»Verloren?«, echote Angel. »Aber das kann doch nicht sein!«, sie entzog dem Engel ihre Hände. »Er ist ein verdammter Erzengel!«
Uriel trat hinzu. »Du warst fast eine Stunde ohne Bewusstsein, Teufelsbraut.« In seiner Stimme lag kein Hohn, als er sie so nannte, sondern ehrliche Anerkennung. »Wir haben versucht, seine Signatur aufzuspüren, aber ...« Er beendete den Satz nicht, aber Angelique wusste auch so, was er hatte sagen wollen.
»Ihr habt mir eure Macht gegeben«, wisperte sie und sank in sich zusammen. »Ich hätte es verhindern müssen.« Tiefe Traurigkeit machte sich in ihr breit. Eine Hand glitt unter ihr Kinn und zwang sie, aufzusehen. Ihr Blick traf den blitzenden und finsteren von Luzifer.
»Du hast die ganze, gottverdammte Welt gerettet, Angel. Das kann sonst keiner von uns hier behaupten. Du allein hast verhindert, dass weitaus Schlimmeres passiert ist!«, knurrte er.
Ein halbherziges Lächeln schlich sich auf ihre Züge. »Wir müssen ihn suchen!«, rief sie dann aus. Erneut begegnete ihr nur Schweigen. Sie richtete sich wieder auf und blickte auffordernd in die Runde. »Was ist? Worauf wartet ihr?«
»Engelchen«, der Höllenfürst neben ihr seufzte. »Wenn wir auch nur die geringste Ahnung hätten, wo Gabriel und übrigens auch Dämonia und Arman sind ... denkst du wirklich, dass wir dann noch hier stehen und Maulaffen feilhalten würden?«
»Arman hat irgendein Buch gefunden, das ihm zu enormer Macht verholfen haben muss«, erklang Raphaels Stimme zu ihrer Linken und sie wandte dem Engel ihre Aufmerksamkeit zu. »Das Tor, das er geschaffen hat, war ein Dimensionsriss. Aber leider gelingt es uns nicht, die Struktur zu erkennen und somit können wir auch nicht herausfinden, wo dieser Riss hingeführt hat.«
Angel schüttelte resigniert den Kopf. »Und lasst mich raten. Das Buch ist unauffindbar?« Raphael nickte und ein sarkastisches Lachen entwich ihrem Mund. »Und was ist jetzt mit eurer Macht?«
»Es hat sich nichts verändert.«
Bei diesen Worten fuhr sie zu Michael herum, breitete langsam ihre Flügel aus. »Ich sehe aus wie Prinzessin Swarovski mit Glitzerflügelchen und ... du sagst, es hat sich nichts verändert? Ernsthaft jetzt?«
Der Erzengel hob entschuldigend beide Handflächen nach oben. »Nun ja ... fast nichts. Wir alle«, er deutete einmal in die Runde, »haben dir unsere Macht übertragen und du konntest sie kanalisieren. Nachdem es dir gelungen war, den Riss zu schließen, kehrte die Energie zu ihrem Ursprungsort zurück. Momentan kann ich nur Vermutungen anstellen, aber ich gehe davon aus, dass ein Teil von jedem von uns sich in dir widerspiegelt, und es zeigt sich in der Veränderung deiner Flügel.«
Angels Blick glitt an sich herunter. »Also ... vereine ich Energien von Himmel und Hölle in mir?«
Der Erzengel nickte. »Ich gehe davon aus. Genaueres werden wir tatsächlich erst wissen, wenn wir die Bibliothek wiederhergestellt haben.«
»Wir müssen versuchen, Gabriel, die Dämonin und letztendlich auch Arman zu finden.«
Michael nickte. »Ja, da stimme ich dir zu. Jetzt wo ...«, er räusperte sich, »Gabriel indisponiert ist, muss der Rat sich neu formieren.«
Ein lautes Hüsteln in ihrem Rücken ertönte. »Das wäre dann wohl der Moment, in dem ich mich ebenfalls einschalte, oder?« Luzifer trat an ihre Seite und blickte zu Michael. »Der Rangfolge nach bist du das neue Oberhaupt da oben, oder?« Ein Nicken bestätigte seine Vermutung. »Angesichts der Tatsache, dass wir alle offensichtlich in den letzten Jahren manipuliert worden sind ... bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Verträge zwischen Himmel und Hölle neu ausgehandelt werden sollten.«
Angels Herz machte einen erfreuten Hüpfer und sie holte Luft, um etwas zu sagen. Luzifer jedoch hob seine Hand und gebot ihr zu schweigen. »Sei still, kleine Teufelsbraut. Ich würde sagen, solange ich noch einen letzten Rest meiner Eier besitze, sollte ich die Verhandlungen führen!« Sie verbiss sich ein Lachen, versuchte, ernsthaft dreinzublicken, und nickte dann.
»Natürlich, Herr!«
Ein unterdrücktes Lachen aus den Reihen der Erzengel ertönte. Der Höllenfürst ließ ein Knurren hören, warf Angel einen finsteren Blick zu und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder Michael. »Was sagst du?«
Der Erzengel wog seinen Kopf nachdenklich. »Einverstanden. Wir sollten mehr Spielraum für eigene Entscheidungen schaffen und die Toleranzgrenzen deutlich erhöhen.« Er streckte Luzifer seine Hand entgegen. »Sind wir uns dahingehend einig, dass die Suche nach Gabriel und die Instandsetzung der Bibliothek zurzeit vorrangig gegenüber den Verhandlungen sein sollten?«
Der Höllenfürst musterte Michael ausführlich. »Jetzt, wo die Ursache des Dämonensterbens in meinen Reihen beseitigt ist, kann auch in der Hölle wieder Alltag einkehren. Ich werde einen Trupp an fähigen Leuten entsenden, die sich ebenfalls auf die Suche nach Gabriel machen werden. Meine fähigste Schatzsucherin ist ja leider ... mit ihm zusammen verschwunden.«
Angel kniff kurz die Augen zusammen, als ihr Gefährte die Dämonin erwähnte und sie spürte das Vibrieren seines Körpers neben sich, als nun er sich darum bemühte, nicht zu lachen. »Du solltest Barofan mit der Aufgabe betreuen, ein Team für den Wiederaufbau der Bibliothek zusammenzustellen.«
Luzifer nickte, ergriff die noch immer dargebotene Hand von Michael und die beiden Männer schüttelten einander die Hände. »Akzeptiert. Mehr Spielraum und mehr Toleranz, damit kann ich leben. Setzen wir alles auf Anfang.« Ein zufriedenes Raunen erfüllte den Raum.
Dämonia – Vom Pech verfolgt
Sie nutzte aus, dass die Bibliothek heute wegen einer wichtigen Sitzung gesperrt war. So konnte sie ohne den kritischen Blick des Bibliothekars ein wichtiges Buch suchen, welches schon lange auf ihrer Liste stand.
Sie war nicht umsonst die beste Sucherin in der Unterwelt, höchstwahrscheinlich sogar der ganzen Welt, eben weil sie sich nicht immer an alle Vorschriften und Regeln hielt und manch unkonventionellen Weg einschlug.
Dämonia wusste, dass das Machtgefüge sich in den letzten Tagen stark geändert hatte und daher wunderte es sie überhaupt nicht, dass in der Mitte der Bibliothek neun Erzengel, der Höllenfürst – ihr Meister und Auftraggeber -, seine Engelsbraut und Arman, der Bibliothekar, saßen. So hatte sie ihre Ruhe, denn ab und an nahm sie auch private Aufträge an, und solch einer war das jetzt.
Während sie durch die Gänge strich, versuchte sie, mit ihren Sinnen Kontakt zu diesem speziellen Buch aufzunehmen. Das war ihr Geheimnis, warum sie die Beste war. Ihre Fähigkeit, sich mit in Auftrag gegebenen Artefakten, wenn sie in ihrer Nähe waren, zu verbinden. Oder aber Dinge aufzuspüren, die ihr den Weg wiesen, um an das Ziel zu kommen. Doch bei diesem Buch war sie bisher noch keinen Schritt weiter gekommen. Und das lag nicht daran, dass sie in letzter Zeit viel zu tun gehabt hatte. Dieser Auftrag stellte Dämonia wirklich vor eine große Herausforderung.
Als sie auf etwas in einem der oberen Regalebenen stieß, versuchte sie erst einmal ganz normal, wie es ein Mensch tun würde, dort heranzukommen. Doch alles Recken und Springen half nichts.
»Kann ich dir helfen?«
Am liebsten hätte sie laut geseufzt. Natürlich hatte sie bemerkt, wie Arman verschwunden war und sich die Versammlung die Beine vertrat. Und Gabriel, der Ranghöchste der Erzengel, stand höchstpersönlich im Gang und lehnte an einem der Regale.
»Nein«, presste sie zwischen den Zähnen hindurch und beobachtete misstrauisch, wie er sich abstieß und näherkam. Wenn er jetzt die Flügel erscheinen ließ und ihr noch einmal anbot, ihr zu helfen, würde sie ihm mit nur einem Wimpernschlag sein Federkleid abfackeln. In der Bibliothek durften keine Kräfte angewandt werden, daher sprang sie auch wie ein kleiner Flummi auf und ab und hatte nicht schon längst ihre Magie eingesetzt. Aber für diesen aufgeblasenen Erzengel würde sie liebend gern gegen diese Regel verstoßen.
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