Ich denke, Frau Kurz–Lang verstand meinen Punkt. Lange Rede kurzer Sinn, der Vertrag wurde problemlos aufgelöst. Das Gespräch beeindruckte mich nicht weiter und ich arbeitete wie besessen. Die Dinge schienen sich bestens zu entwickeln. Oder irrte ich mich da?
Nun, wie ich bereits bei der Trennung feststellen konnte, kommt die „Scheiße im Leben“ stets zur falschen Zeit und aus gänzlich unerwarteter Richtung. Obschon zunächst doch unbehaglich, stimmte mich diese Erkenntnis bei näherem Betrachten durchaus zuversichtlich. Warum? Weil sie näher zu betrachten zu durchaus zuversichtlich stimmenden Schlüsse führen konnte, ja, musste. Zum Beispiel, dass Bemühungen, sich vor schlechten Zeiten zu schützen, nutzlos waren. Und dass man an guten Zeiten Spaß haben sollte. Und vor allem, dass die subjektiv wahrgenommene „falsche Zeit“ und „unerwartete Richtung“ eher der objektiv verfehlten Einschätzung entsprachen, man habe eine gute Zeit gehabt und die Entwicklung sei in die geplante Richtung gelaufen. Insofern war auch evaporierend überflüssig, einen Unterschied zwischen guten und schlechten Zeiten zu machen. Am besten genoss man sie beide und versuchte, das subjektiv „Richtige“ in der (ebenso subjektiv) „richtigen“ Richtung zu tun, um objektiv keine Zeit zu verplempern.
Durch solch profunde Konklusionen frischen Mutes und von meiner Arbeit erfüllt, fühlte ich mich zusehends besser, wobei ich in gleichem Maße Probleme damit bekam, dass meine Knirpse weg waren: Ich vermisste die Jungs. Und, um zu meinem einleitenden Gedanken zurückzukehren, sollte hier eine wahrlich „ungeahnte Scheiße“ auf mich zukommen.
In der zweiten Januarhälfte rief ich meine Frau wegen der Kinder an. Ich musste am 8. März einen Vortrag in Düsseldorf halten und hätte mir sieben Tage vorher oder danach frei nehmen können. Diese Zeit hätte ich gerne genutzt, in Mainz vorbeizuschauen und ein wenig „Quality–Time“ mit meinen Söhnen zu verbringen. Meine Frau und ich verständigten uns auf die Woche vor Düsseldorf.
Auf einen anderen Punkt verständigten wir uns ebenfalls: Bisher hatten wir den Kindern nicht von der Trennung erzählt. Meine Frau wollte dies bald nachholen. Mir hingegen war daran gelegen, ein solches Gespräch gemeinsam mit meiner Frau und den Kindern zu führen, um den Kleinen klarzumachen, dass sich durch die Trennung nichts an meinem Verhältnis zu ihnen geändert habe. Meine Frau stimmte dem Vorschlag zu. Ich war zufrieden, freute mich auf meine Jungs, und buchte einen Flug für den 29. Februar nach Deutschland.
Ein paar Tage später rief meine Frau an. Sie müsse die Unterhaltszahlungen mit mir besprechen. Erstaunt vernahm ich, dass sie weit über die Hälfte meines Lohns haben wollte. Ich erklärte ihr, das sei zu viel. In den USA könne ich von dem mir dann Verbleibenden kaum leben. Auch bedürfe ich einiger Ressourcen, den Kontakt mit den Kindern zu finanzieren, und außerdem verdiene sie selbst genug und würde so viel Geld nicht benötigen.
Meine Frau begann, mir eine umfangreiche Liste der Güter und Dienstleistungen zu erläutern, die sie wohl alle wirklich ganz dringend brauche, und schloss, und dafür müsse sie jetzt halt einfach mal so viel Unterhalt von mir erhalten. Ich war natürlich erbaut, dass sie sich mittlerweile mit der Tabellenkalkulation auskannte und neue Hobbies hatte. Indes wies ich darauf hin, dass wir nun einmal automatisch höhere Kosten hätten, weil wir nach der Trennung nicht mehr auf dem gleichen Kontinent lebten. Diese Belastungen allerdings ausschließlich auf meine Schultern abzuladen, nur damit mein wertes Weib seinen gewohnten Lebensstil fortführen könne, sei für mich gewiss nicht einzusehen. Wir vermochten uns nicht zu einigen und beendeten das Telefonat im Streit.
Am nächsten Tag rief meine Frau erneut an. Freundlich teilte sie mir mit, ich könne die Kinder im März wohl doch nicht die ganze Woche sehen, denn das würde die Kleinen einfach zu sehr beunruhigen. Momentan sei halt wohl wirklich wichtiger, dass die beiden sich in das ihnen ja immerhin noch immer neue soziale Umfeld einlebten. Und sich adaptierten, halt. (Ich notierte mir die doch immer wieder atemberaubenden Redundanzen und Partikelfluten meiner Frau in ein Büchlein, das ich mir eigens dafür angelegt hatte, nickte beeindruckt, und lauschte weiter:) Ich könne die zwei daher dann halt bloß einen Tag haben. Das genüge jetzt ja wohl wirklich. (Erneute Notiz. Doch zurück zum Thema:)
Meinen Hinweis, ich hätte meinen Flug gebucht und meine Zeit entsprechend verplant, empfand Madame als unerheblich. Ein bisschen Freizeit nur für mich schade mir bei der vielen Arbeit, die ich immer um die Ohren hätte, jetzt ja wohl wirklich gar nicht. Ich solle das halt einfach mal positiv sehen, als gewonnene Zeit sozusagen, die ich am besten darauf verwendete, nochmals gründlich über den Unterhalt zu reflektieren, den ich ihr zu überweisen gedenke. Wir beendeten unseren Schwatz. Ich reflektierte:
Zwar hatte mich das Trauerspiel der letzten Monate spürbar über meine Gemahlin desillusioniert. Nie jedoch hatte ich – von vagen Befürchtungen abgesehen – ernsthafte Zweifel daran gehabt, dass unsere Kinder von den Konflikten zwischen ihr und mir verschont bleiben würden. Hatte ich die Situation zu blauäugig gesehen? Hatte ich mit meinen düsteren Ahnungen doch die Häsin im Pfeffer getroffen?
Zumindest passte es zu dem würzigen Bild, das sich mir seit Dezember von meiner hurtig (weg)hoppelnden Häsin offenbart hatte. Richtig! Dass sie jedes ihr zur Verfügung stehende Kraut wie Unkraut zum Abschmecken ihres Interessenauflaufs nutzen würde, davon musste ich nämlich ausgehen. Und dass vor derartigen Würzmischungen einzuknicken mir nur inakzeptable Aromen bringen konnte, darüber war ich mir im Klaren.
Ich beschloss, mich vorbeugend bei einem Gewürzhändler beziehungsweise Anwalt über ein angemessenes Abkochrezept in der sich abzeichnenden Problemsuppe zu informieren.
27 Rechtsanwalt Harsdörffer
Zuerst fragte ich Bekannte nach einem guten, am Wohnort meiner Frau zugelassenen Anwalt für Familienrecht. Mir wurde ein Herr Harsdörffer empfohlen. Der erläuterte mir mit dem holpernden Schnarren eines defekten Getriebes (das allerdings ebenso den dynamisch surrenden Oberton einer Stahlfeder besaß), dass die Unterhaltsforderungen meiner Gattin überzogen seien. Daran, dass sie mir den Umgang mit den Kindern einschränke, könne ich derzeit aber wenig ändern. Die Regulierungsgewalt über diesen obliege nun einmal dem Elternteil, bei dem sich die Kinder aufhielten. Und dieser sei, wie auch in meinem Fall, normalerweise die Mutter. Zwar gebe es Richtlinien, wie viel Zeit die Kinder mit dem Vater zu verbringen hätten. In der Realität könnten diese Richtlinien jedoch problemlos unterlaufen werden, besonders, wenn – wie in meinem Fall – ein Elternteil außerhalb Deutschlands wohne.
Auf das einschlummernde Knarren eines ausgeleierten Schalensitzes wechselnd legte er weiter dar, ich solle jetzt erst einmal abwarten, bis sich das Verhältnis zu meiner Frau „ein bisselchen“ beruhigt habe. Und momentan besonders ratsam sei, Konflikte mit ihr zu vermeiden, denn aus denen fände man nur schwer heraus. Ohnehin sei es sinnvoll, Konflikte mit der Ehefrau zu meiden, da dieim deutschen Familienrecht eindeutig am längeren Hebel sitze.
Herr Harsdörffer riet mir noch, wie eine mitteltourig surrende Einspritzpumpe säuselnd, den Forderungen meiner Frau so weit mir möglich nachzukommen, um die Situation zu entschärfen. Ich solle meiner Gattin freilich parallel zu den Zahlungen mitteilen – „und zwar schriftlich, Herr Zucker!“ –, dass ich vorläufig mehr leistete, als ich nach den gesetzlichen Bestimmungen müsse. Sonst ginge ich das Risiko ein, mich stillschweigend, aber langfristig – „und vor allem bindend! Nicht wahr?“ – zu höheren Zahlungen zu verpflichten.
Читать дальше