreich, in irgend so einem Kaff, ziemlich abgelegen. Ist wohl ein alter Bauernhof, den sie geerbt hat. Ich glaub, sie hat `ne Pension draus gemacht. Vermietet Fremdenzimmer, an Touris. Lissy Baierl, heißt sie. Wieso?“
„Nur so“, antwortete Jerry abwinkend, „hast wohl doch recht und mein Schnüffler Instinkt schlägt mal wieder durch“, sagte er flapsig und beide lachten auf.
„Oh Mann, Jerry! Aber echt, manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, dass du Polizist geworden bist! Ausgerechnet du! Kriminalkommissar Jerome Anders! Und ich dachte immer, du wärst sicher Künstler geworden, Sänger oder Tänzer, nachdem du damals einfach nach München abgehauen bist! Weißt du noch, was das damals für ein Getratsche über dich war? Als du dir die Haare gefärbt hast? Rot!“, lachte Niklas sich krumm.
„Tja, mein Freund, C´est la vie! Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, nie und nimmer!“, meinte Jerry, seinem Freund den Rücken klopfend und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
„Hat mich echt umgehauen, als wir uns wiedergetroffen haben und du mir erzählt hast, dass du `n Bulle geworden bist!“
„Mich auch, dass kannst du mir glauben“, grinste Jerry zurück und trank sein Bier aus.
„Noch eins?“, fragte Niklas vergnügt, doch Jerry winkte verneinend ab.
„Lieber nicht! Bin mit dem Auto da und hab morgen Dienst, das verschieben wir wohl auf nächste Woche, ok?“
„Nichts da, Junge! Eins geht scho noch!“, rief Niklas ohne auf den Einwand achtend und bestellte neu.
Aus zwei Bieren wurden schließlich fünf und noch einige Schnäpse später, lagen sich die beiden lachend in den Armen und tanzten gekonnt zu einem neuen Hit eine Mischung aus Tango und schnellem Foxtrott, wobei sie vom lautstarken Gejohle der anderen Gäste begleitet wurden.
„Ich muss jetzt echt, nach Hause“, meinte Jerry, noch immer leicht lachend und nach Luft schnappend, als Niklas ihn nach einer letzten eleganten Drehung, aus seinen Armen entließ. „Werd mir wohl ein Taxi rufen müssen. Loisl, zahlen!“, rief er über die Theke hinweg und der Wirt nickte grinsend.
„Echt schad, dass du schon gehen musst“, lallte Niklas ihn an und zog ihn noch mal in eine kameradschaftliche Umarmung. „Bin echt froh, dass wir uns wiedergetroffen haben, hab das echt vermisst, die letzten Jahre“, sagte er in einem Anflug von Gefühlsduselei. „Bis nächste Woche, ja? Freu mich schon und dann quatschen wir mal wieder!“
„O ja, mein Freund! Und dann will ich alles wissen, über deine neue Eroberung“, erwiderte Jerry mit einem frechen Augenzwinkern, bezahlte seine Zeche und verabschiedete sich von seinem alten Kumpel.
Zuhause ließ er sich erstmal auf die alte Couch fallen und ließ sich den Abend noch mal durch den Kopf gehen. Niklas war schon ein richtiger Herzensbrecher! Ok, in ihrem Alter brauchte man sich gewiss noch nicht fest binden, allerdings, so musste er sich eingestehen, hätte er selbst schon gerne Jemanden, an seiner Seite. Jemand, der einfach für ihn da war, mit dem er über alles reden konnte und der ihn so nahm, wie er war. Mit all seinen Fehlern und Schwächen. Und, der mit seiner Vergangenheit zurechtkam.
„Hör auf zu träumen!“, murmelte er sich selbst zu, „so jemanden, gibt’s nicht!“ Ja, wer würde so einen wie ihn, schon haben wollen! Niemand! Niemand, würde ihn jemals so akzeptieren, wie er wirklich war!
Und trotzdem, schön wäre es schon, wenn er abends nach Hause kommen und jemand auf ihn warten würde. Mit dem er alles teilen konnte, Jemand, der ihn einfach nur festhalten würde und nicht bedrängte und, der, Verständnis dafür hätte, für ihn und sein verkorkstes Ich. Jemand, dem es nichts ausmachen würde, dass er so anders war.
Vielleicht sollte er doch einmal zu einem Therapeuten gehen und dem das alles erzählen, alles, was ihn so sehr quälte. Und vielleicht, würde der ihm endlich erklären können, was mit ihm los war und warum er so anders war.
Aber wie würde das dann aussehen? Wie würde er dann dastehen, vor seinen Kollegen, vor Malik? Die hätten sicher kein Verständnis, dafür und er hatte wirklich keine Lust darauf, als Psycho abgestempelt zu werden. In den Jahren, in denen er bei der Polizei arbeitete, hatte er oft genug mitbekommen, wie die meisten seiner Kollegen dort tickten! Er konnte sich noch gut genug daran erinnern, als sich mal einer von seinen früheren Mitanwärtern auf der Polizeischule als schwul geoutet hatte und wie die anderen darauf reagiert hatten. Nur mit Hohn und Spott und einige hatten dem damaligen Kollegen fortan regelrecht das Leben zur Hölle gemacht, bis der sich dann tatsächlich hatte versetzen lassen.
Dabei war er gar nicht schwul, er war einfach nur anders. Doch wie genau, dass wusste er selbst nicht. Eigentlich hatte das Geschlecht nie wirklich eine Rolle für ihn gespielt und er hatte immer nur den Menschen gesehen, der dahintersteckte, wenn er denn mal jemanden kennengelernt hatte, für den er sich wirklich hätte interessieren können. Und, mit dem er sich mehr hätte vorstellen können, vielleicht sogar ein gemeinsames Leben… Warum, konnte er nicht einfach so sein, wie alle anderen? Wenn er selbst nicht mal verstand, wie er tickte, wie sollten es dann erst seine Mitmenschen kapieren? Die würden ihn fertigmachen!
Nein, das wollte er wirklich nicht, alles, was er wollte, war in Ruhe gelassen zu werden. Vielleicht sollte er sich eine Katze anschaffen, dann wäre er wenigstens nicht mehr ganz so allein.
*
Die nächsten Tage verliefen alle im selben Trott, nur mit dem Unterschied, dass Malik eine kühle Distanz zwischen ihnen aufgebaut hatte, was Jerry nur recht war. Ihre einzige Unterhaltung belief sich von nun an ausschließlich rein dienstlich und beide verloren kein Wort mehr, über ihre Privatleben, was er, wie er insgeheim zugeben musste, doch ein Wenig bedauerte. Er hatte immer gerne dabei zugehört, wenn Malik über seine große Familie gesprochen und ihm so manche amüsante Anekdote über sie erzählt hatte. Über die Großeltern, seine drei Schwestern und deren Ehemännern, seinen Eltern, die sich immer so liebevoll zankten, oder irgendwelchen anderen Verwandten, die gerade mal wieder geheiratet oder ein Kind bekommen hatten. Malik war der einzige Sohn und noch dazu der jüngste in seiner Familie und wurde von seinen Eltern und seinen Schwestern geradezu abgöttisch geliebt und umsorgt, obwohl der bereits neunundzwanzig Jahre alt war. Immer wieder hatten sie versucht, bisher vergebens, ihn zu verkuppeln, natürlich ebenfalls mit einer Perserin, meistens eine entfernte Cousine, was Malik jedes Mal wieder aufs Neue zur Weißglut trieb. Und doch, liebte auch er seinen Clan, wie er es nannte, über alles und wohnte sogar noch zu Hause, bei seinen Eltern.
Ja, Jerry wusste alles, über seinen Partner, kannte die Namen von dessen Familienangehörigen und wusste über jeden, noch so kleinen und unbedeutenden Vorfall in dessen Familie Bescheid. Oftmals hatte er sich dann gewünscht, auch ein so behütetes Leben inmitten einer so liebevollen Familie zu führen und doch hatte er stets unter irgendeinem Vorwand die regelmäßigen Einladungen zu einem der vielen Familienfeste oder auch nur zu einem Grillabend bei Maliks Eltern, abgesagt.
Читать дальше